Per Auktion löst Deutschland sein Kohle-Verstromungsproblem. Das Aus kommt schnell: Steigende CO2-Preise machen fossile Kraftwerke verstärkt unrentabel. Dennoch bleiben einige als Reserve erhalten – um im Notfall einspringen zu können.
Seit 15 Jahren bekämpft der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland zusammen mit Anwohnern das Kohlekraftwerk Datteln 4, zwischen Recklinghausen und Bergkamen in Nordrhein-Westfalen. Erst seit einem Jahr ist es am Netz – und, salopp formuliert, ein Schwarzbau, wie das Oberverwaltungsgericht Münster nun festgestellt hat. Im Klartext: der Bau fußt auf einem unwirksamen Bebauungsplan, es wurden Umweltauflagen nicht beachtet, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Umweltschützer und die Stadt Waltrop, die geklagt hatten, jubeln. Trotzdem darf das modernste, 1.100 Megawatt Strom produzierende Kraftwerk vorerst am Netz bleiben, denn für den Betrieb gelten andere Rechte.
Spätestens 2038 endet die Kohleverstromung, gesetzlich verankert, in Deutschland. Doch schon bis 2023 werden laut Bundesnetzagentur rund 15.000 Megawatt Leistung aus Braunkohle, Steinkohle und Atomenergie endgültig heruntergefahren. Der endgültige Ausstieg aus der Kohleverstromung könnte allerdings noch schneller gehen als erwartet. Denn mit steigenden CO2-Preisen steigen auch die Betriebskosten von Kohlekraftwerken, schon jetzt sind die meisten nicht mehr rentabel.
Elf Anlagen abgeschaltet
Kraftwerksbetreiber wie die nordrhein-westfälische Steag wollen deshalb so früh wie möglich raus aus der Kohleverstromung. Mehrere Kohlekraftwerke gehören aktuell noch zum Konzern, darunter zum Beispiel die Anlagen Fenne, Weiher III und Bexbach im Saarland. Alle drei Anlagen sind bereits zur Stilllegung angemeldet. Dies geschieht in Form eines Bieterverfahrens: Pro Jahr wird ein Megawatt-Kontingent festgelegt, das in Deutschland abgeschaltet werden muss. Die Betreiber bieten daraufhin Kraftwerke an, die Bundesnetzagentur gibt einen Zuschlag. Danach fließt Geld. In der ersten Abschaltrunde 2020 wurden elf Anlagen abgeschaltet. Die Betreiber erhielten als Entschädigung dafür insgesamt 317 Millionen Euro.
Die Bundesnetzagentur und der deutsche Stromnetzbetreiber Amprion müssen nun entscheiden, ob sie die fraglichen saarländischen Kraftwerke noch als Reserve im Stromnetz erhalten wollen. Stichtag für die Entscheidung ist der 30. April 2022, sagt Ralf Schiele, Mitglied der Geschäftsführung der Steag-Gruppe. „Die Bundesnetzagentur hat allerdings bereits im Frühjahr dieses Jahres festgestellt, dass die Kraftwerke Weiher und Bexbach bis 2025 weiterhin systemrelevant sind", so Schiele im Gespräch mit FORUM. Ob Weiher und Bexbach darüber hinaus in Betriebsbereitschaft bleiben, liegt nicht in der Hand von Steag. Darüber befinden ebenfalls Amprion und die Bundesnetzagentur. Würde die Systemrelevanz 2025 auslaufen, werden die Kraftwerke in jedem Fall kurzfristig stillgelegt. Fenne hatte bereits im Herbst 2022 den Zuschlag erhalten, seine Stilllegung steht an. Noch prüft Amprion allerdings die Systemrelevanz. Erst wenn diese Prüfung erfolgt sei, lasse sich absehen, wie die weitere Perspektive für dieses Kraftwerk sei, so Ralf Schiele.
Endet die fossile Stromerzeugung, müssen Alternativen her. Zugebaut werden derzeit bis 2022 insgesamt rund 2.500 Megawatt Leistung an wetterunabhängigen Stromerzeugern, etwa Gaskraftwerke. Die Erneuerbaren hinken hinterher. Der Bundesverband Windenergie vermeldet zwar ein deutliches Plus bei den Genehmigungsverfahren. Aber: „Das erneute Marktwachstum reicht nicht aus, um die Zielvorgaben des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von knapp 4.000 Megawatt pro Jahr zu erfüllen", so BWE-Chef Herrmann Albers. Auch in der Photovoltaik gibt es noch Luft nach oben. Das Fraunhofer Institut rechnete nach, dass ein „massiver Ausbau der installierten PV-Leistung" notwendig sei, um die Ziele im Jahr 2040 zu erreichen. 2020 wurden die gesetzlich erforderlichen 2.500 Megawatt Zubau übertroffen, jährlich müsste es aber das Vier- bis Achtfache sein, so die Forscher. Nächster Halt: Solardachpflicht.
Erneuerbare hinken noch hinterher
Auch wenn das Steinkohle-Aus schneller gehen könnte als erwartet: Das Ende der Braunkohle dauert. Daher wird in Deutschland weiter Kohle gebaggert, unter anderem im Rheinland. Der Braunkohle-Tagebau soll nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und dem Stromkonzern RWE, dem Betreiber, sogar weiter wachsen. Garzweiler II stößt aber an seine Grenzen, genauer, an das Dörfchen Lützerath. Dort hat sich massiver Widerstand gebildet: Der letzte dort verbliebene Landwirt kämpft unermüdlich dafür, dass er und sein Hof bleiben dürfen. Kürzlich war selbst Klimaaktivistin Greta Thunberg zu Gast. Laut RWE lagern in dem Gebiet insgesamt 1,2 Milliarden Tonnen Kohle – mit einem Marktwert von 11,4 Milliarden Euro.
Künftig stillgelegte Kraftwerke aber sollen keine toten Liegenschaften bleiben. „Wir bekennen uns zu unserem Standort im Saarland, denn wir haben dort eine gute Infrastruktur", sagt Ralf Schiele von Steag. Deshalb sollen sie weiterverwendet werden: Fenne als Standort für einen Wasserstoff-Elektrolyseur, der den ÖPNV und die Stahlindustrie versorgt, Bexbach und Weiher als Standort für Gasturbinen-Anlagen, die als Netzstütze dienen könnten.
Mit steigenden Energiepreisen aber sieht die Ausgangslage heute wieder anders aus. Sie könnten selbst die Kohleverstromung trotz hoher CO2-Preise wieder rentabel machen. Diese Entwicklung aber hängt stark von den Preisen für Brennstoffe, zum Beispiel Gas und Kohle, und dem Emissionshandel ab. Und trotz dieser aktuellen Entwicklung ist klar, dass der Ausstieg aus der fossilen Stromproduktion keinen Weg zurück kennt. Die Tage der Kohle sind gezählt.