Sun Ra war zweifellos eine schillernde Persönlichkeit in der Jazz-Geschichte: Er gilt als Wegbereiter des Free Jazz, Exzentriker, der in glitzernden Kostümen auftrat, abgehobener Philosoph, der immer wieder behauptete, dass er vom Planeten Saturn stamme und als moderner Apostel, der für Frieden und Bewusstsein eintrat.
Auch wenn der Maestro des Cosmic Jazz 1993 im Alter von 79 Jahren starb, bewahrt das Sun Ra Arkestra unter der Leitung von Marshall Allen sein gewichtiges Erbe. Nun ist das erste Studioalbum seit mehr als 20 Jahren erschienen, das Sun Ra Arkestra hat darauf neue Versionen bekannter Stücke wie „Angels and Demons at Play", „Seductive Fantasy" und „Rocket No. 9" aufgenommen.
Letztgenanntes kommt daher wie eine aufgepeitschte Spokenword-Jazz-Nummer, wenn Sprechchöre „Rocket number nine take off for the planet / To the planet, Venus" lautstark deklamieren. „Angel and Demons at Play" startet mit einem hypnotischen Basslauf, um darauf den für Sun Ra unverwechselbaren organischen Groove zu entfalten. Tara Middleton und Dave Davis lassen sich im Wechsel darüber aus, was Engel und Dämonen am liebsten tun, ehe ein völlig entfesseltes Tenorsaxofon das Tempo anzieht. Wenn Tara Middleton in dem epischen, fast zwölfminütigen „Seductive Fantasy" mit sympathisch-entzückender Intonation „We’re living in the space age / No matter who you are / No matter who you be / No matter what you do" singt, sind das die hörenswertesten Minuten des Albums.
Auf „Swirling", der einzigen Eigenkomposition von Bandleader Marshall Allen, klingt das Sun Ra Arkestra wie ein ins 21. Jahrhundert herübergebeamtes Swing-Orchester, das eine Hotel-Bar bespielt. Man mag es kaum glauben, dass der 96-jährige Alt-Saxofonist und seine Mit-Instrumentalisten solch schmissige Jazz-Nummern hinbekommen, und selbst im ersten Corona-Jahr wären sie durch die USA und Europa getourt.
Spätestens mit dem munter swingenden Song „Queer Notions" unterstreicht die 15-köpfige Formation, dass dieses anspruchsvolle Album nach mehrfachem Durchhören zu gefallen weiß und im besten Wortsinn unterhält.