Die Algarve zählt zu den familien-freundlichsten Regionen von Portugal. Neben atemberaubenden Klippen mit versteckten Buchten wartet das unbekannte Hinterland auf kleine und große Entdecker.
Der ist ja riesig", ruft Marc Robin entsetzt und geht instinktiv auf Abstand. „Nein, danke!" Na ja, ist er ja wirklich, der Esel. Zumindest im Vergleich zu dem Youngster im zarten Alter von gut drei Jahren. Ein klarer Fall für Eseltrainerin Lucília Rodrigues: „Erst einmal vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen. Den Jungen in den Arm nehmen und dann langsam annähern", erklärt sie der skeptischen Mama. „Auf Augenhöhe sozusagen. Vorsichtig beschnuppern, streicheln. Und schlussendlich das tun, was jedes störrische Eselherz wie Butter in der Sonne Portugals dahinschmelzen lässt: sein struppiges Fell bürsten!" Nach ein paar Minuten aktiver Körperpflege ist Marc Robins Angst verflogen. Der Respekt bleibt.
Über Stock und Stein führt der Weg durch das hüglige Hinterland der Algarve, das kaum einer der Hardcore-Strandurlauber je zu Gesicht bekommt. Vorbei an grünlich-braunen Tümpeln und blau leuchtenden Libellen, goldgelben Feldern, windschiefen Pinien und knochigen Olivenbäumen, von denen einige sicher schon ein paar Hundert Jahre auf dem Buckel haben. Nicht ganz so alt sind die imposanten Korkeichen, die hier alle neun bis zwölf Jahre entrindet werden und den besten Kork der Welt liefern. Sagen zumindest die Portugiesen. Ganz sicher spenden sie aber wohltuenden Schatten für ein Picknick mit Spezialitäten der Gegend: Lucília hat frisch gebackenes Maisbrot, luftgetrocknete Wurst und Schinken vom schwarzen iberischen Schwein, aromatischen Schafskäse in Meersalzlake und selbst gemachte Limonade mitgebracht. Einfach lecker.
Lokale Köstlichkeiten
Wer von all diesen und anderen lokalen Köstlichkeiten nicht genug bekommen kann, ist auf dem Markt im historischen Städtchen Loulé goldrichtig. Soll es vielleicht ein malzig-aromatischer Carob sein? Das ist der dunkle Honig vom Johannisbrotbaum, den einst die Mauren ins Land brachten. Inzwischen längst eine Spezialität der Gegend. Oder lieber eingelegte Oliven? Leicht fruchtig, zartbitter, mit Petersilie, gleich aus dem Fass?
Oder doch lieber etwas Handfestes, Schwerverdauliches? Die Designerin Sandra Louro verkauft vom Untersetzer über Brieftaschen bis zum Sessel ausschließlich Selbstentworfenes. Der Clou ihrer Schmuckstücke ist jedoch das Material: Alles wird aus dem Kork der heimischen Eichen hergestellt. Schöne Idee. Nicht ganz so handfest, aber genauso lokal sind die selbst gemachten veganen Kosmetika und Olivenölseifen von Julie Pinto. Verfeinert mit Lavaerde und Wacholder beispielsweise oder mit Lavendel.
Das Seifekochen hat die hübsche Französin in Paris und Brüssel erlernt. Irgendwann hatten Julie und ihr Mann Marco genug vom hektischen Großstadtleben und zogen an die Algarve. Aus einem heruntergekommenen Bauernhof zimmerten sie ein kleines Bed & Breakfast mit viel Liebe zum Detail. Aus Esel- und Schweinestall wurden zwei Gästezimmer. „Wir kochen und essen ausschließlich vegan", erklärt Julie ihr ganzheitliches Konzept. „Und unseren Swimmingpool aus Naturstein befüllen wir im Winter mit Regenwasser aus den Bergen, und das Schilf reinigt es rein biologisch ohne irgendwelche Chemie."
Die Kombination aus ein paar Tagen ruhigem Landleben mit entspannten Wanderungen und klassischem Strandurlaub an der atemberaubenden Atlantikküste scheint gerade bei Städtern immer beliebter zu werden. Das kleine „Casa Brava" wird mittlerweile gut gebucht.
Das scheint sich wohl herumgesprochen zu haben. Ein paar Täler weiter entsteht gerade das „Ombria Resort". Zwar alles ein paar Nummern größer, aber die Häuser fügen sich ebenfalls harmonisch in die Landschaft ein und das Konzept ist ähnlich nachhaltig. Man hat beispielsweise mit Gras experimentiert, dass extrem wenig Wasser benötigt. Wichtig in einer Gegend, die in den heißen Sommern knochentrocken werden kann.
Aber egal wie schön es im traditionellen Hinterland auch sein mag, wer nicht wenigstens ein paar Tage am wilden Atlantik verbracht hat, war nicht wirklich an der Algarve, sagt man. Und der letzte Zipfel des Landes ist ein perfekter Anfang zum Erkunden „der schönsten Küste Europas", wie sie von den Portugiesen liebevoll genannt wird.
Ein Zipfel, der Maßstäbe setzt: Cabo de São Vicente! 60 Meter ragen die Felsen hier senkrecht aus dem stahlblauen Meer und meterhohe Wellen brechen sich am rauen Stein. Seit Menschengedenken und noch viel länger nun schon. Einige Mythen ranken sich um das geheimnisvolle Kap. Es soll einst Schlafplatz der Götter gewesen sein, Menschen war der Aufenthalt nach Einbruch der Dunkelheit untersagt. Und der mit Steinen beschwerte Leichnam des gefolterten Märtyrers Vinzenz von Valencia soll im 4. Jahrhundert auf wundersame Weise hier gestrandet sein. Nach ihm wurde das Kap benannt, er ist bis heute der Schutzpatron Portugals.
Wandern und Strandleben
Auf jeden Fall galt der Fels in der tobenden Brandung ewig als das Ende der Welt. Dort, wo Abend für Abend die glutrote Sonne im Meer versank und das furchterregende Reich blutrünstiger Drachen und Seeungeheuer begann.
Pünktlich zum Sonnenuntergang wird es zuweilen recht voll am Kap. Dabei strahlt der Fels mit seinem imposanten Leuchtturm am faszinierendsten im wärmenden Licht der frühen Morgensonne. Dann ist dort weit und breit kein einziger Mensch zu sehen. Wie auch? Für die Einheimischen beginnt der Alltagstrott mit Schule und Arbeit und die Touristen machen sich zu dieser Stunde gerade über die opulenten Frühstücksbüfetts in den geschmackvollen Strandhotels her. Verständlich, das kulinarische Niveau ist hoch an der Algarve. „Wir versuchen, wirklich alle Sinne unserer Gäste anzusprechen", verrät Verkaufschefin Barbara Müller vom „Martinhal Sagres Beach Family Resort". „Ein vielfältiges Angebot von traditionell portugiesischen Gerichten bis hin zu internationaler Fusion-Küche gehört bei uns dazu." Fangfrischer gegrillter Oktopus sei übrigens der Renner, so Barbara, die es vor ein paar Jahren von Deutschland an die Algarve verschlagen hat.
Sie hatte sich damals Hals über Kopf in das entspannte Miteinander der Portugiesen verliebt. Auch in das gute Essen und ins Kap des Heiligen Vinzenz am Ende der Welt, in die versteckten Buchten und verwunschenen Grotten, in die fast unwirklich rot leuchtenden Sandsteinklippen bei Vilamoura. Und in die sportlichen Stand-up-Paddler weit draußen auf dem Atlantik, die zuweilen wie von Zauberhand von verspielten Delfinen eskortiert werden.