Wie kommt eine junge Frau dazu, Bestatterin zu werden und sich mit Trauer und Tod zu beschäftigen? Bei der Berlinerin Maxie Heiner fing es mit einem Kunststudium an.
Tatsächlich trifft man in Berlin noch hin und wieder Erwachsene, die jung, dynamisch, selbstbewusst und gutaussehend sind und ausnahmsweise nicht als Zugezogene aus Westdeutschland die coolen Kieze bevölkern. Es sind die letzten Einheimischen, die kein Start-up-Unternehmen gegründet haben, ohne Laptop im Café sitzen und sich ihren letzten Burnout auch nicht online wegcoachen lassen. Manche von ihnen berlinern noch ein bisschen, ihr Humor ist trocken und gelassen, und beweisen müssen sie sich und anderen längst nichts mehr. Zu dieser vom Aussterben bedrohten Spezie gehört Maxie. Das ist kein Spitz- sondern ein echter Vorname, der ein wenig ostig, aber angenehm unaufgeregt klingt. Maxie Heiner, Jahrgang 1985, kommt aus Friedrichshain und lebt seit Jahren im tiefsten Neukölln. Eine quicklebendige Frau, die ihr schwarzes Haar gerne mit einer blauen Strähne ziert. Ihr Beruf: Bestatterin.
Maxie hätte alles andere werden können, sie hat beste Startbedingungen. Die Eltern, beide Informatiker von Beruf, fördern ihre drei Töchter, die Kinder sollen Sprachen lernen und ihren Horizont erweitern. Das geht besser nach der Wende. Die Familie tourt jetzt durch Europa, Neues entdecken, Bildung ist in der Familie wichtig. Maxie erinnert sich zwar noch an den Fall der Mauer, aber die neue Zeit gerinnt in einem anderen Bild: Der Großvater zaubert eine Tüte Erdnüsse hervor und füllt damit die Spielzeug-Badewanne aus der Puppenstube. So etwas bleibt für ewig im Gedächtnis; merkwürdig, wie man sich Geschichte merkt. Maxie, die Älteste der drei Schwestern, fällt die Schule leicht, sie ist lernwillig, Sprachen, Kunst und Biologie liegen ihr. Aber zunehmend stört sie das starre Regelwerk der Schule, die Willkür mancher Lehrer. Ihr Abitur macht sie trotzdem mit der Note 1,2 – ein glänzender Abschluss! Was nun? Sie muss etwas mit den Händen gestalten, was sie macht, es soll sich echt anfühlen, auch im Beruf, soviel ist zumindest klar. Gestaltungswütig war sie schon immer, das lag ihr: zeichnen, Kleider entwerfen und selbst zusammennähen. Maxie entscheidet sich für Schönes und Handwerkliches, Bildhauerin möchte sie werden oder Bühnenbildnerin und so tingelt sie von Theater zu Theater, klingelt an Hintereingängen und fragt nach Praktika.
An Theatern gearbeitet
Ihre Eltern tragen den Berufswunsch ihrer Tochter mit Fassung, unterstützen sie und Maxie macht, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Ein Jahr lang verdingt sie sich an verschiedenen Bühnen, die meiste Zeit in der Bühnenbildwerkstatt der Dresdner Semperoper. Dann aber soll es doch die Bildhauerei werden. In Berlin und in Sachsen lernt sie bei zwei Künstlerinnen, bewirbt sich an verschiedenen Hochschulen und beginnt schließlich an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ihren Diplomstudiengang Bildhauerei, den sie nach sieben Jahren erfolgreich und mit dem Zusatz Meisterschülerin abschließt. Rückblickend nennt sie diese Jahre eine „coole Zeit“, weil sie viel lernt, sich die Nächte in den Ateliers um die Ohren schlägt, Ausstellungen mit anderen zusammen auf die Beine stellt. Sie arbeitet viel, unreglementiert, ein wenig anarchistisch auch. Aber wozu ihre ganze Kunst? Gibt es eine Botschaft? Will sie die Welt retten? In der Kunst geht es ihr um Geheimnisse, sie ist ein Weg, um hinter den Vorhang der Welt zu schauen. Vielleicht ein Fingerzeit auf ihre spätere Berufswahl. Zudem hat Maxie einfach Freude daran, schöne Dinge anzugucken und zu erschaffen; alles, was sie macht, muss sich echt anfühlen. Damit verdient man kein Geld, sie jobbt nebenbei in Kneipen und im Charlottenburger Heimatmuseum. Immer stärker spürt sie, dass sie sich in dem professionalisierten Kunstbetrieb nicht wohlfühlt. Sie hat einfach keine Lust, sich und ihr Schaffen künstlich aufplustern zu müssen, zu viel eitler Zirkus, zu viel Gewese, und sie weiß, dass es das alles noch nicht gewesen sein kann.
