Wildzelten hat was von ursprünglichem Naturerlebnis, ist aber fast überall verboten. Einige Landkreise haben mittlerweile auf die steigende Anfrage reagiert. Camp-Betreuer inklusive.
Matt schleppe ich mich den letzten Aufstieg zum Zeltplatz Rehwiese hoch. Der Rucksack zerrt mit Zelt, Isomatte, Schlafsack. Außerdem ist es ein sauheißer Tag, in der letzten Siedlung habe ich bei einem Mann im Garten drei Liter Leitungswasser erbettelt. Wer werden wohl die anderen sein, die für heute Nacht auf der Rehwiese reserviert haben? Ich stolpere aus dem Wald, es ist nach 18 Uhr, die Lichtung ist leer.
Werden mir auf der Wiese im Frankenwald nur Rehe und Wildschweine Gesellschaft leisten? Doch nach und nach füllt sich der Platz, die anderen Trekker trudeln ein. Zelten im Wald, darf man das? Jein. Outdoor-Fans fordern, man solle Wildzelten legalisieren mit einem Jedermannsrecht wie in Skandinavien. So einfach ist es leider nicht.
Ein paar Zahlen: In Norwegen leben pro Quadratkilometer 14 Einwohner (alle Zahlen von 2018), in Deutschland sind es 237. Sogar in Mecklenburg-Vorpommern drängeln sich 69, fünfmal so viele wie zwischen Nordkapp und Oslo. Großstadtmenschen wollen raus, und wegen überfüllter Campingplätze locken Wald und Wiese. Theoretisch darf man eine Nacht im Freien campieren, wenn man die Erlaubnis des Grundbesitzers, also etwa der Forstbehörde, einholt. Das sparen sich die meisten. Aber richtet denn so ein einzelnes Zelt im Wald Schaden an?
Zwei Trekkingplätze im Frankenwald
Im vergangenen Sommer twitterte der Landkreis Miesbach: „Aktuell haben die Rauhfußhühner Küken. Die brauchen die ruhigen Dämmerungsstunden zur Nahrungssuche. Bitte gefährden Sie nicht das Überleben der Küken durch rücksichtsloses Übernachten in der Natur." Darum geht es eben auch.
Den Druck rausnehmen könnten Trekking-Zeltplätze. Man reserviert online und darf für eine Nacht auf einfachen Plätzen rustikal zelten, eine legale Alternative zum Wildcampen, ohne dass Wanderer ihr Zelt zwischen Dauercampern aufbauen müssten. Die Testtour führt in den Frankenwald. Zwei Trekkingplätze können in einer dreitägigen Tour verbunden werden. In Naila am Bahnhof stapfe ich los: Von der Website kann man sich Karte und Beschreibungen ausdrucken oder die GPS-Daten in eine App einspeisen. Die Wanderwege sind perfekt markiert, verlaufen kann man sich praktisch nicht. Nur Schilder zu den Trekkingplätzen gibt es nicht, damit sie nicht jeder findet.
Zum ersten Nachtplatz auf dem Döbraberg geht es auf und ab durchs Mittelgebirge. Mal auf schmalen Pfaden, Steigla genannt, mal auf Forststraßen, durch Wälder und Kornfelder. Der erste Tag endet an einer ehemaligen Skipiste mit fantastischer Aussicht Richtung Sonnenuntergang. Vor einem Zelt sitzt ein junges Paar: ganz in schwarz gekleidet, einige Tattoos sind zu sehen. Haben die sich verlaufen? Wollten die zu einem Rave? Im Gegenteil. Der Mann sagt, er wolle Ruhe im Wald, er sagt das auf fränkisch. Er wolle sei „Rouh ham und die Naduä genießen".
Um mir die Hintergründe der Trekkingplätze zu erzählen, kommen zwei Männer dazu: Gerhard Müller von den Bayerischen Staatsforsten und Jörg Leiner, Campbetreuer vom Frankenwaldverein. Zuständig sind drei Seiten: Besitzer, Betreiber und Betreuer. Der Boden gehört den Bayerischen Staatsforsten, die Gemeinden haben die Plätze mit Feuerstelle in einem großen Metallring, einer Toilette und einer Tonne mit Löschwasser eingerichtet, und der Frankenwaldverein kümmert sich um den Betrieb. Die fränkischen Plätze wurden im Mai 2020 fertig, „im Wald zelten zu lassen, ist für eine Forstbehörde ein großer Schritt".
Jeden Abend schaut ein ehrenamtlicher Camp-Betreuer vorbei. Bislang habe es wenig Probleme gegeben, sagt Leiner. Müll liege nie herum, alle würden ihr Zeug mitnehmen. Mal hätten Jugendliche eine Party feiern wollen, die habe er halt nach Hause geschickt. Das Ehrenamt sei „mehr Lust als Pflicht, weil wir die Natur und den Frankenwald lieben". Fünf Plätze bietet der Frankenwald bislang.
Eine spezielle Website listet Plätze auf
Gibt es so etwas auch woanders? Details findet man auf jedermannsland.de. Nach Bundesländern aufgelistet sind dort Biwakplätze an der Oder, Trekkingcamps im Schwarzwald, Wasserwanderplätze in Mecklenburg-Vorpommern. Leonie Wendel hat die informative Seite gestartet – als Bachelorarbeit. Das Thema werde immer aktueller, antwortet sie auf eine Mail-Anfrage, „stark durch Corona bedingt, doch auch davor schon". Sie sieht ein zunehmendes Bewusstsein für die Umwelt und „Begriffe wie „Flugscham" als Indiz eines veränderten Reiseverhaltens". Nun würden immer mehr Plätze entstehen, sie freue sich „total über Hinweise von Nutzern".
Am zweiten Abend auf der Rehwiese und nach 25 Kilometern durch den Frankenwald, sitzen wir schließlich zu sechst am Lagerplatz. Feuermachen ist wegen der Waldbrandgefahr verboten. Eine Frau aus dem Fichtelgebirge hat geübt ihr winziges Zelt aufgebaut. Daneben stehen zwei Männer aus dem fränkischen Lichtenberg. Sonst wanderten sie in Schottland, erzählen sie, dieses Jahr sind sie von der Haustüre aus losgegangen. Die beiden Männer packen einen halben Hausstand aus ihren gigantische Rucksäcken aus. Töpfe und Teller, einen Kocher, Gaskartusche, Espressomaschine, eine vorbereitete asiatische Gemüsesuppe aus frischem Gartengemüse. Und zehn Eier.
Plötzlich fährt ein Auto vor. Ein Mann steigt aus, geht zum Kofferraum – und bringt einen Kasten Bier. Und er sagt: „Griiß Gott, ich bin der Bürchermaster vo der Gmaa. Und wall hait der haaßeste Tooch vom Johr is, hob i mer denkt, ich bring Innern wos zum Trinken vobei."
Na die Wasserschlepperei hätte ich mir sparen können. Sowieso – wie kurz darauf Campbetreuer Thomas erklärt; er zeigt auf eine große Box auf dem Weg zur Waldtoilette, sie ist randvoll mit Wasserflaschen. Auf Vertrauensbasis bezahlt man. Thomas verlässt uns, und bald kriechen alle in ihre Zelte.
Nachts muss man natürlich raus, wegen des Bieres. Zum Glück!
Da schält man sich aus dem Schlafsack, kriecht krummbucklig aus dem Zelt, und steht im Finstern auf dieser Lichtung im Frankenwald. Komplett still ist es, und von oben wird man mit Sternenlicht beworfen. Da weiß man wieder, was das alles soll, dieses Schlafen im Wald.