Andreas Luthe ist die Nummer eins bei Union Berlin, doch Loris Karius sitzt ihm im Nacken. Der Konkurrenzkampf treibt beide an – auch über die Grenzen hinaus?
Trotz seiner Schmerzen war Andreas Luthe offenbar zu Scherzen aufgelegt. „Guter Fight", schrieb der Torhüter von Union Berlin nur eine Stunde nach dem torlosen Unentschieden bei Arminia Bielefeld. Dazu verschickte er als Emoji einen Muskelarm. Tatsächlich sah Luthe aus, als hätte er gerade einen Boxkampf hinter sich. Ein dickes rotes Pflaster lag auf seinem Nasenbein, als er im TV-Interview unmittelbar nach dem Abpfiff erklärte, warum er nach einem heftigen Zusammenprall mit Teamkollege Julian Ryerson unbedingt weiterspielen wollte. „Ich wusste wo ich bin und welcher Spielstand war. Von daher: kein Thema", sagte Luthe achselzuckend. Für manche Experten steht diese Erklärung sinnbildlich für den eher laxen Umgang mit Kopfverletzungen im Profifußball. Eine Bewusstlosigkeit liegt bei einer sogenannten Concussion nicht vor, deshalb wird sie oft als solche auch nicht wahrgenommen. Die Auswirkungen sind meistens erst mit einer zeitlichen Verzögerung erkennbar, mittel- und langfristige Schäden sogar noch später. Auf Druck der Mediziner hatte der Deutsche Fußball-Bund jüngst beschlossen, dass jeder Profi der 1. und 2. Bundesliga einmal pro Jahr ein sogenanntes Baseline-Screening durchführen muss. Hier können mögliche Hirnschäden festgestellt werden. Luthe und Ryerson, der mit einem dicken Turban bis zum Schluss weiterspielte, wurden in Berlin nochmals durchgecheckt. Direkt nach dem Spiel standen sie für Interviews zur Verfügung, um der Öffentlichkeit zu signalisieren: alles halb so schlimm!
Das war passiert: Nach vier Minuten wollten der Torhüter und der Außenverteidiger einen Flankenball abfangen, ihre Köpfe rasselten zusammen, beide blieben benommen liegen. Luthes Nase blutete, Ryerson fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf. Erst nach einer achtminütigen Behandlungspause konnte die Partie wieder angepfiffen werden. Mit Luthe und Ryerson. „Es ist alles in Ordnung", versicherte Ryerson. Der norwegische Nationalspieler gab zwar zu, dass ihm in den ersten Minuten nach dem Wiederanpfiff „etwas schummrig" gewesen sei, „aber das war schnell wieder normal". Auch Luthe gab hinterher Entwarnung: „Die Nase schmerzt, aber so weit geht es mir gut." Im Spiel gegen Gladbach hatte sich Luthe nach einer ähnlichen Situation auswechseln lassen, „da ging es mir wesentlich schlechter".
Während der langen Behandlungspause in Bielefeld hatte sich Ersatztorhüter Loris Karius warmgelaufen. Nicht nur Sky-Experte Manuel Baum spekulierte, ob es womöglich einen Zusammenhang zwischen Luthes Willen, unbedingt weiterspielen zu wollen, und der aktuellen Torhüter-Diskussion bei Union gibt. „Welche Situation?", antwortete Luthe darauf angesprochen leicht gereizt mit einer Gegenfrage. „Die gibt es in der Bundesliga immer. Ich bin jetzt seit 14 Jahren Profi, so etwas bringt mich wirklich nicht mehr aus der Ruhe." Es gebe „immer jemanden, der deinen Job will, der spielen will. Das juckt mich relativ wenig."
