Alle Parteien haben sich im Bundestagswahlkampf den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben. Aber egal, ob radikalere Umsetzung der Energie- und damit Klimawende, oder eher moderat: Unser Leben wird sich erheblich verändern.
Reno und Pauline gehen einkaufen, ihre Rucksäcke sind voll mit leeren Lebensmittel-Gebinden. Kein Pfandgut, das zurückgebracht werden muss, sondern vor allem Mehrweg-Verpackungsmaterial für Obst und Gemüse. Die Kartoffeln kommen lose ins Kartoffelnetz, dazu die Zwiebeln, die Tomaten in eine entsprechende Blechdose, eine umfunktionierte Frühstücksdose. Das Gemüse wird in Pappschachteln gelegt, original Verpackungsmaterial, das nun wochenlang wiederverwendet wird, bis es auseinanderfällt. „Einkaufen war früher einfacher, aber wir wollen unbedingt die ganzen Wegwerfverpackungen vermeiden", bringt es das junge Pärchen auf den ökologischen Punkt.
Ihre stille Hoffnung: Geht der klassische Supermarkt jeden Tag in Verpackungsmüll unter, den die Kunden gleich im Laden lassen, wird dieser irgendwann darauf achten, dass möglichst viel ohne Kunststoffverpackungen angeboten wird.
Die Hoffnung wird wohl noch lange eine Illusion bleiben. Übrigens auch bei mehrfach zertifizierten Bio-Läden. Die größtenteils in Kunststoffverpackungen sortierten Gurken, Äpfel oder Mohrrüben werden dort nur nicht im Laden vom Kunden, sondern morgens von den Verkäufern im Hof ausgepackt und dann hübsch, „ganz frisch, gerade von regionalen Händlern angeliefert" in den Regalen drapiert. Schuld ist das geltende Lebensmittelgesetz, das es verbietet, lose Ware über Hunderte von Kilometern einfach nur in Kisten zu transportieren. Gesetze kann man ändern.
Bastionen unserer Ernährung fallen
Geht es nach den Wahlprogrammen der meisten Parteien, soll das auch kräftig passieren. Dem objektiven Handlungsdruck in Sachen Umwelt-, und Klimaschutz folgend, aber wohl auch aus Sorge vor zu starken Grünen, gar einer Grünen- Bundeskanzlerin, haben alle Parteien viele ökologische Bekenntnisse in ihre Programme aufgenommen.
Dabei ist die Frage, ob künftig Kartoffeln wieder in großen Bastkiepen angeliefert werden und Konsumenten erschrocken staunen, da noch der ein oder andere Kartoffelkäfer gleich mitgekommen ist, eine vergleichsweise überschaubare Herausforderung.
Meint es die zukünftige Bundesregierung ernst mit der Klimarettung, dann müssen noch ganz andere Bastionen der modernen Ernährungsgewohnheiten fallen: die Tiefkühlkost. Bereits nach ihrer Ernennung zur Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hatte Renate Künast (Grüne) 2001 einen entsprechenden Plan im politischen Gepäck, der von Basta-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) umgehend kassiert wurde. Doch klimapolitisch ist der Ansatz, Tiefkühlkost zumindest massiv zu reduzieren, absolut richtig. Der energetische Aufwand, ob aus Strom oder Diesel, für Tiefkühlware ist gigantisch. Egal ob Erdbeeren, Pizza, Gänsekeule oder Kuchen, Tiefkühlkost muss bei mindestens minus 18 Grad gelagert werden. Und das auf der ganzen Strecke von der Fabrik über den Lkw zum Lager bis ins Tiefkühlregal im Supermarkt. Und egal ob bio oder konventionell, das Produkt muss immer konstant minus 18 Grad haben. Circa 60 Prozent des Kaufpreises bei Tiefkühlware sind Energiekosten, so die Berechnungen diverser Umweltverbände. Was nach radikaler Lesart bedeuten würde: Tiefkühlprodukte gehören nicht mehr länger in unser Leben und wenn, dann muss es eine Luxusware werden. Meint man es mit den Kosten pro Tonne CO2-Ausstoß ernst, müsste also zukünftig eine Tiefkühlpizza um die acht Euro kosten.
