Mit seinen kultigen Spielshows gelang es Rudi Carrell, ein ganzes Land einträchtig vor dem Fernseher zu versammeln. Die Deutschen liebten ihn vor allem wegen seines Humors, den er sich bis zum bitteren Ende bewahrte. Am 7. Juli vor 15 Jahren starb der niederländische Entertainer in Bremen.
Er will so singen wie die Alten: Rudi Carrell, als Rudolf Wijbrand Kesselaar geboren am 19. Dezember 1934 in Alkmaar, Niederlande, lernt sein Handwerk von der Pike auf. Bereits Großvater und Vater verdienen ihr Geld im Showgeschäft. Der Komiker und Conférencier André Carrell beschäftigt seinen Sohn als Assistent und Sekretär; manchmal darf Rudi sogar mit auf der Bühne stehen. Er ist 17 Jahre alt, als er seinen Vater während einer Betriebsveranstaltung auf der Bühne vertritt. Der große Erfolg ermutigt ihn, ein eigenes Kabarett-Ensemble zu gründen. Mit seiner Cabaretgezelschap (Kabarettgesellschaft) knüpft er erste Kontakte zum Rundfunk; am 29. September 1956 debütiert er mit einer Solonummer als Akteur vor der Fernsehkamera.
Von 1956 bis 1959 beglückt Rudi Carrell die niederländischen Radiohörer als frecher Krantenjongen (Zeitungsjunge), der aktuelle Ereignisse mit selbstgeschriebenen Liedern und Gags kommentiert. Da er selbst keine Noten lesen kann, lässt er die musikalischen Einfälle für seine erste erfolgreiche Radioshow von befreundeten Komponisten umsetzen.
Er nahm sich stets selbst auf die Schippe
Eine Niederlage ist dann der Startschuss für eine einzigartige Fernsehkarriere: Obwohl er mit dem Lied „Wat een geluk" (Was für ein Glück) beim Grand Prix Eurovision de la Chanson im Jahr 1960 nur den zweitletzten Platz erreicht, beweist er Größe und Humor, indem er sich im Radio über sich selbst mokiert. Der Entertainer Rudi Carrell ist geboren und kann sich von nun an vor gut dotierten Fernsehangeboten kaum retten. Sein Motto: „Witze kann man nur dann aus dem Ärmel schütteln, wenn man sie vorher hineingesteckt hat."
Carrells Liaison mit dem deutschen Fernsehen beginnt 1964 in der Schweiz. Dorthin war der Entertainer mit seiner seit 1959 in den Niederlanden äußerst erfolgreichen Unterhaltungssendung „Die Rudi Carrell Show" eingeladen und mit der „Silbernen Rose von Montreux" geadelt worden. In Montreux lernt Carrell Mike Leckebusch von Radio Bremen kennen, der ihn für neun Folgen einer deutschen Ausgabe der „Rudi Carrell Show" verpflichtet. Sie flimmern von 1965 bis 1967 über den Bildschirm; weitere 18 Abende folgen.
Carrells Gespür für Gags und seine jungenhafte, ungekünstelte Art, die immer mit einer Prise Selbstironie gewürzt ist, fasziniert die Zuschauer. Schnell erobert er sich ein Millionenpublikum. „Ich habe den Deutschen das Lachen beigebracht", lässt er, nicht ganz unbescheiden, verlauten. Dass er in dieser Hinsicht keinerlei Berührungsängste hat, beweist er mit Auftritten in eher seichten Schlagerkomödien wie „Tante Trude aus Buxtehude".
Carrell erfand immer neue Fernsehformate
Nicht ganz unbegründet heißt es von Rudi Carrell, er habe den Beruf des Showmasters in Deutschland eingeführt. Sein Erfindungsreichtum in puncto TV-Unterhaltung jedenfalls ist legendär. Immer neue Formate erreichen die deutschen Wohnzimmer. 1974 fällt der Startschuss für die Unterhaltungsshow „Am laufenden Band" – ein Konsumvergnügen der besonderen Art, lange vor der Erfindung der Verkaufsshows im Privatfernsehen. 1981 heißt es im WDR „Rudi kann’s nicht lassen", und im gleichen Jahr startet mit „Rudis Tagesshow" eine Persiflage auf die Hauptnachrichtensendung der ARD – mithin ein Vorläufer der aktuell beliebten „ZDF Heute-Show". Eine Episode führt zu internationaler Empörung und Morddrohungen gegen den Moderator: Durch geschickte Bildmontage war der Eindruck erzeugt worden, Ayatollah Khomeini wühle in Damenunterwäsche.
Auch als Sänger begeistert Carrell die Massen. 1975 und 1978 erobert er mit den Singles „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?" und „Goethe war gut" die deutschen Charts, während er 1977 mit „Du bist mein Hauptgewinn" für die ARD-Fernsehlotterie eher eine Niete zieht. Nach dem relativ erfolglosen Generationsformat „Die verflixte Sieben" erfindet Rudi Carrell mit der Partnervermittlungsshow „Herzblatt" ein neues kultiges Format, das nach sechs weiteren Moderatoren 2006 eingestellt wird.
