Klimaschutz ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Klingt einleuchtend, zieht aber viele Fragen nach sich. Der Politikwissenschaftler Jörg Tremmel zu den vielfältigen Facetten im Verhältnis zwischen den Altersgruppen.
Herr Prof. Tremmel, seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz ist der Begriff „Generationengerechtigkeit" ein zentrales Thema. Wovon sprechen wir dabei eigentlich?
Zunächst müssen wir, wenn wir von Generationengerechtigkeit sprechen, zwei Formen voneinander unterscheiden: Einmal die Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt und dann die Gerechtigkeit zwischen der heutigen Generation gegenüber den zukünftigen. Dazu kommen drei Kernfragen, auf die wir bei der Auseinandersetzung mit Generationengerechtigkeit immer wieder stoßen. Erstens: Warum sollten wir künftigen Generationen überhaupt etwas überlassen? Schließlich haben diese bisher nichts für uns getan. Das ist eine prominente Fragestellung im Bereich der Ethik, aber ich denke, es gibt viele Gründe, warum wir unserer Nachwelt grundsätzlich etwas überlassen sollten. Die zweite Frage schließt sich direkt daran an: Was können wir unseren Nachkommen überhaupt überlassen? Also was ist unser Kapital, das wir weiterreichen können? Und drittens: Reicht es aus, wenn wir der kommenden Generation nur so viel hinterlassen, dass sie den Lebensstandard von heute halten kann, kann auch ein geringerer als heute gerecht sein, oder sollten wir ein besseres Leben ermöglichen wollen? Diese philosophischen Fragen können dann auf die verschiedenen Politikfelder runtergebrochen werden, mit denen wir uns bei der Forschung zur Generationengerechtigkeit beschäftigen, also zum Beispiel der Klimapolitik.
Wie realistisch ist es, dass wir in einer Gesellschaft, die viel Ungerechtigkeit innerhalb der Generationen nicht auflösen kann, Gerechtigkeit zwischen diesen erzeugen können?
Ich habe natürlich keine Glaskugel, aber die Chance haben wir. Ich bin positiv von der Wucht von Fridays for Future überrascht, die jungen Leute haben das Klimathema zum ersten Mal wirklich als Generationenthema formuliert. Es ist ja wirklich so, dass jemand im Alter von Luisa Neubauer viel mehr Jahre in einer Heißzeit leben und beispielsweise viele Starkwetterereignisse ertragen muss als jemand im Alter von Bundesminister Peter Altmaier. Das Einzige, was ich zurzeit etwas mit Sorge sehe, ist, dass die Grünen jetzt auch die schwarze Null aufweichen wollen. Damit spielen sie ökologische Generationengerechtigkeit gegen finanzielle Generationengerechtigkeit aus. Wir benötigen aber beides.
Ein Problem, das sich in unserem politischen System immer wieder zeigt, ist, dass alte Menschen, die verlässlich wählen gehen, tendenziell in der Politik bevorzugt werden. Wie kann die Stimme der jungen Bürger besser berücksichtigt werden?
Eine mögliche Lösung wäre ein Wahlrecht ohne Altersgrenze durch Eintragung. Beide Faktoren sind dabei wichtig. Erstens ohne Altersgrenze, weil jede Altersgrenze willkürlich und im Einzelfall ungerecht ist. Gleichzeitig soll es kein Elternwahlrecht sein, was bei einem Wahlalter ab null der Fall wäre. Deswegen schlage ich vor, dass jeder, der unter 18 Jahren wählen möchte, ohne Test durch eine einfache Willenserklärung im Bürgeramt in das Wahlregister aufgenommen werden kann. Das sollte ausreichen und würde eine feste Untergrenze für das Wahlalter überflüssig machen. So könnten zusätzlich einige Millionen junge Wähler ihre Stimme abgeben, je nachdem, wie viele das auch wirklich wollen. Damit wäre das Ungleichgewicht unserer Wählerstruktur schon etwas zugunsten der Jüngeren verschoben.
Und wie gehen wir bei den bisher nicht geborenen Menschen vor? Deren Interessen wären durch eine solche Regelung noch nicht vertreten.
