China, Russland & Co.: In immer mehr Ländern geben Autokraten den Ton an
Erinnern Sie sich noch an den Mauerfall im November 1989? An die Tage, als ganze Trabi-Kolonnen an hochgeklappten Schlagbäumen vorbei von der DDR in den Westen tuckerten? Als sich wildfremde Menschen in den Armen lagen und den Triumph der Freiheit feierten? Ein Gefühl von Epochenbruch lag in der Luft.
US-Präsident George H. W. Bush sah damals eine „neue Weltordnung“ heraufdämmern. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus prognostizierte er den weltweiten Vormarsch der Demokratie. In einer Rede vor beiden Kammern des Kongresses träumte der Präsident am 11. September 1990 von einer „Ära, in der die Völker der Welt, Ost und West, Nord und Süd, prosperieren und in Harmonie leben können“. Er versprach eine „Welt, in der die Herrschaft des Rechts die Herrschaft des Dschungels ersetzt“. Bush ging davon aus, dass der russische Staatschef Michail Gorbatschow und andere Führer seine Vision teilten. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sagte in seinem aufsehenerregenden Artikel „Das Ende der Geschichte“ vom Sommer 1989 den globalen Siegeszug der liberalen Demokratie voraus.
Mehr als 30 Jahre danach sind euphorische Zukunftsbeschreibungen dieser Art nur noch idealistische Lyrik. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt: In vielen Ländern sind nicht Freiheit, Pluralismus und Gewaltenteilung vorherrschend, sondern Autokratie und Einparteien-Dominanz.
In China ist Xi Jinping de facto Präsident auf Lebenszeit. Der Nationale Volkskongress entschied 2018 mit großer Mehrheit, die in den 1980er-Jahren eingeführte Begrenzung der Amtszeit aufzuheben. Die Kommunistische Partei Chinas ist ihrem Vorsitzenden Xi treu ergeben, Oppositionsparteien sind nicht zugelassen. Legitimität verschafft sich der Präsident nicht durch politische Teilhabe der Bürger, sondern durch Wohlstandsversprechen: Das extrem wachstumsorientierte staatskapitalistische System ermöglichte es Millionen Chinesen, aus der Armut in die Mittelklasse aufzusteigen.
In Russland drückte Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr per Gesetz und Volksabstimmung eine Verfassungsänderung durch. Damit kann er bis 2036 an der Macht bleiben. Die Mehrheit im Referendum sicherte er sich durch Bonbons wie eine jährliche Rentenerhöhung. So wird die zuvor geltende Regelung von maximal zwei Amtsperioden ausgehebelt.
Treibende Kräfte der russischen Wirtschaft, die im Wesentlichen aus der Öl- und Gasindustrie besteht, sind die Oligarchen. Diese milliardenschweren Unternehmer ziehen sowohl in Staatskonzernen als auch in Privatfirmen die Fäden. Ohne Nähe zu Putin kann sich keiner im Chefsessel halten. Der extreme Gegensatz der Einkommen zwischen den in Geld schwimmenden Oligarchen und dem Durchschnitt der Bevölkerung ist eine Pervertierung des früheren sozialistischen Gerechtigkeitsmodells.
Putin unterstützt derzeit demonstrativ den mit Polizeiknüppeln regierenden belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der im Westen auch „Europas letzter Diktator“ genannt wird. Dass der Funke der Opposition von Belarus nach Russland überspringt, will Moskau in jedem Fall vermeiden.
Der brutale Kurs gegen Andersdenke, Haftstrafen für Demonstranten und kritische Journalisten sind auch in Ländern wie der Türkei oder Saudi-Arabien das Credo der Herrschenden. Kronprinz Mohammed bin Salman, der starke Mann in Riad, hat mit der bestialischen Tötung des Journalisten Jamal Kashoggi ein menschenverachtendes Signal gegen Meinungsfreiheit gesetzt. Nach den Erkenntnissen etlicher Geheimdienste wurde das Killerkommando von ihm losgeschickt.
Angesichts dieser in vielen Teilen der Welt expandierenden Übermacht der Autokraten bleibt die nüchterne Erkenntnis: Es gibt nur noch wenige Inseln der Demokratie, wenn man Standards wie Gewaltenteilung, Rechtsstaat, Presse- und Versammlungsfreiheit und Marktwirtschaft ernst nimmt. Dazu gehören der Westen Europas oder die USA unter Präsident Joe Biden. Ob Amerika aber auch nach Biden zum demokratischen Lager zählt oder ein autokratischer Neo-Trumpismus einzieht, ist aus heutiger Sicht offen.
Es gibt keine Ewigkeits-Garantie für die Demokratie – nirgends. Ihr Fortbestand hängt vor allem davon ab, dass die Bürger ihren Wert erkennen, für sie einstehen und – wenn nötig – für sie kämpfen. Freiheit ist nicht selbstverständlich.