Wie kein Zweiter unterhält Carrell das deutsche Publikum mit provokativen Sprüchen, sodass die Fernsehzuschauer regelrecht an seinen Lippen klebten. Kostprobe gefällig? „Udo Jürgens hasst Vatertage. Überall, wo er hinkommt, umarmen ihn fremde Menschen". Oder: „Günter Netzer hat die Fußballrechte an der WM gekauft, für viele Millionen – da sieht man mal, wieviel Geld man spart, wenn man 30 Jahre nicht zum Friseur geht."
Der eine oder andere Witz, über den halb Deutschland herzhaft lachte, stammte übrigens aus niederländischen Zeitungen. Carrell hatte nämlich Tochter Caroline Kesselaar (58) und Enkelin Gabo (29) beauftragt, jeden Morgen die Presse nach guten Gags zu durchforsten und diese dann nach Bremen zu faxen. Pro verwendetem Witz erhielt die Enkeltochter umgerechnet 25 Euro. Auch das Konzept des TV-Hits „Am laufenden Band" stammte wohl nicht von Rudi Carrell selbst, sondern von seiner engsten Freundin, der Fernsehmoderatorin Mies Bouwman (†2018) aus Amsterdam. Über seinen gelegentlichen Ideenklau lachte der Entertainer wahrscheinlich in sich hinein, denn ein Leben ohne Humor war für ihn wie eine Kirche ohne Chor.
Familie für sein Lebenswerk geopfert
Doch sobald die TV-Kameras nicht mehr auf ihn gerichtet waren, zeigte Carrell sein anderes Gesicht. In ihren 2016 erschienenen Kindheitserinnerungen („Die van Carrell") beschreibt Caroline ihren Vater als einen ichbezogenen Alleinherrscher, der seine Familie dem Lebenswerk regelrecht opferte, aber andererseits auch sehr liebevoll sein konnte.
Beatrice Richter erinnert sich 2019 in einem sehr emotionalen Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit" an ihre Zusammenarbeit mit dem Entertainer bei „Rudis Tagesshow": „Rudi Carrell war der kälteste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Er war ein großer dünner Mann, der sehr viel Bier trank, aber nie betrunken war. Er war ein Diktator, er wollte immer gewinnen, was für ihn hieß: Andere müssen verlieren."
Das Verhalten des Showmasters erklärt sich womöglich durch den immensen Druck, unter dem er Zeit seines Arbeitslebens stand: „Ich musste im Durchschnitt jede Woche acht neue Spiele erfinden, der absolute Stress", erzählte Carrell 2013 in seinem letzten Interview. „Bei den Proben haben wir so viele Spiele ausprobiert, und wenn eins nicht funktionierte, hieß es: Rudi, ab nach Hause, neue erfinden!" Eine Höllenqual, die dem Showmaster immer denselben Albtraum bescherte: „Ich stehe auf einer Bühne vor vollem Haus –
und mir fällt nichts ein. Ich stehe da, und es kommt einfach nichts. Kein Witz, keine Idee, kein Gag. Nichts! Alle schauen mich an. Entsetzlich! Schweißausbrüche!"
Der Kettenraucher starb an Lungenkrebs
Bis sich der Entertainer 2002 von der Fernsehbühne verabschiedet und sich als Fernsehproduzent hinter den Kulissen betätigt, erfindet und moderiert er weitere Formate mit meist großem Erfolg; darunter „7 Tage, 7 Köpfe", „Die Rudi Carrell Show – Lass Dich überraschen" und „Rudis Tiershow". Mit „Lass dich überraschen" endet Carrells Karriere als Samstagabendunterhalter. Sein Engagement beim Privatsender RTL hatte zu Unstimmigkeiten mit den Öffentlich-Rechtlichen geführt.
In den Tagen vor einer Show isst er so gut wie nichts, danach trinkt er nur Bier und raucht täglich 60 Zigaretten. Rudi Carrell stirbt am 7. Juli 2006 in Bremen an Lungenkrebs. Dreimal war er verheiratet, hatte drei Kinder von zwei Frauen. Kurz vor seinem Tod äußerte er die Bitte, von einer öffentlichen Beerdigung Abstand zu nehmen: „Aus Angst vor den Jacob Sisters. Mit ihren komischen Pudeln zerstören sie doch jede Atmosphäre."
Dass er in der Öffentlichkeit offen und unsentimental über seine Krankheit und seinen bevorstehenden Tod spricht, bringt ihm neben großer Sympathie auch Hochachtung ein. Seine Fernsehshows erfreuen sich bis heute größter Beliebtheit und werden regelmäßig wiederholt. Rudi Carrell hatte mal wieder den richtigen Riecher, als er einst in seiner unnachahmlichen Art verkündete: „Ich werde noch lange als Wiederholung weiterleben."