Das Traditionsgebäck mit der Hauptstadt im Namen bekam im Friedrichshain einen eigenen und einzigartigen Laden. Der „Sugarclan" bäckt Tag für Tag frische Berliner, die üppig gefüllt und barock verziert sind.
Einer der süßen Kleinen oder Großen ist hübscher als der andere: Macaron und Lemoncurd tummeln sich auf heller, Johannisbeeren und weiße Rallyestreifen auf roter sowie ein Mürbekeks und Schokokrümel auf cremefarbener Glasur der Berliner. Vieler Berliner. Der „Sugarclan" hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ehre des Berliner Ballens oder Pfannkuchens, Krapfens oder Kreppels zu retten. Das gelingt schon von außen sehr ansehnlich. In einer Holzkiste und auf einer Etagere präsentieren sich die reich verzierten guten Stücke im Schaufenster sowie im Inneren des Ladens in der Grünberger Straße. Die Neugierigen werden von der Auslage hineingelockt. Die vom Traditionsgebäck der handwerklichen und besseren Art Überzeugten sind in den vergangenen zwei Jahren ohnehin Stammkunden geworden.
Die Sensibleren unter den Eingeborenen müssen jetzt ganz stark bleiben: Britta Sarnes, eine der drei „Sugarclan"-Gründerinnen, spricht ungerührt im „Pfannkuchen"-Land von „Berlinern". Aus gutem Grund, wie auf der Website nachzulesen ist: „Unser Team ist wie die Stadt selbst: Es besteht aus hier Geborenen, vor Jahren Zugezogenen und Neu-Berlinern. In Anerkennung dieser Mischung haben wir vom ‚Sugarclan‘ uns auf die Kurzform ‚Berliner‘ geeinigt." Und auch, weil „Berliner" international geläufig ist. Nahe dem Boxhagener Platz nicht ganz unwichtig. Ganz gleich also, ob die Berliner auf Portugiesisch „Bolas de Berlim" oder auf Französisch „Boule de Berlin" genannt werden: Der Begriff „Kugel" schwingt überall mit. Form und Name stammen, so die Legende, von einem begabten Zuckerbäcker, der sich als Kanonier in der Armee Friedrichs des Großen als wenig talentiert erwies. Er wollte für seinen König stattdessen lieber eine essbare Kanonenkugel kreieren. Auf dem Feld gab es keine Öfen. Der Teig musste im Fett in der Pfanne ausgebacken werden. Der Berliner Pfannkuchen in Kanonenkugel-Optik und mit ebensolchem Krawumms entstand.
Ich fange die kleine Probierorgie mit einem Traditionsmodell an. Der „Pflümli" ist trotz schweizerdeutschen Namens ein echter Berliner-Klassiker – mit Pflaumenkompott gefüllt, violett glasiert, mit getrockneter Pflaume sowie einem pinkfarbenen Pfeil dekoriert. Sieht schlicht und schmuck aus, ist aber ein komplexes Gesamtgebilde. „Dieses Gebäck ist handwerklich anspruchsvoll. Hefe braucht Gefühl. Das musst du dir erarbeiten", sagt Britta Sarnes. Nach der Eröffnung im Juni 2019 optimierte das Team den Teig noch ein halbes Jahr lang. Der „Sugarclan" hat sich schließlich nichts Geringeres vorgenommen als den ursprünglichen Geschmack dieses frischen und handwerklich hergestellten Hefegebäcks wiederzubeleben.
„Bleibt der Teig zu lang in der Gare, bekommst du Diskusscheiben. Ist die Gare zu kurz, wird er hart wie eine Kanonenkugel." Die Arbeit mit der „Diva" Hefe ist eine temperatur- und feuchtigkeitssensible. Wenn Konditormeisterin Nadine Kirschner frühmorgens mit Gesellin Franziska Kühn in die Produktion eingestiegen ist, bleiben die Türen der Backstube geschlossen. Nur einmal am Tag werden die Berliner und ihre italienischen und amerikanischen Verwandten, „Bomboloni" und Donuts, gebacken, gefüllt und verziert. Was im Laufe des Tages verkauft ist, ist weg. Bis zum nächsten Morgen.
