Vielerorts ist es das Thema, nicht nur in den deutschen Ballungsräumen: explodierende Mieten. Doch im derzeitigen Wahlkampf findet das Thema nur am Rande statt – außer in Berlin. Dort steht ein Volksentscheid an.
Es ist das persönlichste und damit eines der wichtigsten Themen derzeit in Deutschland: ein Zuhause, dass auch in Zukunft noch bezahlbar sein wird. Doch die Mietpreisexplosion in den vergangenen zehn Jahren hat viele Menschen zum Verlassen ihrer bisherigen Bleibe gezwungen, viele mussten sich räumlich verkleinern. Das Thema ist brisant, denn auch in den kommenden Jahren, wird es nach derzeitigem Stand keine Entspannung geben.
Doch im Bundestagswahlkampf fristet dieses Thema eher ein Schattendasein. Zwar steht in allen Wahlprogrammen etwas zu Wohnungsneubau und bezahlbaren Mieten. Auf heutigen Wahlplakaten oder in Wahlspots kommt es jedoch nicht vor, stattdessen dominieren Klima und Energiewende, die Überwindung der Pandemie ist logischerweise ein wichtiges Thema im Wahlkampf.
In der vergangenen Legislaturperiode dagegen spielten bei den politisch Handelnden gerade bezahlbare Mieten eine wichtige Rolle. Um das völlige Ausufern der Mieten gerade in den deutschen Städten wieder einzufangen, wurde die Mietpreisbremse von der Bundesregierung per Gesetz verordnet und bis heute zweimal novelliert. Aktueller Stand bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen: In Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Ob ein Wohnungsmarkt als angespannt eingestuft wird, entscheiden die Landesparlamente der Bundesländer. Die Höhe der Vergleichsmiete wird dem Mietspiegel vor Ort entnommen.
Mietpreisbremse hat Grenzen
Doch die Mietpreisbremse hat ihre Grenzen, kritisieren SPD und Linke. Sie gilt eben nur für Bestandswohnungen und nicht für Neubauten. Bei Neubauten dürfen weiterhin Mietpreise in Höhe von 20, 30 oder 40 Prozent über dem örtlichen Mietspiegel aufgerufen werden. Das Problem, es werden derzeit vielfach nur Eigentumswohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt gebaut, der soziale Wohnungsbau ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Damit, so Kritiker, ist automatisch eine Mietpreissteigerung von mindestens zehn Prozent pro Jahr garantiert.
Viele Bestandswohnungen werden nach dem Auszug der Altmieter mindestens modernisiert, wenn nicht sogar ökologisch saniert. Damit fallen diese dann bei der Neuvermietung nicht mehr unter die Mietpreisbremse, die Vermieter können wieder den Preis aufrufen, den sie für legitim halten. Und der liegt eben meist zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Beispiel Berlin: eine sonnige Vier-Zimmer-Wohnung mit 120 Quadratmetern im vierten Stock am Wilmersdorfer Bundesplatz wurde „nur" modernisiert. Die Vormieter lebten dort 30 Jahre und zahlten zum Schluss 1.100 Euro warm. Nach der Neuvermietung kostet die Wohnung nun schlappe 2.300 Euro warm, also mehr als das Doppelte.
„So geht das nicht weiter", schimpfte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und dachte sich dazu mit Koalitionspartner Linkspartei den Mietendeckel aus: eine Mietobergrenze für den angespannten Berliner Wohnungsmarkt, für Wohnungen, die vor dem 1. Januar 2014 fertiggestellt wurden. Dieser Mietendeckel war aufgeteilt in zwölf Kategorien: zum Beispiel 3,93 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete für Wohnungen, die vor 1918 fertiggestellt wurden und über kein Bad und keine Sammelheizung verfügten beziehungsweise der Mieter diese nachträglich selbst eingebaut hat. Die Höchstgrenze lag bei 9,80 Euro pro Quadratmeter für Wohnungen, die vor 2013 bezugsfertig waren. Die Mieter waren erfreut, denn von jetzt auf gleich bekamen Zehntausende Berliner Post von ihrem Vermieter und mussten bis zu 500 Euro weniger Miete zahlen. Die Immobilienwirtschaft tobte und warnte zugleich, damit werde nicht eine Wohnung mehr vermietet und schon gar nicht gebaut, ganz im Gegenteil. Auch das Portal Immoscout24 vermeldet in der Folge merklich weniger Mietangebote. Entweder zogen die Berliner plötzlich weniger um, oder die Vermieter hielten ihre leeren Wohnungen zurück.
