Ihr Frühwerk in den Neunzigern wird zurecht kultig verehrt. Diese ersten Meisterwerke – insbesondere das kanonisierte zweite Album – etablierten einen plüschigen, dunkel-orchestralen Pop, der seither regelmäßig bezaubern konnte.
Noch vorletztes Jahr wusste „No Treasure But Hope" zu betören. Willkommen also nun zu „Distractions" – übersetzt: Zerstreuungen, Ablenkungen. Zerstreut klingt hier freilich nichts, als wirkungsmächtige Ablenkung taugt das Werk inmitten dieses zermürbenden aktuellen Zeitalters dennoch gewiss.
Indes: Ein Hang zu Melancholie und eine Liebe zum leise-bedachten Ton dürfte Voraussetzung sein für den Genuss dieser Lieder. Zweimal bedient sich der begnadete Nuschler Stuart A. Staples bei fremdem Liedgut. Neil Youngs klassische Ballade „A Man Needs a Maid" wird ihres über-schäumenden Herzblutes beraubt und mit einem gemächlichen Groove nahezu auf Gleichgültigkeit gedimmt. Belanglos wird das Ganze dadurch nicht. Was durchaus für den ureigenen Charakter dieser Combo spricht…
Das Television-Personalities-Stück „You’ll Have To Scream Louder" wiederum verdichtet die Botschaft des Originals zu nackter Verzweiflung. Auch hier rettet den Hörer die patentierte Tindersticks-Lässigkeit nebst einer ungewöhnlich offensiven Rhythmik samt Funk-Gitarre und verführerischer Orgel Schlieren. Man kann dazu sogar (versunken) tanzen. Ebenfalls lässt sich das Tanzbein schwingen zur über zehnminütigen Eröffnung „Man Alone (Can’t Stop The Fadin’)". Hypnose durch Repetition. Krautrock mithin. Neuland. Respekt. Anderes klingt heimischer im Tindersticks-Universum: „Tue-moi" ist eine introspektive Piano-Meditation. Klassisch groß. Vogelgezwitscher und Flötentöne eröffnen das neunminütige „The Bough Bends". Ein elektrisches Klavier setzt verträumte Tupfer zu Staples’ Sprechgesang, Saiten und Rhythmik begleiten, treiben nicht.
Das Finale ist schließlich ein Donnergrollen. Für eingefleischte Fans dürfte dieser sehr intensive Schluss-Track der Höhepunkt von „Distractions" sein.