Wieder und wieder lag Schnee im April auf den Courts, auf denen vom 24. April bis 2. Mai das „härteste Sandplatzturnier der Welt" ausgetragen werden soll. So unbestimmt wie das Wetter waren bis zuletzt die Voraussagen, wie das traditionelle Stelldichein von Weltklassespielern bei den BMW Open in diesem Jahr fürs Publikum aussehen wird.
Eines ist sicher: Die Spiele sollen beginnen, bei den Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften von Bayern auf der Anlage des MTTC Iphitos in München. Fabian Tross, Geschäftsführer Iphitos Sportveranstaltungs-GmbH, ist zuversichtlich: „Wir haben uns so aufgestellt, dass wir denken, dass das funktioniert. Und wir möchten auf jeden Fall spielen."
„Ich weiß, dass ich nichts weiß", könnte in Pandemiezeiten als Motto über mancher Pressekonferenz in Vorfeld von Sportevents stehen, bei der manchmal selbst zu dem, was die Organisatoren eigentlich wissen, mit großer Betonung wenig gesagt wird. Nachrichtlich schwierig, aus Veranstalter-Sicht in Teilen verständlich. Zu sehr bestimmt das tagesaktuelle Pandemiegeschehen die Planung, die im Fall der BMW Open gleich ein ganzes Füllhorn unterschiedlicher Szenarien vorsieht: Je nachdem, wie viele beziehungsweise ob Zuschauer vor Ort zu Matches und eventuellem Rahmenprogramm zugelassen sind.
Spannend ist beispielsweise die Frage, nach welchen Kriterien ausgewählt wird, wer ein Ticket nutzen kann, wenn nur wenige Zuschauer zugelassen sind. Ob Thomas Gottschalk, Boris Becker oder Veronica Ferres: Das Event ist bei Promis beliebt. Die korrekt-verschwurbelte Antwort aus der Pandemie-Diplomatie der Agentur MMP Event dazu lautet auf Nachfrage: „Sollte sich die Möglichkeit ergeben, dass Ende April (begrenzt) Zuschauer auf die Anlage kommen können und wir dies sinnvoll und vor allem sicher gestalten können, werden zunächst die Tennisfans, die bereits im Besitz eines Tickets waren, die Möglichkeit haben, Tickets zu erwerben. Solange der Vorrat reicht." Dies verbunden mit dem Hinweis auf die Webseite: https://www.bmwopen.de/tickets. „Zuschauer wären das Sahnehäubchen", ist Iphitos-Chef Tross ein Stück offenherziger. „Wir haben verschiedene Konzepte, mit Zuschauern, ohne Zuschauer, mit wenigen Zuschauern. Wir machen das ja letztlich für die Zuschauer."
Falls das Wetter unbestimmt bis unfreundlich ist, erscheint die Option, die Matches aus dem warmen Heim mithilfe technischer Übertragungen zu sehen, gar nicht so schlecht. Auch Tennis-Enthusiasten sind daran mittlerweile gewöhnt und digital Mitfiebern ist immer noch besser als gar keine BMW Open. Altvertraut, wird das Turnier in Gänze auf ran.de live gestreamt. Weitere Sender sollen wieder einzelne Matches live via Internet übertragen. Von Freitag bis Sonntag sendet der Bayerische Rundfunk jeweils das Match des Tages im Free-TV, also ganz klassisch zu sehen auf Fernsehgeräten. „Wir werden digital und auf Social Media eine Vielzahl an neuen Formaten mit den Spielern einführen und auch interaktiv die Fans in die Matches einbinden", kündigte Adrian Natusch von der veranstaltenden Eventagentur an.
Matches komplett mit LED-Bande
Erstmals werden 2021 digitale LED-Kopfbanden zum Einsatz kommen, die auch interaktiv genutzt werden. Geld haben die Veranstalter für die moderne Ausstattung wohl unter anderem vom Münchener Autohersteller in die Hand bekommen, dessen neueste Modelle stets, neben dem Center Court quasi schwebend, Sehnsucht bei den Spielern auf die Siegertrophäe wecken sollen. Christian Masanz, Leiter Sportmarketing BMW Deutschland, berichtet von Workshops und der Entwicklung neuer Konzepte: „Das Ergebnis ist die vorzeitige und langfristige Verlängerung dieser erfolgreichen Partnerschaft, mit der wir auch ein Zeichen für die Sportstadt und den Tennis-Standort München setzen."
Können Zuschauer, die von zu Hause auf die Umrandung der Courts gezoomt werden, ihre Stars anfeuern? Wird es digitale Autogrammstunden mit den Favoriten geben? Wer weiß, besondere Umstände machen erfinderisch und wer alle Möglichkeiten nutzen will, sollte tagesaktuell auf die Turnier-Webseite und in die sozialen Medien unter den Trendthemen beziehungsweise Hashtags „BMW Open" und „Tennis" blicken. „Wir sind jetzt schon die größte Tennis-Community in Deutschland, rund um die BMW Open, wir schauen auf die Integration der Zuschauer, egal ob sie vor Ort sind oder nicht", sagt Iphitos-Mann Tross. Die Akquise der Partner sei sehr wichtig: „Innovationen müssen finanziert werden." In diesem Jahr besonders, wenn es um die Frage der Medialisierung geht. „Wir werden eines der ersten 250er-Turniere sein, die Matches komplett mit LED-Bande versehen, um Zuschauer zu Hause und vor Ort anzusprechen und ins Turnier hereinzunehmen." Passend zu den derzeitigen Stellvertreter-Digitalerlebnissen wollen die Organisatoren das Thema „E-Sport", also auf den Bildschirmen ausgetragene Matches, mehr angehen, auch mit neuen Partnern.
