Als Anglist kennt sich Professor Joachim Frenk sowohl mit Shakespeare als auch mit James Bond aus. Im Interview spricht er über 007 im Wandel der Zeit, seine Bedeutung für Großbritannien und zieht eine interessante Parallele.
Herr Professor Frenk, ausgerechnet James Bond, der ja selbst die Welt schon vor Killerviren und globaler Verseuchung gerettet hat, wird von einer Pandemie ausgebremst. Ironie des Schicksals?
Ja, einerseits schon. Andererseits – so stand es in den letzten Tagen immer wieder in der britischen Presse – ist Bond aber auch ein Hoffnungsträger. Dieses Mal muss er zwar nicht die Welt retten, aber immerhin doch die Kino-Industrie. Und das nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit. Man hofft auf den so genannten „Bond Bounce", also dass „Keine Zeit zu sterben" gewissermaßen einen Anschub für die darniederliegende Branche gibt. Das sollte eigentlich schon bei „Black Widow" passieren, aber da hat das noch nicht so ganz geklappt. Aber dieses Mal zeigt man sich recht zuversichtlich.
Die Sehnsucht der Fans ist weltweit auch entsprechend groß. Aber in Großbritannien hat Bond ja nochmal einen ganz anderen Stellenwert…
Man darf das nicht überstrapazieren, aber dies ist der erste Bond-Film nach dem Brexit. Der Brexit hat dem Image des Vereinigten Königreiches nicht gut getan, und James Bond als Inbegriff von „Britishness" könnte da jetzt einiges wieder gutmachen. Er kann aber auch als eine Art Selbstfindungsmission für Briten in schwierigen Zeiten dienen. Man hat sich von Europa abgewendet und versucht nun, sich zwischen USA, der EU, Russland und China als „Global Britain" zu positionieren. In den 1950er- und 60er-Jahren war Bond beim Niedergang des britischen Empire ja auch so eine Art Beruhigungsmittel. Das könnte auch heute wieder funktionieren, aber das muss man abwarten. Und andererseits muss sich auch zeigen, ob nicht etwa umgekehrt die Marke selbst bei diesem Imageverlust Schaden genommen hat.
Als eine Art Relikt des Empire und des Kalten Krieges hat Bond bisher noch stets die britische Fahne hochgehalten. Aber auch vor ihm macht die Globalisierung nicht Halt…
Dass man Bond zunehmend globaler positionieren möchte, zeigt sich ja schon länger. Man legt Wert darauf, dass der Gegner jetzt ein internationales Syndikat ist, unabhängig von Ländern. Ein Höhepunkt und Abgesang zugleich ist die Schlussszene von „Skyfall" aus dem Jahr 2011, in der Bond über die Dächer des Regierungsviertels mit den flatternden Union Jacks blickt. Wenn ich mir ansehe, was über „Keine Zeit zu sterben" bisher bekannt geworden ist, hört sich das – für Bond-Verhältnisse – alles recht konventionell an. Ein verschwundener Wissenschaftler muss gefunden werden, weil er etwas erfunden hat, das in den Händen eines Schurken zur Gefahr wird, und Bond muss ihn finden, damit nicht Millionen Menschen von einem Irren getötet werden. Trotz einiger Neuerungen hier und da will man wohl auf Nummer Sicher gehen…
Wie zeitgemäß ist Bond überhaupt noch? Früher ging Bond im Filmgeschäft voran und setzte mit seinen Extravaganzen Maßstäbe. Aber wenn man sich heute beispielsweise die Marvel-Filme ansieht, wo irgendjemand auf einen Knopf drückt und alles, was in den letzten drei Filmen passiert ist, ist null und nichtig, da ist Bond ja fast schon der „Normalo".
Das James-Bond-Franchise ist eines der langlebigsten und erfolgreichsten im Filmgeschäft, aber dadurch wird natürlich auch eine Menge Ballast mitgeschleppt. Bond ist ja praktisch eine Formel mit wiedererkennbaren Elementen, die dann der Zeit entsprechend angepasst werden. Die Kunst ist es, immer wieder die richtige Mischung zwischen Konvention und Innovation zu finden. Mit diesem Mühlstein von Historie um den Hals, wie Bond sie hat, kann man nicht leicht Experimente wagen, in diesem hochpreisigen Filmgeschäft ist das nicht drin.
Vor allem das Frauenbild wurde immer wieder angepasst. In Zeiten von Aids musste Timothy Dalton plötzlich monogam werden, Pierce Brosnan wurde in „Golden Eye" gleich mal von seiner neuen Chefin in den Senkel gestellt. Und jetzt heißt es, Phoebe Waller-Bridge sei engagiert worden, um das Drehbuch „#meetoo"-tauglich zu machen.
Daniel Craig ist diesbezüglich ja selbst ein ziemlich wacher Geist, insofern glaube ich tatsächlich, dass sie in erster Linie wegen ihrer Fähigkeiten als Schreiberin an Bord geholt worden ist. Mit „Fleabag" hat sie sich da ja durchaus einen Namen gemacht. Man dachte möglicherweise, dass nach der doch etwas komplizierten Produktionshistorie eine ordnende Hand und eine zusätzliche Prise Humor im Drehbuch nicht schaden können.
