Das Horrordrama „Apostle" legt eine bizarre Mischung aus verschiedenen Genres vor. Zu sehen ist die britisch-amerikanische Co-Produktion bei Netflix.
Der Richtbaum für Frevler klingt nicht nur fies, er ist es auch. Keinesfalls möchte man in der Mitte des Ortes auf dieser abgelegenen walisischen Insel sein und die Demütigungen über sich ergehen lassen. Kinder kommen und striezen einen mit Ästen, man wird beleidigt, bespuckt und gefoltert. Wie man dort überhaupt hingelangt? Indem man sich gegen den Propheten wendet, in diesem Fall gegen Malcolm Howe (im Full-Aggro-Modus: Michael Sheen) erhebt. Er ist der namensgebende Apostel des Filmes, der einen Kult um sich geschart hat.
„Apostle" ist bei Netflix zu sehen und eine gelungene Mischung zwischen Historiendrama und spannendem Okkult-Horror. Dabei schreckt Regisseur Gareth Evans wie bei seinen beiden „The Raid"-Filmen auch hier nicht vor dunkler und drastischer Gewaltdarstellung zurück. Vielmehr schickt er seinen Protagonisten Thomas Richardson (nur oberflächlich ein verschlossener Schönling: Dan Stevens) auf eine Antiheldenreise, die für einige so gar nicht gut ausgehen wird. Das macht er in exquisiten Bildern, mit hervorragender Kameraarbeit und zeitgerechten Kostümen, in denen die Darsteller 1A-Arbeit leisten.
Oberhaupt geht rigoros vor
Es ist 1905 und Richardson möchte seine Schwester befreien. Diese wurde von einem mysteriösen Kult entführt und auf besagte Insel in Wales verschleppt, wie ihm sein Vater in einem Brief mitteilt. Er schleicht sich dort ein und versucht, Vertrauen aufzubauen. Das ist aber gar nicht so einfach, da Kult-Führer Howe zwar Charisma für zehn hat, aber gleichzeitig ein übles Klima von Angst und Misstrauen geschaffen hat. Wie das bei Sekten so ist, wittern nach und nach die ersten Unterdrückten, dass nicht alles so ist, wie es scheint, und je mehr den üblen Braten riechen, desto rigoroser geht das Sekten-Oberhaupt gegen die vor, die sich gegen ihn stellen.
Die sich immer weiterdrehende Spirale der Gewalt, das in einem Putschversuch gipfelnde Aufbegehren und die mannigfaltigen Fluchtversuche sind kühl und präzise inszeniert. Blassblaue Farben stehen den sich aufbauschenden Emotionen gegenüber, zu lachen gibt es nichts. „Apostle" ist eine seriöse Angelegenheit, nimmt sich manchmal vielleicht ein wenig zu ernst. Doch die Kritik an Sekten und Religion im Allgemeinen sitzt, und die bizarren Begebenheiten in der Unterwelt tun ihr Übriges, um die etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit trotzdem spannend und unterhaltsam zu gestalten.
Ein Reigen an kaputten Existenzen
Verkompliziert wird der Reigen an kaputten Existenzen noch durch die eine oder andere sich anbahnende Liebelei. Immerhin macht Andrea, die Tochter des Sektenführers (Lucy Boynton), dem Neuankömmling schöne Augen. Es kommen familiäre Verbindungen hinzu, die von Qualen und Missgunst gezeichnet sind. Zweifel säen auch die seltsamen Rituale, bei denen die Gläubigen des Nachts Blut opfern und vor die Tür stellen müssen. Dann ist da noch die Erkenntnis, das die Ernten immer schlechter werden. Und über allem steht der unbändige Überlebenswille von Thomas Richardson.
Regisseur Gareth Evans stammt selbst aus Wales, lebt aber in Indonesien. Dort lernte er Schauspieler und Martial-Arts-Künstler Iko Uwais kennen, den er auch als Hauptdarsteller für seine „The Raid"-Streifen engagierte. Sein künstlerisches Händchen bewies Evans im Weiteren auch bei der Serie „Gangs of London", die aus seinem Hirn und teilweise aus seiner Feder stammt und auch bereits für einen Emmy nominiert war. Bei Netflix wiederum scheint man mit seiner Arbeit an „Apostle" sehr zufrieden zu sein, da man mit ihm einen Exklusivvertrag abschloss. Als nächstes Projekt steht der Actionthriller „Havoc" mit Tom Hardy, Forest Whitaker und Timothy Olyphant an.
Nach seiner Rolle in „Die Schöne und das Biest" kann der Londoner Dan Stevens hier seine Wandelbarkeit unter Beweis stellen. Ihm zur Seite steht der verlässliche Michael Sheen, der schon Tony Blair in „Die Queen" oder einen Engel in der Amazon-Serie „Good Omens" verkörperte. Die Karriere der britisch-amerikanischen Darstellerin Lucy Boynton nimmt nach Rollen in „Mord im Orient-Express", „Bohemian Rhapsody" und eben „Apostle" derzeit an Fahrt auf.