Alles wird selbst gemacht. Bis auf eine einzige Füllung: Nutella. „Das kriegen wir nicht aus dem Sortiment", sagt Britta Sarnes. Auch das Handling von Marmeladen und Cremes ist nicht trivial: „Wie bekomme ich die Füllung in den Berliner rein? Sie darf nicht auslaufen. Und vor allem nicht in den Teig einziehen." Wie überzeugend das alles klappt, überraschte selbst die Prüfer des Vereins Deutsches Brotinstitut. Es ist die höchste Instanz des Weißmehlbackwesens. Die Bäcker-Innung fordert regelmäßig zur Prüfung der Gebäcke auf. Mehr als eine „Sehr gut"-Bewertung geht nicht in Deutschland. Oder doch? „Wir wollen die goldene Streber-Brezel", sagt Britta Sarnes lachend. Mit der „Goldenen Brezel", praktisch der Michelin-Stern für Bäckereien, werden Backstücke erst nach einem dreimaligen „Sehr gut" ausgezeichnet. Die Begutachtungen werden regelmäßig wiederholt. „Die Prüfer wollten erst gar nicht glauben, dass wir sogar die Pflaumenmarmelade für unsere Berliner selbst machen." Doch der „Sugarclan" überzeugte. Glaubwürdig. Und immer wieder – die „Goldene Brezel" fest im Blick.
Anspruch an neue Kreationen ist streng
Auch die Ansprüche an Neukreationen sind hier streng: „Nur was uns als Team überzeugt, kommt in die Produktion. Anders geht das nicht", sagt Britta Sarnes. „Man kann nur alles lieben. Nicht nur einen Teil davon." Die Auflagen der Innung sind keine Spleenigkeit. Nicht jeder darf drauflosbacken und verkaufen: „Berliner unterliegen dem Meisterzwang." Ohne Bäcker- oder Konditormeister im Betrieb geht nichts. Deshalb freut sich Sarnes über eine Kundengruppe ganz besonders. „Es kommen selbst alte Bäckermeister vorbei, um unsere Berliner zu essen. Das ist für uns schon ein Ritterschlag." Das Handwerksgebäck verlangt viel Zeit, Arbeitskraft und Aufmerksamkeit. Das hat seinen Preis: Große Berliner und Donuts kosten zwischen 3 und 4,50 Euro. Die Mini-Berliner sind für 2,20 bis 2,80 Euro zu haben. Die Vierer- bis Neunerboxen sind mit ihren Klassik-, Mini- oder Donut-Mixen etwas preiswerter.
Im Gegensatz zu Fertigbackmischung- und Industrie-Berlinern schmeckt nichts „abgehangen" oder ist gar angetrocknet. Die Teigstruktur der goldbraunen „Sugarclan"-Berliner ist feinporig und fluffig, die Füllung üppig. Damit keine Spritzbilder im Jackson-Pollock-Stil auf der Kleidung entstehen, gibt’s den „Sugarclan"-Pfeil. Er zielt auf das Einfüll-Loch. Wer dem Berliner dort in den Allerwertesten beißt, riskiert keine auf der anderen Seite herausspritzenden Füllungen. Besonders tückisch könnte das enden, wenn zudem eine kleine Phiole im Gebäck steckt. So kann etwa dem „Boom Shoko Laka" ein Schuss dunkle, flüssigere Schokolade kurz vor dem Verzehr injiziert oder ein Kirschlikör als optionaler Originalbestandteil in einen Schwarzwälder-Kirsch-Berliner eingespritzt werden. Die „richtigen" Berliner und die zeitgemäß üppig dekorierten Donuts haben teils geradezu barocke Verzierungen obenauf. Schlaufen aus Sanddorn-Orangencreme sowie goldene Zuckerstreusel etwa bedecken den Donut, der in meine Probierbox für Zuhause kommt. Der „Apple-Pie-Krapfen mit Crunch" macht mit Äpfeln sogar im Teig und mit Butterstreuseln und Apfelring auf der Glasur einen auf Kuchen im Berliner-Gewand.