Für die Gruppe der noch gar nicht geborenen Menschen brauchen wir eine institutionelle Vertretung, einen Zukunftsrat. Dieser sollte neben der Exekutive, Legislative und Judikative eine vierte Gewalt darstellen. Ich nenne sie die Konsultative. Dieser Zukunftsrat sollte paritätisch aus Wissenschaftlern zusammengesetzt sein, die die Risiken für kommende Generationen aufspüren sollen. Darüber hinaus sollte dieser Rat in der Lage sein, Gesetzesvorlagen in die erste Lesung im Parlament einzubringen. Ich bin der Meinung, diese Macht durch das Agenda-Setting würde auch mehr Aufmerksamkeit für die Themen rund um Generationengerechtigkeit in der Öffentlichkeit erzeugen.
Also ein technokratisches Initiativrecht?
Auf jeden Fall kein Vetorecht, weil wir im Moment eher eine Beschleunigung von Entscheidungen brauchen, gerade beim Thema Klimawandel. Ein Initiativrecht ja, aber ich würde es nicht technokratisch nennen, weil die Vorschläge immer vom Parlament abgelehnt werden können. Aus meiner Sicht nutzt man dabei einfach die Stimme der Wissenschaft, die wir zurzeit dringend hören sollten. Der Rat könnte zur Hälfte von der Politik benannt werden. Der Rest sollte aber von der Wissenschaft gewählt werden. Insgesamt wäre so ein Zukunftsrat viel potenter als die vielen Organisationen, die sich heute schon mit dem Thema Klima auseinandersetzen, aber ihre Vorschläge nicht einbringen können.
Neben dem Bereich der Klimapolitik, der sehr stark mit der Generationengerechtigkeit verbunden ist: In welchen Themenbereichen spielt Generationengerechtigkeit noch eine große Rolle?
In der Literatur steht an der zweiten Stelle die Finanzpolitik, genauer die finanzielle Nachhaltigkeit. Also die Auseinandersetzung damit, wie viele Schulden eine Generation machen darf. Schon Platon beschäftigte sich mit dem, wie er es nennt, haushälterischen Anstand, und auch US-Präsident Jefferson fragte sich, wie viel Staatsverschuldung eine Generation eingehen darf, ohne ihre Nachfolger zu schädigen. Schlicht alles, was mit Schuldenbremse, der Staatsverschuldung oder anderen Kosten zuungunsten der künftigen Generationen zu tun hat. Ein sehr wichtiger Bereich, der mit der impliziten Staatsverschuldung verbunden ist, ist zum Beispiel die Pensionslast, die eine Generation aufnimmt, die nächste aber bezahlen muss.
Durch Corona ist auch die Gesundheitspolitik in unseren Fokus gerückt. Eine gute Pandemie-Vorsorge hat schließlich große Auswirkungen auf das Wohlergehen der nachrückenden Generationen. Wenn wir in der Impfstoffforschung im selben Tempo weitermachen wie derzeit, werden die Menschen in der Zukunft deutlich besser vor zukünftigen Pandemien geschützt sein.
Generationengerechtigkeit hat aber auch zwei Seiten: Wie sollte man mit den Bedürfnissen der älteren Generation umgehen, die den Informationen ihrer Jugend folgend, auf höhere Renten im Alter gehofft haben? Braucht es einen Ausgleich?
Die Versprechen, die der älteren Generation im Hinblick auf Rente gemacht worden sind, sind unter anderen Voraussetzungen gemacht worden. Damals ist man zum Beispiel von einer viel höheren Geburtenrate ausgegangen. Da diese Voraussetzung nicht eingetreten ist, kann man das Versprechen nicht aufrechterhalten.
Ein Ausgleich ist dabei gar nicht möglich, ohne durch höhere Steuern die Personen im mittleren Alter, die schon die Hauptsteuerlast tragen, noch mehr zahlen zu lassen. Das ist eine sehr unglückliche Situation. Ich hoffe, dass die älteren Mitbürger verstehen, dass man sich heute nicht auf Rahmenbedingungen berufen kann, die sich vor 30 Jahren grundlegend geändert haben. Trotzdem bin ich natürlich, wo es geht, für eine Teilung der Lasten. Sollten in der Rentenkasse zwei Milliarden Euro fehlen, sollte eine davon von den Jüngeren über einen höheren Beitragssatz gezahlt werden, während die Älteren auf eine Milliarde über die regelmäßige Rentensteigerung verzichten. Wir haben ja eine Rentengarantie, also sind Zahlungskürzungen von vorneherein ausgeschlossen.