Karius hatte die drei Spiele zuvor gegen Schalke (0:0), in Freiburg (0:1-Auswärtssieg) und gegen Hoffenheim (1:1) das Tor der Eisernen gehütet, weil Luthe zuerst wegen eines privaten Notfalls und dann wegen Knieproblemen ausgefallen war. „Ein Gegentor in drei Spielen ist keine schlechte Quote", sagte Karius. „Ich kann nur sagen, dass ich topfit und mit meinen zuletzt gezeigten Leistungen zufrieden bin." Das war auch Urs Fischer, doch der Trainer legte sich auf Luthe als Nummer eins fest: „Wenn Andi bereit ist, wird er im Tor stehen." Das gilt auch für das Heimspiel am Samstag (13. März, 15.30 Uhr) gegen den 1. FC Köln. Sollte der Zusammenprall keine nachhaltigen Folgen für Luthe gehabt haben, steht er zwischen den Pfosten. In Bielefeld bewies Luthe trotz der widrigen Umstände, dass er ein starker Rückhalt für sein Team ist. Nur wenige Minuten nach dem Unfall verhinderte der 33-Jährige mit einer herausragenden Fußabwehr gegen Sergio Cordova den Rückstand. Es blieb Bielefelds größte Chance, Union hatte zum Ende ein paar gute Möglichkeiten. Doch alles in allem war es ein fahriges Spiel. „Die Unterbrechung hatte einen Einfluss auf das Spiel", meinte Fischer.
Nur vier Tore aus den letzten acht Spielen
Weniger eindeutig ist dagegen, wie Unions aktueller Lauf bewertet werden kann. Zwar ist das Team seit vier Spielen ungeschlagen, es hat aus den vergangenen acht Partien aber auch nur einen Sieg geholt. „Davon zu sprechen, dass wir eine Ergebniskrise hätten, wäre falsch", meinte Offensivspieler Marius Bülter. Auch für Trainer Fischer ist die Interpretation der Statistik klar: „Im Moment stimmen die Leistungen, und wir holen auch Punkte." Zwar nicht mehr so viele wie noch in der Hinrunde, aber mehr als genug, um schon sehr bald den Klassenerhalt feiern zu dürfen. Für den insgeheimen Traum vom Europapokal fehlt Union die Durchschlagskraft im Angriff. Nur vier Tore aus acht Spielen sprechen eine klare Sprache. „Unsere Chancenauswertung war wieder mal ausbaufähig", kritisierte auch Torhüter Luthe, „aber da blieben wir dran." Er wolle seinen Angreifern um Topscorer Max Kruse mit Abschlussübungen im Training neues Selbstvertrauen schenken, verriet Fischer. „Momentan fehlt vielleicht ein bisschen das Glück", meinte Bülter. „Bei mir wird es auch langsam mal wieder Zeit, dass ich das Tor treffe." Der Shootingstar der Vorsaison traf am allerersten Spieltag bei der 1:3-Niederlage gegen Augsburg – danach nicht mehr.
Doch so lange Union auf zwei so starke Torhüter zählen kann, ist die Sturmflaute nur halb so wild. Karius, der als Leihgabe des englischen Meisters FC Liverpool mit der Bankrolle alles andere als zufrieden ist, lässt zumindest seinen Frust nicht raushängen. Im Gegenteil: Etwas überraschend äußerte der Champions-League-Finalist von 2018 kürzlich sogar, dass er sich einen Verbleib bei Union vorstellen könne. „Ich bin ja nicht auf der Durchreise hier", sagte Karius. „Die Mentalität der Leute und der Spirit der Mannschaft tun mir gut." Auch deshalb wolle er dem Team helfen, wann immer Fischer ihn lässt. „Der Trainer weiß, dass ich da bin. Wenn er mich braucht, kann er sich auf mich verlassen", sagte Karius. Natürlich wolle er regelmäßig spielen und die Nummer eins bei Union sein, „aber wäre das anders, dann hätte ich hier auch nichts verloren". Und Luthe weiß, dass ihm ein ehrgeiziger und talentierter Konkurrent im Nacken sitzt. Bleibt zu hoffen, dass dieser Konkurrenzkampf nicht auf Kosten der Gesundheit ausgefochten wird.