Generalprobe mit Pizza? Nichts Ungewöhnliches beim Kinderopernhaus Berlin. Hier machen Schüler und Profimusiker gemeinsam Musiktheater – ein Herzstück der Education-Arbeit der Staatsoper Unter den Linden.
Zehn erfolgreiche Opern-Produktionen, hunderte musikbegeisterter Kinder – das ist die Bilanz des Kinderopernhauses Berlin. Schüler erhalten hier die Möglichkeit, Musiktheaterstücke einzustudieren und vor Publikum aufzuführen. Dass dadurch auch Selbstbewusstsein, Kreativität und soziale Kompetenzen zunehmen, muss nicht mehr bewiesen werden.
2020 bekam das Kinderopernhaus den „Opus Klassik“-Preis in der Kategorie „Nachwuchsförderung“. Bei der Preisverleihung hielt Kultursenator Klaus Lederer eine euphorische Laudatio: „Der Anspruch der Kinderoper, die Erfahrung von Kunst auch denjenigen besser zugänglich machen, die nicht schon durch ihr Elternhaus hochkulturell sozialisiert und etwa mit der Institution Oper bestens vertraut sind, wird hier Jahr für Jahr eingelöst. Großartig!“
Erstes Kinderopernhaus im Plattenbauviertel
Dieses Lob geht in erster Linie an eine Person: Regina Lux-Hahn ist die Gründerin der Kinderoper. Die einstige Sozialpädagogin und Leiterin der Caritas-Einrichtungen im Ostteil Berlins wollte auch Kinder mit der Welt der klassischen Musik vertraut machen, deren Eltern keinerlei Bezug zu Opern und Sinfonien haben. Das erste von inzwischen vier Kinderopernhäusern gründete sie in einem Begegnungszentrum der Caritas in Berlin-Lichtenberg, mitten in einem ausgedehnten Plattenbaugebiet.
Im Vordergrund steht hier die Freude am kreativen Tun; Leistungsdenken ist zweitrangig. Die teilnehmenden Kinder treffen sich ab der dritten Klasse wöchentlich. Sie werden nicht nur in Darstellendem Spiel und Gesang unterrichtet, sondern auch sozialpädagogisch betreut. „Die Gruppenarbeit macht viel Spaß“, stellt der 15-jährige Jan fest, der seit fünf Jahren bei der Kinderoper mitmacht und inzwischen Profi-Opernsänger werden will.
Im letzten Jahrzehnt sind neben dem Lichtenberger Stammhaus drei weitere Kinderopernhäuser entstanden. „Als Partner wurden verschiedene Grund- und Musikschulen mit ins Boot geholt, soso dass nun unter dem Dach der Kinderoper insgesamt elf Arbeitsgruppen mit jeweils rund 20 Kindern aktiv sind“, erklärt Regina Lux-Hahn. Sechs Berliner Stadtbezirke sind abgedeckt; darunter auch strukturschwache Gebiete am Stadtrand: Teile von Reinickendorf, Marzahn oder Hellersdorf.
An der Staatsoper Unter den Linden laufen die Fäden zusammen: Hier stellen die Kinder gemeinsam mit Gesangssolisten und Musikern der Staatskapelle alljährlich eine ambitionierte Produktion auf die Beine. Dafür wird mehrere Monate geprobt – inklusive Einzelcoachings, Stimmbildung und szenischer Besprechungen für die jungen Darsteller.
Musikalische Wunderkinder werden dennoch nicht gesucht. Voraussetzung für die Teilnahme seien „Motivation, Konzentration und Freude am Mitmachen“, betont Regina Lux-Hahn. „Wir betreiben kein Exzellenz-Projekt.“
Mittlerweile wurden so einige erfolgreiche Inszenierungen auf diesem Wege realisiert. 2018 kam ein Portrait über Fanny Hensel auf die Bühne, die musikalisch hochbegabte Schwester Felix Mendelssohns. 2019 gab es eine Produktion nach Sergej Prokofjews Komödie „Die Liebe zu den drei Orangen“.
