Bei einem Ausflug nach Kladow in Berlin kann man nach einer schönen Fahrt übers Wasser den gemütlichen Ort am Westufer der Havel entdecken.
Kreuzfahrten sind etwas in Verruf geraten. Organisiertes Massenvergnügen auf engstem Raum, kurze Touren, kaum da sein, schon wieder weg sein und dann noch die ganze Luftverschmutzung. Während die Reedereien spätestens in der CoronaKrise genug Zeit zum Umdenken haben, fällt es für uns jetzt ein paar Nummern kleiner aus. Sich in aller Seelenruhe übers Wasser schippern zu lassen und in einem kleinen Hafen an Land zu gehen, Bekanntes wieder zu entdecken und das Schlendern neu zu lernen, das ist noch immer möglich. Auch und gerade in Berlin.
Vorbei an der geschützten Insel Imchen
Vom Anleger Bahnhof Wannsee geht stündlich die knapp 20-minütige Schiffsreise hinüber auf die andere Seite nach Kladow, jenem gemütlichen Ort mit dörflichem Flair am Westufer der Havel. Eine kleine Kreuzfahrt, die zum Netz des öffentlichen Nahverkehrs gehört und damit erschwinglich ist für jedermann, eine Schiffstour, mit allem was dazu gehört. Kreischende Möwen am Himmel, sanftes Plätschern der Wellen und jede Menge schönster Aussichten. Vorbei geht es zunächst am Strandbad Wannsee, das mit seinem über einem Kilometer langen Sandstrand – der Sand wurde güterwaggonweise vom Ostseebad Timmendorf herangeschafft – und seiner denkmalgeschützten doppelgeschossigen Architektur zu den größten Freibädern an einem Binnengewässer in Europa gehört. Flach streckt sich der ganze Komplex am Ufer entlang und duckt sich harmonisch in die Landschaft. In Sichtweite schon jetzt die Insel Schwanenwerder, verbunden mit dem Ufer nur durch eine schmale Straße, ein besonderes Eiland, das der Öffentlichkeit den Zugang zu seinem Ufer nicht erlaubt. Und ein zweifelhafter Ruhm als Bonzen-Eiland haftet dieser Insel noch immer an, rissen sich doch dort in den 30er-Jahren die Nazigrößen Goebbels, Speer und Hitlers Leibarzt Morell die besten Grundstücke unter den Nagel, um es sich dort ungestört besonders gut gehen zu lassen.
Nun aber nimmt die Fähre einen großen Bogen und umfährt die 2,5 Hektar kleine Insel Imchen, die dem Kladower Hafen vorgelagert ist. Die Insel ist naturbelassen und darf als Rückzugsgebiet für Eisvögel und Haubentaucher von Touristen nicht betreten werden. Gut so. Nicht auszudenken, was sich dort die sogenannnte Erlebnisgastronomie alles hätte einfallen lassen können.
Wer nun an Land geht, steuert geradezu die großzügigen Vorgärten einiger Restaurants an. Man ahnt, was auf der Speisekarte steht. Aber man muss ja nicht direkt vom Dampfer in die Freiluftschänken fallen, wenn der Ort mehr zu bieten hat als Pils, Pizza, Pommes und eine schöne Sicht auf den Hafen. Wie so oft, liegt das wirklich Sehenswerte ein wenig abseits des Zentrums.
Die Imchenallee, Kladows Flaniermeile, führt in südwestlicher Richtung am Havelufer entlang, es wird ruhiger und beschaulicher, je weiter man sich vom Fähranleger entfernt. Zwischen mächtigen Bäumen führt der Weg, der nur an wenigen Stellen den direkten Zugang zum Wasser ermöglicht. Zäune und Vorhängeschlösser schützen die Ufervegetation, wohl aber vor allem den Privatbesitz. Oberhalb des Dünenhangs stehen prächtige Villen, denn Ende des 19. Jahrhunderts begann der Zuzug städtischer Bevölkerung, gut betucht die meisten. So wurde der bis heute erhaltene dörfliche Charakter Kladows ergänzt durch repräsentative Bauten wohlhabender Bürger, die ihre Anwesen selbstbewusst und geschmackvoll um den Kern der ehemals slawischen Siedlung errichteten. Hochwertig gestaltete Gärten erfreuen das Auge des Spaziergängers. Aber nicht alles passt dazu. Was heutzutage in moderner Kartonarchitektur in die letzten vorhandenen Lücken hineingebaut wird, zerstört das harmonische Ensemble aus früheren Zeiten.
