Pflicht oder nicht? Nur knapp 46 Prozent der deutschen Haushalte sind im Moment gegen Elementarschäden wie Flutkatastrophen versichert. Dabei gibt es international Modelle, die solidarisch und vor allem zielgerichtet arbeiten. Welche, erklärt Prof. Dr. Hato Schmeiser, Versicherungsexperte der Universität St. Gallen.
Prof. Schmeiser, nach der Flutkatastrophe in Deutschland nimmt die Diskussion um eine Pflichtversicherung Fahrt auf. Wäre dies der richtige Schritt?
Ich bin für eine obligatorische, also eine Pflichtversicherung. Sie muss aber in einem gewissen Umfang solidarisch sein und kann daher nicht rein risikogerecht kalkuliert werden. Durch diese Solidarität werden die Beiträge niedrig gehalten, weil ansonsten Menschen, die in riskanteren Lagen wohnen, sich diese Versicherung nicht leisten können. Und in der Tat müssen wir jetzt anfangen, darüber nachzudenken, wie man solch große Schadensereignisse über eine Versicherung decken kann, ohne übermäßig auf Steuergelder zurückgreifen zu müssen. Denn Steuergelder gehen nicht immer zielgerichtet dorthin, wo sie wirklich gebraucht werden, das sehen wir bei den Hilfsgeldern zur Coronakrise. Und wir gehen davon aus, dass solche großen Schadensereignisse nicht so oft stattfinden, sodass die Tragbarkeit zu akzeptablen Konditionen möglich ist.
Das Schweizer Versicherungssystem gilt als das Rollenmodell für Elementarschäden weltweit. Wie sieht es genau aus?
Hier existiert ein doppeltes solidarisches System. Das heißt, wer auf dem Berg wohnt, zahlt im Schadensfall auch für von Schäden betroffene Menschen im Tal mit und umgekehrt. Organisiert wird dies durch einen Elementarschadenspool, in dem eine Solidarität der beteiligten Versicherungsunternehmen eingefordert wird, deren Möglichkeit zur Risikoselektion ausgeschaltet ist. Die grosse Poolbildung erlaubt einen sehr guten Risikoausgleich in der Zeit. Der Schweizer Versicherungspool im Elementarschadenbereich ist privatwirtschaftlich organisiert und besitzt einen obligatorischen und einen fakultativen Bereich. Das heißt, wenn Sie als Hausbesitzer in der Schweiz eine Feuerversicherung abschließen, müssen Sie zwingend ein Elementarschadenprodukt dazukaufen, dessen Preis und dessen Leistungen von der behördlichen Versicherungsaufsicht festgelegt sind. Entscheiden können Sie nur, ob Sie eine höhere gedeckte Summe als den Mindestumfang abschließen wollen. Je nachdem erhöht sich der Preis. Durch die Kopplung der Elementarschadenversicherung an die private Feuerversicherung bleibt der Preiswettbewerb unter den Unternehmen erhalten. Ein großer Vorteil für die Kunden.
Warum nicht eine fixe Versicherung für alle: Warum braucht es also eine privatwirtschaftliche Organisation dieser Versicherung und einen Elementarschadenspool?
Zum einen schaffen Sie so ein Monopol mit fixem Preis und fixen Produktkonditionen. Ex existiert dann kein Wettbewerb mehr mit potenziellen Nachteilen für die Kunden. Ohnehin ist eine solche Poolbildung laut EU-Recht nur in wenigen Bereichen zulässig. In der Schweiz vergleicht der Kunde durch das Bündeln der Versicherungen Feuer und Elementarschaden die Leistungen im Gesamtprodukt von verschiedenen Anbietern und entscheidet sich für den Anbieter mit dem besten Preis, wodurch privatwirtschaftlicher Wettbewerb erhalten bleibt. Der Schadenspool, an dem sich ein Unternehmen je nach Marktanteil beteiligt, kann damit größere Naturereignisse absichern und gleichzeitig verhindern, dass eine einzelne Versicherung durch ein großes Schadensereignis in finanzielle Schieflage gerät. 2005 beispielsweise hatte die Schweiz einen Schaden von drei Milliarden Franken durch Hochwasser und Hangrutsche zu beklagen. 1,5 Milliarden Franken davon zahlte der Schadenspool der Versicherer. Sprich, in der Schweiz legt ein ganzes Land zusammen: der Staat, die Versicherten und die Versicherer, nur wird der Steuerzahler durch dieses System nicht über die Maßen belastet.
Doppelt solidarische Versicherung
In der Schweiz werden nur 80 Prozent der Elementarschäden gepoolt, warum nicht 100 Prozent?
Dies erhöht den Anreiz für die Versicherer, nicht alles generös zu ersetzen und genau hinzusehen, ob dieser oder jener Schaden durch den Vertrag gedeckt ist.Wenn aber alle den gleichen Preis zahlen, ist der Anreiz, eben nicht in Hochrisikogebieten zu bauen, gering.Dies müsste in der Tat in einem solchen System kontrolliert werden, um präventiv den Schaden gering zu halten. Auch in einem solidarischen Versicherungspool kann man in einem gewissen Umfang Prämiendifferenzierungen einführen, damit der Anreiz, in Hochrisikogebieten zu bauen, reduziert wird.
Wie wird das Risiko von Naturkatastrophen in anderen Ländern, die mehr Erfahrungen mit großen Naturkatastrophen haben, versichert, beispielsweise in Japan oder in den USA?
Diese Länder poolen die Risiken nicht generell. In Florida existiert zwar ein staatliches Programm zur Versicherung von Flutschäden, aber im Wesentlichen existiert nur ein privater Versicherungsmarkt mit einer klaren Tendenz zur Unterversicherung. In den USA etwa werden Wirbelstürme nicht verpflichtend versichert. Es existiert aber ein ausgedehnter Markt für Katastrophenbonds. Investoren legen ihr Geld mit Zinschancen in solchen Bonds an, können ihr Geld aber verlieren, wenn Wirbelstürme auftreten und Entschädigungszahlungen geleistet werden müssen. Ähnliches existiert in Japan für Tsunamis. Das Geld wird in einem speziell geschaffenen Unternehmen angelegt und unterliegt damit keinem Risiko durch andere Versicherungssparten oder den Kapitalmarkt. Für eine solche Katastrophenanleihe spricht sich übrigens auch der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zum Beispiel im Kontext von Pandemieversicherungen aus.
„Poolbildung sinnvoll“
Es gibt weitere EU-Länder, in denen eine Elementarschadenversicherung mittlerweile Standard oder sogar Pflicht ist, etwa Frankreich oder Spanien. Warum nicht in Deutschland?
Es gibt gute Gründe, die gegen eine solche Versicherungspflicht sprechen. So werden wie oben beschrieben in solidarischen Poollösungen ohne risikogerechte Prämien falsche Anreize gesetzt. Auf diesen Punkt hat der GDV zu Recht hingewiesen. Um aber große Versicherungslücken zu schließen und die Finanzierung der Schäden durch Steuern zu vermeiden, halte ich bei Abwägung aller Aspekte dennoch eine Poolbildung mit einem obligatorischen Mindestdeckungsschutz für sinnvoll. Eine – wenn auch eingeschränkte – Prämiendifferenzierung kann es auch in einem solchen Modell geben.