Bond ist ja in der Tat eine Marke, mit der viel Geld verdient wird. Von Film-Enthusiasten wird die Reihe aber oft als Massenprodukt ohne größeren filmischen Wert abgetan.
Ich bin ja auch Shakespearianer, und da gibt es eine durchaus interessante Parallele: Zu seiner Zeit war Shakespeare ja auch Massenunterhaltung. Ich glaube durchaus, wenn man später einmal kulturhistorisch auf das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert zurückblickt, dass da zumindest der eine oder andere Bond-Film schon einen gewissen Stellenwert als Kulturprodukt haben wird. Mein erster Kandidat dafür ist „Skyfall". Skript, Darstellung, Kameraführung und auch die Schlüssigkeit der Story – da wurde Bond nochmal auf ein ganz neues Level gehoben. Bei dem Nachfolger „Spectre" ist das dann nicht mehr so ganz gelungen.
Natürlich ist es Massenunterhaltung, und es geht ums Geschäft. Aber diese doch etwas abgehobene Unterteilung zwischen „E" (Ernst) und „U" (Unterhaltung), die wir hier in Deutschland noch pflegen, die gibt es im anglofonen Raum nicht in diesem Maße, und sie ist auch kaum noch zeitgemäß. Etwas abzulehnen unter der Prämisse „Das ist Massenunterhaltung, das kann ja nichts taugen" –
sowas halte ich für Blödsinn.
Sie haben 2009 in Saarbrücken die internationale „Bond Conference" organisiert. Was macht Bond für Sie als Wissenschaftler so interessant?
Für Anglisten ist Bond Gold wert. Wenn Sie sich die britische Kulturgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ansehen, können sie mithilfe der Bond-Romane und der Bond-Filme fast alle wichtigen Themen durchdeklinieren. Das fängt ja schon mit der Person von Ian Fleming an, mit seinem Lebensstil und seiner schillernden Familiengeschichte. Das ist ein fiktionales Universum, vergleichbar mit „Star Wars" oder „Harry Potter", aber Bond gibt es – auch durch die Romane – ja schon seit 1953. Entsprechend viel ist da eingeflossen, und entsprechend viel können Sie da analysieren.
Bond ist ein Produkt des Kalten Krieges, und er stellt ein wenig das manchmal übersteigerte britische Selbstwertgefühl dar. Nach der großen Kränkung in der Suezkrise von 1956 war klar, dass die Briten auf der Weltbühne als Supermacht mit den Sowjets und den Amerikanern nicht mehr mithalten können. Dass dann vor allem in den Romanen immer Großbritannien als der große Erzfeind der Sowjets dargestellt wird… um es mal so zu sagen: Die Russen waren damals nicht in erster Linie auf das Vereinigte Königreich fixiert.
Tatsächlich läuft es in den Romanen ja am Ende immer auf die Sowjetunion hinaus, selbst die größten Schurken sind am Ende immer Handlanger des KGB. In den Filmen hat man das aber von Anfang an vermieden.
Der erste Bond-Film, „Dr. No", kam 1962 heraus, fast zeitgleich mit der Kubakrise. Die Welt stand am Abgrund, der Atomkrieg war zum Greifen nah. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das an mancher Stelle zu einem Umdenken geführt hat, dass niemandem damit geholfen ist, wenn man die Sowjetunion zu sehr dämonisiert. Die Russen kamen zwar immer noch vor, waren aber oft beispielsweise abtrünnige Generäle oder Umstürzler. Und in der Spätphase der Sowjetunion gab es dann dann sogar „gute" Russen.
Ein Leitmotiv der neueren-Bond-Filme ist ja das Verschwinden der eindeutigen Grenzen zwischen Gut und Böse. Der Monolog den Mathis in „Ein Quantum Trost" dazu hält, stammt aber eigentlich aus dem allerersten Roman „Casino Royale". Kann man sagen, Bond ändert sich, bleibt aber doch stets gleich?
Ja und nein. Der Monolog ist von 1953, aber der Kontext ist natürlich ein anderer. 1953 war Vieles noch etwas klarer: Egal, wie undurchsichtig es wird, am Ende führt die Spur hinter den Eisernen Vorhang. In „Quantum" sind wir hingegen im 21. Jahrhundert, die Welt hat sich verändert, die Verhältnisse sind komplett anders, und es gibt viel komplexere Probleme. Das Böse operiert global und ist nicht auf politische Ideologien fixiert.
Die obligatorischen Fragen: Ihr Lieblings-Bond-Darsteller? Ihr Lieblingsfilm? Und bei einem Anglisten kann man ausnahmsweise auch mal nach den Romanen fragen…
Bei den Romanen ist es „Liebesgrüße aus Moskau". Kalter Krieg in Reinkultur – John F. Kennedy bekannte, dass er den Roman mochte. Und man merkt, dass Fleming mit seiner Figur und ihrer fiktiven Welt vertraut geworden ist. Bei den Filmen ist es „Skyfall", aber ich mag auch „Golden Eye". Und bei den Darstellern fand ich die Eleganz von Pierce Brosnan immer sehr passend.