Das ist anders, wenn sie ihrem außergewöhnlichen Hobby nachgeht. Das 10. Jahrhundert hat es ihr angetan, die Alltagswelt der Westslawen. Und so reist sie in die Lausitz und nach Dänemark, besucht Ausgrabungsstätten, um herauszufinden und nachzumachen, wie die Vorfahren ihr Handwerk verstanden. In Freilichtmuseen sitzt nun hin und wieder Maxie, die moderne Frau, in nachgeschneiderten Leinenkleidern, und begeistert sich für die Herstellung von Glasperlen nach historischem Vorbild. Frühe Geschichte erleben und nach historisch korrekten Funden und Vorbildern neu inszenieren, Besuchern Verschollenes und Vergessenes wieder nahebringen. Das gefällt ihr. Aber das ist eine Leidenschaft für die Freizeit, kein Beruf.
Friedhöfe haben sie fasziniert
Beim rbb arbeitet sie bald als Redaktionsassistentin, ein spannender Job, der sie über Wasser hält und ihr noch Zeit für ihre Kunst lässt. Und von irgendetwas leben muss sie schließlich auch. Das macht Spaß beim Fernsehen, aber ihr Tätigkeitsfeld ist eingeschränkt, und Entwicklungsmöglichkeiten gibt es für sie nicht. Zudem wird ihr in dem Politmagazin auch ein bisschen viel Wind gemacht, das kannte sie schon aus dem etablierten Künstlerbetrieb. Wieder beschleicht sie das Gefühl, dass es das noch nicht gewesen sein kann, und langsam nistet sich die Idee ein, es als Bestatterin zu versuchen.
Zunächst erscheint es Maxie wie eine wilde Spinnerei, aber je länger sie darüber nachdenkt und sich ernsthaft mit der Idee befasst, desto interessanter erscheint ihr plötzlich ein Beruf, der ihr so fremd gar nicht ist. Bestattungsriten und Friedhöfe haben sie schon immer fasziniert, das liegt nahe bei ihrem Hobby. Und wie ist es eigentlich heute, wenn der Mensch das große Thema Tod bewältigen soll? Maxie sucht einen Beruf, dessen Aufgabe sich weiterentwickelt, in dem sie mitwachsen kann und sie beginnt, sich kundig zu machen. Diese Gedanken macht sie sich allein, erst später holt sie bei Freunden Rat ein. Ermutigung und Zuspruch von den meisten. Sehr schnell findet sie nun heraus, dass es eine junge, engagierte Szene von Bestattern gibt, die neue Antworten und Rituale suchen in einer Zeit, wo die Menschen weniger religiös geworden sind und sich traditionelle Bindungen wie Familie und kirchliche Institutionen lockern oder auflösen. Maxie ist kein abwartender Typ, wenn es sie packt. Sie will alles wissen über die Bestattungskultur und den praktischen Umgang mit dem Tod. Nach vier Praktika bei verschiedenen Instituten steht ihr Entschluss fest. Das ist ihr Ding, das will sie machen. Idealistische Vorstellungen von dem, was sie erwartet, hat Maxie nicht. Sie kann sehr sachlich sein. Nicht jeder schläft friedlich ein, nicht jeder Tote ist schön, und vieles ist gewöhnungsbedürftig. Sie wird Leichname anfassen, sie waschen, einkleiden, ihnen die Haare kämmen und herrichten. Sie wird mitten in der Nacht zwischen erschütterten und verzweifelten Angehörigen stehen und selbst immer wieder auch an die eigene Endlichkeit erinnert werden. Es ist schwer zu akzeptieren, wie fragil das Leben ist und damit klarzukommen, dass es von einer Sekunde auf die andere endgültig vorbei sein kann. Spätestens dann gibt es auch kein Aber mehr. Worum kann es dann noch gehen?
Es geht zuallererst um Würde. Die Toten zu bestatten, wie sie es sich als Lebende gewünscht oder wie die Hinterbliebenen es für angemessen halten – nur das zählt. Eine individuelle Bestattung ist ein sensibles Handwerk, das den Tod aus der Anonymität der Krankenhäuser holt und das Abschiednehmen zu einem gemeinsamen Prozess, zu einer bleibenden, intimen Erinnerung macht. Die bürokratische Trennung der Toten von den Lebenden, das Aussortieren und der nüchterne Abtransport des Leichnams bis zur Grablegung soll, so Maxie Heiner, ein Stück weit aufgehoben werden, um einen liebevollen Abschied zu ermöglichen. Es geht. Wenn es gewünscht wird, holt sie gemeinsam mit den Angehörigen den Verstorbenen aus dem Krankenhaus ab, gemeinsam wird er in den Sarg gebettet, zum Krematorium begleitet, die Trauerfeier gestaltet und die Urne gemeinsam beigesetzt.
Ihre Ausbildung hat Maxie Heiner abgeschlossen, seit August letzten Jahres ist sie fest angestellt. Sie glaubt nun, den Beruf gefunden zu haben, der sie ausfüllt. Der tägliche Umgang mit dem Tod hat sie nachdenklicher und gelassener gemacht. Angst vor dem eigenen Tod hat sie nicht. Es ist ja nicht der Tod an sich, sondern die Vorstellung, die sich die Menschen davon machen. Was sie darüber denkt, verrät sie nicht. Aber vielleicht ist es kein Zufall, dass sie bei einem Unternehmen arbeitet, das „Himmelsleiter-Bestattung“ heißt.