Die Kinderopernhäuser wurden bereits von Jürgen Flimm mitgetragen, dem Intendanten der Berliner Staatsoper von 2010 bis 2018. Dessen Nachfolger Matthias Schulz hat die Einrichtung fest am Hause verankert und zu einem Herzstück der Education-Arbeit gemacht. Jetzt hat Kinderopernhaus-Gründerin Regina Lux-Hahn einen Vertrag mit der Staatsoper. Finanziert wird das Ganze durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung, die beteiligten Stadtbezirke, Eigenmittel der Staatsoper und Sponsoren.
Die für den Kulturbereich verheerende Pandemie hat auch der Kinderoper Steine in den Weg gelegt. So musste das für Mai 2020 geplante Mozart-Projekt zum zehnjährigen Bestehen der Kinderoper ins Wasser fallen, „Fatto Matto Amadé“ mit Melodien aus der „Zauberflöte“ und dem „Figaro“.
Das aktuelle Richard-Wagner-Projekt „Sehnsucht.Lohengrin“ sollte ursprünglich bereits im Mai stattfinden. „Wir haben wochenlang auf Zoom geprobt; dann konnten wir unter strengen Hygiene-Auflagen mit Abstand und Maske proben“, erzählt Regina Lux-Hahn. „Mehrere Kinder haben die Arbeit am Projekt abgebrochen, weil sie unter diesen Bedingungen keine Lust mehr hatten.“
Erst seit Juni konnten die Proben für „Sehnsucht.Lohengrin“ in gewohnter Weise stattfinden. Während der Herbstferien liefen die anstrengenden Endproben – inklusive Pizzaessen nach der Generalprobe. Premiere war am 20. Oktober, im Anschluss folgen sieben weitere Aufführungen im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper.
Die „Lohengrin“-Handlung beginnt im Gerichtssaal: Elsa von Brabant ist des Mordes an ihrem Bruder angeklagt. Niemand wagt es, die Unschuld der jungen Frau in diesem unerklärlichen Fall zu beweisen. Da naht der Gralsritter Lohengrin – nach Wagners Vorstellung im vom Schwan gezogenen Kahn. Er verspricht, für Elsa zu kämpfen – unter einer Bedingung: Elsa muss ihm blind vertrauen und darf ihn nicht nach seinem Namen oder seiner Herkunft fragen.
Auf das Wagner-Projekt folgt Bach
Singend und spielend eignen sich die Jugendlichen Richard Wagners hochromantische Musik und die märchenhafte Handlung an. „Im ‚Lohengrin‘ geht es um die Sehnsucht danach, dass unsere Träume Wirklichkeit werden. Dass ein Wunder geschieht, ein Held erscheint, der uns rettet“, umreißt Regisseurin Ulrike Schwab ihre tastende Herangehensweise an die Inszenierung, die letztendlich als ein Work in Progress gemeinsam mit den jungen Darstellern entsteht. „Welchen Weg soll ich nehmen? Gibt es jemanden, der mir meinen Weg zeigen kann? Es geht um den Abschied von der Kindheit und die Frage nach Identität.“
Die Hauptrollen übernehmen vier Gesangs-Profis aus dem Ensemble der Staatsoper. Ein Dutzend Musiker der Staatskapelle geben das Kondensat von Wagners riesigem Orchestersatz wieder. Nach den Proben sitzen die Kinder im Kreis. Co-Regisseur Georg Schütky lobt, feuert an, gibt darstellerische Hinweise. „Oper ist eine merkwürdige Kunst, wo man manchmal tricksen muss, damit es echt aussieht“, bringt er für die jungen Darsteller die Illusion des Theater-Machens auf den Punkt. Am Rande meint die 13-jährige Sarah: „Bei der Premiere werde ich wohl richtiges Lampenfieber haben; aber danach wird es sich legen.“
Da „Sehnsucht.Lohengrin“ corona-bedingt verschoben wurde, kommt im Juli 2022 noch die reguläre Kinderoper-Produktion dieser Saison auf die Bühne: „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde“ nach der gleichnamigen Kantate von Johann Sebastian Bach. Hier geht es um den musikalischen Wettstreit zwischen Apoll mit seiner Leier und dem flötenden Waldgeist Pan.