Auf den Spuren von Günter Grass tourten prominente Künstler im Bulli durch Mecklenburg-Vorpommern. Das Ziel: Zur Landtagswahl am 26. September die Nichtwähler aus dem Haus zu locken, sagt Kati Mattutat.
Frau Mattutat, was war Hauptmotiv des Projekts?
Die Botschaft ist vor allem: „Leute, geht wählen – es kommt drauf an!" Wir wollen aber nicht für eine bestimmte Partei werben, sondern für das Wählen überhaupt. Auch wer unzufrieden ist, sollte wählen gehen. Je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr Legitimität haben politische Entscheidungen, desto weniger fallen extreme Positionen ins Gewicht.
Und funktioniert Ihr Ansatz? Können Sie die Nichtwähler motivieren?
Am besten erreicht man die Leute in den persönlichen Gesprächen vor und nach den Veranstaltungen. Wenn sie etwa kommen, um sich den Bulli anzuschauen. Auch Friedel Drautzburg, unser Bulli-Leihgeber, ist jederzeit ein offener Gesprächspartner. Wir versuchen überall, die Menschen einzubeziehen, die vor Ort die Fahne für demokratische Werte hochhalten. Wir waren zum Beispiel in Userin, in der Mecklenburgischen Seenplatte, wo es seit 18 Jahren einen Kulturverein gibt. In Parchim existiert ein Netzwerk für Flüchtlinge. Manchmal kennen wir aber auch niemanden. Dann rufen wir einfach bei der Gemeinde an und fragen, ob wir uns auf den Markt stellen dürfen.
Mecklenburg-Vorpommern ist ein demografisch altes Land. Wie geht es hier den jüngeren Generationen?
Wir haben Schüler der neunten Klasse in Pasewalk besucht. Sie beklagen, dass es keine Kultur- und Freizeitangebote für Jugendliche gibt und dass viel Unterricht ausfällt. Mich hat erschreckt, dass alle vorhaben, wegzuziehen. Aus der ganzen Klasse wollen nur zwei Schüler in Pasewalk bleiben.
Wie steht es um die ostdeutsche Identität?
Die DDR ist nach wie vor ein Thema. Bei unserer Diskussion in Userin waren viele um die Siebzig-Jährige. Sie haben das Gefühl, dass ihre Biografien nicht wertgeschätzt werden und fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Mit dabei war der Soziologe Steffen Mau, der in den Siebzigern in einem Rostocker Neubauviertel aufwuchs. Er ist der Überzeugung, dass die Transformationsleistung der Ostdeutschen immer noch zu wenig anerkannt wird.
Wie verlief das Podiumsgespräch mit Ex-„Bild"-Chef Kai Diekmann in Heringsdorf?
In der Heringsdorfer Kurmuschel hat er sich ganz in den Dienst unserer Sache gestellt und fürs „Wählen gehen" und die demokratische Kultur geworben. Er hat aus den Hassmails gelesen, die er bei „Bild" bekam. Natürlich, die Bild-Zeitung teilte zu seiner Zeit auch selbst kräftig aus. Aber Diekmann hat klargestellt, dass er die Diskussionskultur erhalten möchte, dass ihm ein Diskurs und der Austausch von Argumenten wichtig sind.
Woran liegt es, dass das nicht mehr selbstverständlich ist?
Wir sind wohl alle mit der Digitalisierung überfordert. Handys tragen dazu bei, dass die zwischenmenschliche Kommunikation oberflächlicher wird. Algorithmen blähen die Informationsblasen immer weiter auf. Manche Menschen verlieren dann ihren Sinn für Anstand und Moral.
Ist es Aufgabe des Journalismus, dem etwas entgegenzusetzen?
Ja, aber wie oft wird in den Zeitungen ein Thema hochgehyped; eine Woche später ist es wieder verschwunden. Wir müssten uns mehr Zeit nehmen, komplexe Themen zu beleuchten. Die Zeitungen sollten auch den Kommunalpolitikern besser auf die Finger schauen, gerade in Zeiten von Corona, wo die Bürgerbeteiligung erschwert ist.