Das beliebte Vor-Turnier der French Open findet dieses Jahr wieder im Frühsommer statt, nur um eine Woche verschoben. Sechs der für die BMW Open gemeldeten Spieler haben in den zurückliegenden Monaten Turniere gewonnen und fallen durch Ehrgeiz positiv auf. Beim Warmwerden auf frisch aufgetauten Sandböden könnten einige der aktuell interessantesten Ranglisten-Shooter auf der ATP-Tour auch in München die Tenniswelt aufmischen. Allen voran Jannik Sinner. Turnierdirektor Patrik Kühnen über den Italiener, der Roger Federer an seinen eigenen, unbedingten Siegeswillen erinnert: „Das ist der Spieler, über den man spricht, der nächste Top-Ten-Spieler, vielleicht sogar einst Nummer eins. Er hat 2019 die Next Gen ATP Finals gewonnen."
Mit Alexander Zverev, Hubert Hurkacz, Aslan Karatsev und Marton Fucsovics werden in München vier Spieler aus den Top Ten der Jahresrangliste ATP Race to Turin dabei sein, die ausschlaggebend für das ATP-Finale Ende des Jahres in Turin ist. „Wer beim ATP Race weit vorne ist, ist aktuell das Maß aller Dinge", sagt Kühnen. Auch Casper Ruud, Lorenzo Sonego, Guido Pella, John Millman und weitere international bekannte, starke Spieler sind gemeldet.
„Ich spiele gerne in der Heimat"
Frisch an seinem Vorbild Federer vorbeigezogen ist Alexander („Sascha") Zverev. Zum siebten Mal kommt der 23-Jähige, der nach seinem Sieg beim 500er-Turnier in Acapulco auf Platz sechs der Weltrangliste steht, unter die Kastanienbäume des Münchener Vereins. „Mit 16 habe ich bei Euch das erste Mal gespielt", sagte Zverev in einer Videoschalte zu Kühnen. „Du hast mir die Wildcard gegeben. Ich spiele extrem gern in Deutschland, in der Heimat." Und einmal mehr kommt seine Kampfansage an die BMW-Open-Legende Philipp Kohlschreiber. Der Augsburger ist der bislang einzige, dreifache Champion. Mit 37 Jahren ist er auch dieses Jahr, und zwar zum 16. Mal, dabei. Doch Zverev betont: „Ich hoffe, dass ich das dritte Mal das Turnier gewinnen kann." Anders als 2019 fühlt sich der gebürtige Hamburger aktuell wohl, hat seine Doppelfehler-Manie hinter sich gelassen, spielt meist souverän. Jüngst wurde der 23-jährige Familienmensch Vater einer Tochter namens „Mayla". Seine Management-Probleme sind gelöst, Bruder Mischa hat übernommen. „Die Rollen sind gut verteilt", sagt Sascha über sein Team. „Das ist extrem wichtig für mein Spiel, dass ich mich wohlfühle mit den Leuten. Ich spiele das Turnier extrem gern, die Zuschauer stehen hinter mir."
Deutschlands Nummer zwei, Jan-Lennard Struff, der 2019 während der BMW Open Vater wurde, kam hier bereits 2014 ins Halbfinale. Dominik Koepfer aus Furtwangen ist mit 26 Jahren erstmals dabei, nachdem er sich mit dem Halbfinale in Acapulco auf Platz 54 im Profi-Ranking vorgearbeitet hat. Ein spannender und wenig bekannter Gegner ist der Russe Aslan Karatsev. Er stand Mitte März 2020 noch auf Rang 253 der Weltrangliste. Mittlerweile ist er die Nummer 27. Nach vielen Challenger-Erfolgen schied er bei den Australian Open gegen den späteren Sieger Novak Djokovic aus. Als erster Spieler kam der 27-Jährige bei seinem Grand-Slam-Debüt dort bis ins Halbfinale. Mit einer Wildcard gewann der Russe beim 500er-Turnier in Dubai den Titel. „Man weiß nie, wann der Erfolg kommt", sagt er weise. Sogar die Qualifikanten sind heuer spektakulär: Sebastian Korda aus den USA, Viertelfinalist bei den Miami Open, und Alexei Popyrin, 21-jähriger Champion des Turniers in Singapur.
Das Finale ist offen: Es darf durchaus sinniert werden, ob Jannik Sinner auf dem schweren Sand von München weiter Fahrt aufnimmt für das Sandplatz-Grand-Slam in Paris. Der 19-Jährige aus Innichen in Südtirol verdaut noch seine Finalniederlage aus dem 1000er-Turnier in Miami gegen den Polen Hubert Hurkacz. Der 24-Jährige aus Breslau gewann heuer schon zwei Turniere und tritt ebenfalls bei den Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften an. Trost für Sinner: In München holten schon manche Spieler das Beste aus sich heraus, die mit frisch getanktem Selbstbewusstsein danach die Sandplätze der hochrangigsten Turniere eroberten.