Es wird sich wohl nie klären lassen, denn viele Vermieter machten bei Neuvermietungen Mietverträge unter Vorbehalt eines Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel zur Bedingung. Die 100 Quadratmeter-Wohnung gab es also in der Anmietung in der Bundeshauptstadt zeitweise für knapp 1.000 Euro nettokalt, allerdings nur solange, bis die Rechtmäßigkeit des Mietendeckels geklärt war. Es kam, wie es kommen musste: SPD und Linke in der Berliner Regierungskoalition mit den Grünen hatten sich in ihrem Anspruch auf die Durchsetzung von „gerechten Mieten" juristisch etwas überschätzt. Am 25. März dieses Jahres dann die Entscheidung aus Karlsruhe: Der „Berliner Mietendeckel" sei aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz mit dem Grundgesetz unvereinbar und ist damit nichtig. SPD und Linke waren politisch bis auf die Knochen blamiert und obendrein in der sozialen Verantwortung. Denn Tausende von Beglückten mit plötzlich „niedrigem Mietzins unter Vorbehalt" hatten natürlich das so gesparte Geld nicht zurückgelegt, sondern ausgegeben. Durch die Rückforderungen der Vermieter drohte eine Kündigungs- und damit Zwangsräumungswelle in der Stadt. Der rot-rot-grüne Senat sah sich gezwungen, ein zinsloses Darlehen im Rahmen der „Sicher-Wohnen-Hilfe" bei der Investitionsbank Berlin anzubieten. Eine politische, eine juristische Pleite, die die ohnehin überschuldete Stadt viel Geld kostet, da der Senat die Zinsen übernehmen muss.
Aussichten auf Erfolg werden als gering eingeschätzt
Wieder bestätigte sich das Klischee: Weder können die Regierenden an der Spree mit Geld umgehen, noch halten sie sich an geltende Gesetze. Doch die viel wichtigere Erkenntnis: Durch den Mietendeckel ist nicht eine neue Sozialbauwohnung entstanden, dafür immerhin Flüchtlingsunterkünfte mit Gemeinschaftsküchen und Sanitärbereichen. Doch längst hat sich die Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Richtung sozialistischen Kollektivismus verselbständigt: in der Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen". Ob dies sein darf, soll nun am 26. September – mit dem Bundestag wird in Berlin auch das Abgeordnetenhaus neu gewählt – das Volk entscheiden. Laut der Initiative, die dafür genügend Unterschriften gesammelt hatte, sollen privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden. Insgesamt geht es dabei um sage und schreibe rund 240.000 Wohnungen in Berlin. Schon finanziell kein Pappenstiel, denn die Stadt Berlin soll die Wohnungen zurückkaufen. Kostenpunkt laut der Initiative: 36 Milliarden Euro. Der Clou: Die Wohnungsunternehmen sollen dafür mit einer Summe entschädigt werden, die „deutlich unter dem aktuellen Verkehrswert" liegt. Die Manager in der Immobilienwirtschaft der Stadt rieben sich die Augen: Sie sollten ehemalige Sozialbauwohnungen, die sie vor 15 Jahren von der Stadt gekauft haben, jetzt wieder unter Marktwert zurückgeben. Sollte der Volksentscheid in Berlin tatsächlich durchkommen, ist die neue Landesregierung dazu aufgerufen diesen Volksentscheid entweder abzulehnen oder umzusetzen. Letzteres dürfte über Jahre erst mal juristische Gutachter und dann die Gerichte bis in die letzte Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, beschäftigen, den Berliner Haushalt ruinieren und keine einzige neue Wohnung bringen. Die Erfolgsaussichten werden von Experten als gering eingeschätzt. Die Initiative aber zeigt, wie sehr das Problem auf den Nägeln der Deutschen brennt – nicht nur in Berlin.