Nur die „Old Fashioned Donuts" bekommen ausschließlich eine Glasur. Eine Besonderheit ist der „Männer-Donut", wie ich ihn nenne: der „Hearty Canadian Donut Style" mit Ahornsirup und Bacon-Schnipseln auf der Glasur. Umami, Fett und Zucker mögen sich halt immer gern. Ich tendiere mit meinen Vorlieben in die süße Puristinnen-Richtung. Ich mag den kompakteren, mit Feinzucker bestreuten und ansonsten undekorierten „Bombolone Italiano" mit Nutella am liebsten. Oder ob’s am italienischen Feinschmeckerfotografen liegt, der neben mir genüsslich in einen Vanille-Bombolone beißt? Wenn schon eine Million unnütze Kalorien aus Kohlehydraten, Fett und Zucker, dann bitte genau so nussnougatig für mich! Bei den Nussnougatcreme-Vorlieben herrscht kein Diskussionsspielraum. Am 3. Oktober 2020 gab’s eine „Nudossi-Nutella-Battle" mit einer „Ost-West-Box". „Damit haben wir Ehekrisen ausgelöst." Das könnte sich in der Neuauflage am Tag der Einheit 2021 wiederholen. Wer so etwas bei einer Hochzeitsfeier oder einem Firmen-Event durchspielen will, bitte schön: Der „Sugarclan" backt für besondere Anlässe Berliner mit individuellen Dekors oder stellt Torten mit Minis als Topping her.
Gibt es zu Weihnachten Füllung mit Glühwein?
Sogar an diesem heißen Nachmittag kommt so mancher Kunde, gern in Begleitung ziemlich kleiner Feinschmecker, um eine Box für den Feierabend zu füllen. Für die Kinder ist das Auswählen ein Hauptspaß. Monatlich wechseln einige Sorten durch. Die Beeren- und Apfelsaison ist voll im Gange. Der rote „Jo Bär" etwa ist neu und mit einer Rispe frischer Johannisbeeren verziert. Cremige Schaum- und Schokoküsse machen dagegen so lange Pause, bis die Temperaturen wieder unter 15 Grad gefallen sind. Bei 30 Grad im Schatten erfrische ich mich draußen unter der Markise mit Eistee. Selbst für einen Espresso aus den Handröstungen von Gianni Giuseppetti aus Schöneberg ist es zu heiß. Ein kühler Mate-Grüntee mit hausgemachtem Apfelpüree belebt mich dagegen vorzüglich. Später darf es noch ein Zitronentee mit Blaubeerpüree sein. „Wir verarbeiten unsere Fruchtpürees mit."
Die dürfen nicht zu stückig, aber auch nicht zerzutzelt sein. „Da habe ich meine Tricks. Mit Getränken kenne ich mich aus." Vor der Gründung des „Sugarclans" war Britta Sarnes Barchefin im „Grill Royal".
Ich sehe gespannt dem Tag entgegen, an dem wieder weihnachtliche Exemplare etwa mit Glühweinfüllung angeboten werden. „Bei den Spekulatius-Berlinern rennen uns die Kunden die Bude ein", weiß Sarnes. Ein herzhaftes Experiment gab es bislang ebenfalls – einen mit Tomaten-Chutney gefüllten und in Parmesan gewälzten Berliner. „Der Teig hat ja etwas Briocheartiges und ist kaum süß." Die Tücke steckt im Detail: „Du musst aufpassen, dass die Berliner nicht gekühlt werden müssen." Das wäre zu aufwendig für Lagerung und Verkauf.
Ich bin mir sicher, dass der „Sugarclan" es schafft, die wildesten und schmackhaftesten Füllungen wie schon Liköre von „Mampe" in seine Kreationen zu integrieren. Wir dürfen allemal gespannt bleiben: Die nächsten Überraschungsberliner in Kooperation mit einer anderen Berliner Institution soll es im Herbst geben.