Spätestens im Jahr 2050 sollen in der Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten und 440 Millionen Einwohnern nicht mehr schädliche Klimagase in die Luft geblasen werden, als auf natürliche Weise durch Wälder und Grünflächen aufgefangen wird.
Klimaneutralität ist ein ehrgeiziges Ziel, aber mit Blick auf die Erderwärmung geboten und durch die eingegangenen Verpflichtungen beim Pariser Klimaabkommen notwendig.
Einen großen Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität hat die Europäische Kommission mit dem Gesetzespaket „Fit für 55" eingeleitet und symbolisch am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, auf den Weg gebracht. Im ersten Halbjahr 2022 soll das Paket unter französischer EU-Präsidentschaft unter Dach und Fach gebracht werden. Bis dahin wird es noch hitzige Debatten über eine Reihe von Komponenten in diesem Klimaschutzprogramm geben.
Die EU hatte sich international verpflichtet, bis 2030 rund 40 Prozent der Klimagase zu reduzieren. Seit einiger Zeit ist die Erkenntnis gereift, dass in diesem Jahrzehnt mehr erreicht werden muss, um bis 2050 auf 100 Prozent Reduktion der Klimagase zu kommen. Mit „Fit für 55" soll das EU-Klimaziel bis 2030 angehoben werden. Alle Sektoren der Wirtschaft und der Gesellschaft müssen Beiträge liefern. Mit Veränderungen in zwölf EU-Gesetzen soll das geschehen.
Kein Verbrenner mehr in der EU ab dem Jahr 2035
Für das Saarland wird der European Green Deal eine echte Herausforderung. Es wird ein Stresstest für die Stahlindustrie wie auch für die Automobilindustrie. 2035 soll zum letzten Mal ein Auto mit Verbrennungsmotor in der EU zugelassen werden. Dann gibt es wohl nur noch neue Elektroautos oder Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb. Sind wir im Land dafür gerüstet? Vor allem die vielen Zulieferbetriebe müssen sich diese Frage handfest stellen. Modernisierung und Umrüstung auf Komponenten, die bei emissionsfreien Autos gefragt sind, brauchen jetzt Unterstützung.
Gute Beispiele, wie bei Bosch in Homburg, die neben der Einspritzpumpe für Dieselfahrzeuge in Zukunft auch Teile für ein Wasserstoffauto fertigen werden. ZF, der größte Arbeitgeber des Saarlandes, bereitet sich auf der Goldenen Bremm ebenfalls auf die neue Autowelt vor. Ein kritischer Punkt bei den E-Autos ist die fehlende Infrastruktur für Ladestationen. Die EU hat nun allen Mitgliedstaaten einen verbindlichen Fahrplan für die Einrichtung von Ladesäulen vorgegeben. Bis 2030 sollen an allen Schnellstraßen in Europa im Abstand von 60 Kilometern Ladestationen existieren und alle 150 Kilometer eine Wasserstofftankstelle. Die Fahrt zur Arbeitsstelle oder in den Urlaub mit den E-Autos soll damit gesichert werden. Gut 15 Milliarden Euro sind für diese Umrüstung der Tankstellen nötig. Finanzielle Mittel aus EU-Fonds sollen vor allem ärmeren Ländern bei dieser Aufgabe helfen.
Auch für die Stahlindustrie wird die Messlatte höher gelegt. Die jährlichen CO2-Reduktionsraten werden verschärft. Stahl ist ein Produkt, dessen Preis täglich an der Londoner Metallbörse festgelegt wird – und zwar weltweit. Wer zu teuer ist, verliert Kunden oder fliegt gleich ganz aus dem Markt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht die europäische Stahlindustrie deshalb Sonderkonditionen. Zum einen geht es um kostenlose Zertifikate im Europäischen Emissionshandelssystem (ETS). Bei einem CO2-Preis von aktuell 50 Euro pro Tonne würden alleine für Saarstahl etwa 100 Millionen Euro Kosten pro Jahr anfallen. Über diese kostenlosen Zertifikate für einen Industriesektor wird es allerdings noch viel Streit geben. Andere Teile der Wirtschaft müssen nämlich diese Lücke füllen. Ganz wichtig ist der Schutz der Stahlindustrie gegen Stahlimporte aus Ländern, die keine vergleichbaren Klimaschutzauflagen machen. Ein Klima-Zoll an den Außengrenzen der EU ab 2026 soll Importstahl belasten. Vor allem Stahl aus China, Indien, Südkorea und Russland wäre betroffen.
Mehr Anreize für Nutzung der Erneuerbaren
Auch Privatleute werden zum Programm „Fit für 55" herangezogen. Der Gebäudesektor macht etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen aus. Ein zweites Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr soll aufgebaut werden. Das heißt, für Öl, Gas, Benzin und Diesel werden CO2-Mengen festgesetzt, die jährlich vermindert werden. In anderen Worten: Heizen und Autofahren mit fossilen Brennstoffen wird teurer. Damit sollen Anreize für die Nutzung erneuerbarer Energien oder zur Energieeinsparung gesetzt werden.
Wer soll das bezahlen? Ein Klima-Sozialfonds soll den Menschen mit wenig Einkommen finanzielle Unterstützung gewähren, sozusagen ein Klimageld als soziale Abfederung für die zusätzlichen Belastungen.
Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist wahrscheinlich die größte Transformation seit Beginn der Industrialisierung. Es werden viele neue Produkte entstehen und damit auch neue Jobs. Der Umstieg ist eine Herausforderung für die Politik und die Demokratie, möglichst alle Menschen auf diese Reise mitzunehmen und niemanden auf der Wegstrecke zurückzulassen. Ein Top-Thema für den beginnenden Bundestagswahlkampf!