Einen kleinen Hügel hinauf führt der Weg zu einem wahren Kleinod Kladows, dem Landhausgarten Dr. Max Fraenkel. Wo zuvor eine Ziegelei und ein bescheidenes Sommerhaus standen, ließ zwischen 1925 und 1933 der Bankdirektor Dr. Fraenkel von dem renommierten Gartenarchitekten Erwin Barth das abfallende Gelände zu einem sehenswerten Terrassengarten umgestalten. Steinmauern und Treppen strukturieren zurückhaltend die unterschiedlichen Bereiche wie Rosen-, Obst- und Teegarten, in die sich eine naturnahe Teichanlage märchenhaft zwischen Kiefern und Eichen einfügt. Nach der Flucht des jüdischen Bankiers 1933 und dem Freitod Erwin Barths im gleichen Jahr ging das Grundstück fünf Jahre später in den Besitz des deutschen Reiches über. Es wurde als Zollgrenzstelle genutzt. Nach dem Kriegsende verfiel die Anlage, wurde aufgeteilt und missbraucht für Wochenendnutzung und Hobbyangler. 1990 endlich begannen nach den Originalplänen und historischen Fotografien die umfassenden Sanierungsarbeiten, sodass heute die 3,5 Hektar große Anlage wieder ein wertvolles Zeugnis Berliner Landhausentwicklung darstellt.
Ein hügeliges Waldgebiet und mondäne Villen
Zurück geht der Weg durch den Ort zur evangelischen Dorfkirche, deren Grundmauern bis heute auf die alte Bauern- und Fischerkirche hinweisen, Mittelpunkt des alten Kladow, auf einer eiszeitlichen Haveldüne im 14. Jahrhundert errichtet, mehrfach umgebaut und restauriert. Eine abfallende Straße führt nun wieder hinunter zum Fähranleger, aber es geht abschließend zum Gut Neu-Kladow. Durch eine prächtige Allee, begrenzt von hügeligem Waldgebiet und mondänen Villen zur Wasserseite hin, betritt man durch einen Torbogen das weitläufige Gelände, eine Parkanlage auch dies. Hier steht das 1800 erbaute Gutshaus, einem Mini-Schlösschen gleich, in dem einst die Mutter des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck lebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von der Arbeiterwohlfahrt als Freizeitheim genutzt, Leerstand und langsamer Verfall auch über Jahre danach. Frisch renoviert erstrahlt es nun in neuem Glanz, genutzt für kulturelle Veranstaltungen und beliebtes Ausflugslokal am anderen Ende Kladows. Von der Terrasse aus bietet sich ein weiter Rundblick über die Havel, hinweg über den dichten Schilf- und Röhrichtsaum, der bedrohten Tieren wie Rauchschwalben und Bachstelzen Schutz und Rückzugsraum bietet. Die weite Fläche, die vereinzelten Bäume entlang des Ufersees lassen vergessen, dass man sich zwischen dem hektischen Berlin und dem beschaulichen Potsdam befindet.
Zwischen die Imchen-Insel und die Bootsstege des Kladower Hafens schiebt sich die Fähre zum Anleger Wannsee. Zurück kommt man immer. Wer das letzte Schiff verpasst, kommt mit dem Bus bequem zurück in die Stadt. Aber man sollte sich Zeit lassen. Wenn die Sonne im Westen versinkt, wird die Havel zu einem glitzernden Meer. Um solch ein Bild zu genießen, muss man keine große Kreuzfahrt buchen.