An anderer Stelle wird dagegen massiv Strom gebraucht, um Beiträge zu einer Klimawende zu erzielen. Etwa, wenn in den kommenden Jahren Hunderttausende von Wärmepumpen in den Ein- und Zweifamilienhäusern, steuerlich gefördert, ans Netz gehen. Die fördern zwar die natürliche innere Erdwärme von unten nach oben, brauchen aber elektrischen Strom, der nach derzeitigem Kenntnisstand der Forscher nicht allein aus der Photovoltaik oben auf dem Hausdach kommen kann. Ganz abgesehen davon, dass die Produktion der dafür notwendigen Solarzellen allein schon bei den Rohstoffvorräten schnell an ihre Grenzen stoßen wird.
Erst Mitte Juli schlug Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Alarm. Die bisherigen Berechnungen zum Stromverbrauch bis 2030 sind „nicht mehr haltbar". Dabei hat Altmaier vor allem die Elektromobilität im Blick, die in nicht einmal neun Jahren von derzeit einer Millionen Pkw-Kraftfahrzeugen auf gut 14 Millionen steigen dürfte. Damit verbraucht Deutschland 2030 zwischen 645 und 665 Terrawattstunden im Jahr. Der Verbrauch 2019 lag bei circa 510, im Pandemiejahr 2020 ist der Verbrauch dann auf satte 560 Terrawatt hochgeschnellt. Einen Löwenanteil an der Steigerung von 50 Terrawatt binnen eines Jahres hatten die privaten Haushalte dank Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen. Doch Homeoffice und steigende Elektromobilität sind nur die halbe Wahrheit.
Will Deutschland das CO2-Versprechen bis 2045 halten und klimaneutral sein, dann braucht es Wasserstoff. Doch die Produktion von „H" kostet immens viel Strom. Wobei es aus ökologischer Sicht derzeit keine haltbaren Vergleichswerte gibt, was eine Kilowattstunde Wasserstoffenergie nach Abzug von Herstellung, Transport und Lagerung wirklich kostet. Klar ist, der Preis wird weit über den Stromkosten liegen, mit dem diese Energie hergestellt wird. Die ist aber unverzichtbar für die industrielle Produktion, zum Beispiel bei Stahl. Doch gilt Wasserstoff auch als der Alternativtreibstoff für den Schwerlast- und Flugverkehr.
Flugreisen unter 1.000 Kilometer auf Prüfstand
Die Idee, zukünftig mit Solarstrom zu fliegen, wirkt noch ebenso utopisch wie die Vorstellung vom 40-Tonnen-Lkw, der zukünftig mit einer einzigen Akkuladung 1.000 Kilometer fahren kann. Mit dem Ziel der deutschen Klimaneutralität 2045 heißt dies aber auch, dass ein deutscher Weltrekord, über vier Jahrzehnte verteidigt, absehbar nicht mehr zu halten ist. Aus dem Reise-Weltmeister könnte ein Deutscher Meister werden. Wenn Flugreisen unter 1.000 Kilometer nicht mehr stattfinden sollen, worüber sich auf EU-Ebene zunehmend Konsens bildet, wird Shoppen nach Madrid mit Billigflugticket eine Episode der Geschichte. Doch auch Fernreisen sind bereits jetzt erheblich teurer als vor der Pandemie. Aber die heutigen Flugpreise werden uns in wenigen Jahren wie super Discountpreise in Erinnerung sein. Spätestens im Herbst wird es keinem mehr zu erklären sein, dass auf Heizöl, Benzin und Diesel eine staatliche Steuer- und Abgabenlast von über 90 Prozent, inklusive CO2-Abgabe, liegt und auf Kerosin nicht. Und das sind nur einige der plakativen Themen für den Wahlkampf.
Schon längst fragen sich Menschen in ländlichen Regionen, in denen allenfalls ein Schulbus verkehrt, sie folglich auf ein Auto angewiesen sind, wie es weitergehen soll. Es sind die Fragen des Alltags, die auch bei grundsätzlicher Zustimmung zu deutlich energischerem Klimaschutz für Irritationen sorgen, und die in weiten Teilen auch zu einer sozialen Frage werden.
Dass ein wirklich effektiver Klimaschutz zum Nulltarif und nur mit technischen Lösungen gelingen könnte, ohne dass sich Grundlegendes im Alltag jedes Einzelnen ändern würde, glaubt niemand mehr ernsthaft.
Daraus ergibt sich automatisch die soziale Frage: Was ist wichtiger? Bezahlbar die Wohnung heizen und zur Arbeit pendeln? Oder doch billig all-inclusive für drei Wochen auf die Malediven für schlanke 800 Euro pro Nase reisen? Doch diese Frage wird natürlich jetzt im Bundestagswahlkampf mitten in den Sommerferien keiner stellen. Doch auch diese Frage muss im Zuge von Klimaneutralität und Energiewende beantwortet werden.