So langsam kommt Fahrt in die Suche nach einem Nachfolger des zurückgetretenen Fritz Keller. Beim Bundestag im März will das Amateurlager einen eigenen Kandidaten zum neuen DFB-Präsidenten wählen. Favorit ist Bernd Neuendorf.
Langeweile verspürt Fritz Keller ganz bestimmt nicht. Als Gastronom, Winzer und Händler ist der 64-Jährige geschäftlich stark eingebunden, außerdem widmet der Ehrenpräsident dem Bundesligisten SC Freiburg noch immer Zeit. Und die Medienanfragen nehmen auch wieder zu, jetzt, wo sich die Suche nach seinem Nachfolger als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf der Zielgeraden befindet. Kellers Meinung zum Zustand innerhalb des größten Sportfachverbandes der Welt hat sich seit seinem Rücktritt im Mai im Zuge einer verbalen Entgleisung und eines schmutzigen Machtkampfes nicht verändert.
„Es geht heute nicht mehr, dass irgendein Branchenfremder, der gewählt wird, Sachen entscheidet wie am Stammtisch. Beim DFB ist das immer noch so“, sagte Keller dem Sender Sky. Im Verband gebe es zwar „sehr, sehr gute Leute“, die er selbst schätzen gelernt habe, „aber die müssen irgendwann einmal das Sagen haben“. Momentan führen Kellers Intimfeind Rainer Koch und Peter Peters in einer Doppelspitze interimsmäßig den DFB, und auch diese Kombination sei ein Ausdruck der fehlenden Reformbereitschaft, kritisierte Keller. Es hätten „wieder nicht die Profis entschieden, sondern diejenigen, die durch Hierarchien reingerutscht sind“. Im DFB sei es wichtiger, „wie lange jemand ein Amt ausfüllt“, die Qualifikation und Nachhaltigkeit seien sekundär. „Das muss beim DFB unbedingt geändert werden“, forderte Keller.
Rein formal kann Keller überhaupt nichts mehr einfordern. Sein Einfluss endete mit der Beleidigung für Koch, den er in einer Sitzung mit „Roland Freisler“ ansprach, einem mitverantwortlichen Richter für die Organisation des Holocausts in der Zeit des Nationalsozialismus. Es folgte der unausweichliche Rücktritt, dem schloss sich auch der heftig umstrittene Generalsekretär Friedrich Curtius an, mit dem Keller im Dauer-Clinch lag. Zudem kündigten der Vizepräsident Koch und Schatzmeister Stephan Osnabrügge ihren Rückzug an. Zehn Monate nach diesem Beben werden beim DFB-Bundestag am 11. März in Frankfurt/Main der neue Präsident, der neue 1. Vizepräsident und ein neuer Schatzmeister gewählt. Die Kandidaturen können bis zum 10. Februar eingereicht werden, doch dem Vernehmen nach soll schon rund um den Jahreswechsel der neue starke Mann feststehen.
Welche Rolle spielt Strippenzieher Rainer Koch?
Dann nämlich möchte sich der Amateurbereich auf einen Kandidaten geeinigt haben – und dieser soll wieder aus ihren eigenen Reihen kommen. Nach dem Rücktritt von Reinhard Grindel, der am Schluss über eine „Uhren-Affäre“ stolperte, hatte sich der Profifußball mit der Personalie Keller durchgesetzt – das Ergebnis ist bekannt. Nun wollen die Amateure ihren eigenen Vertreter ins Rennen schicken, und der dürfte – sofern es kein nennenswertes Abweichverhalten gibt – am Ende auch als Gewinner die Ziellinie überqueren. Die 21 Landes- und fünf Regionalverbände halten bei der Wahl die Stimmenhoheit.
Bis zur nächsten Tagung der Landesverbände am 25. und 26. Oktober in Frankfurt will sich das Amateurlager konkrete Vorschläge überlegen, doch ein Kandidat hat sich längst als Favorit auf den wichtigsten Funktionärsposten im deutschen Fußball herauskristallisiert: Bernd Neuendorf. Für manche Insider war nach der Tagung der Amateure im Oktober in Hamburg sogar schon klar, dass der SPD-Politiker und Verbandsvorsitzende vom Mittelrhein der neue DFB-Boss wird.
Neuendorf war einst als Journalist für Agenturen und Zeitungen tätig, was er mit seinem Vor-Vor-Vorgänger Wolfgang Niersbach gemein hätte. Danach machte er als Politiker Karriere, was ihm wiederum mit Vor-Vorgänger Grindel vereinen würde. Erfahrungen im Profifußball wie bei Vorgänger Keller kann Neuendorf zwar nicht vorweisen, doch Noch-Schatzmeister Osnabrügge ist sich sicher, dass auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) den Favoriten der Amateure „als Staatssekretär mit viel Erfahrung im Umgang mit der Führung großer Häuser“ akzeptieren würde.
Vielleicht noch wichtiger als der Name ist die Richtlinienkompetenz, die bei Keller noch aus dem Anforderungsprofil gestrichen worden war, nun aber wieder eingeführt werden soll. „Es geht dabei nicht um Macht“, betonte Hans-Dieter Drewitz vom Südwestdeutschen Fußball-Verband, „sondern um die Möglichkeit, anhand einer Kompetenzzuteilung zielgerichtet arbeiten zu können.“ Der neue Präsident dürfe dann unter anderem den künftigen Generalsekretär selbst vorschlagen. Für die Wiederaufnahme der Richtlinienkompetenz bedarf es aber einer Satzungsänderung, die erst auf dem Bundestag beschlossen werden kann.
Schwierige Suche nach gutem Personal
Der Profifußball hielt sich beim Auswahlverfahren merklich zurück. „Ich wünsche ihnen, dass sie eine gute Lösung finden“, sagte der frühere Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge, der sonst gerne für eindringliche Ratschläge und kritische Bemerkungen Richtung DFB zu haben ist. Durch die Ernennung von Hansi Flick zum Bundestrainer sei im DFB „sportlich wieder Ruhe reingebracht“ worden, „und sie brauchen jetzt einen Präsidenten, der ganz einfach auch wieder ins offizielle Geschäft des DFB Ruhe reinbringt“, so Rummenigge.
Ruhe – fast ein Fremdwort an der Otto-Fleck-Schneise 6 in Frankfurt, wo in den vergangenen Jahren mehr Intrigen gesponnen wurden als bei einer billigen Telenovela. Es wurde gestritten, diffamiert und mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet. Die auch öffentlich ausgetragenen Schlammschlachten und die vielen Wechsel auf den Führungspositionen seien „schädlich“, sagte Philipp Lahm, der als Cheforganisator der Heim-Europameisterschaft 2024 zu mehr Teamwork aufforderte. Dies könnte Neuendorf gewährleisten, glaubt Osnabrügge. „Ich schätze Bernd Neuendorf persönlich außerordentlich aufgrund seiner hohen sozialen Kompetenz, seiner ruhigen, analytischen Art und seiner Führungskraft“, sagte der DFB-Funktionär: „Für mich wäre er ein absolut denkbarer Kandidat.“
Die Ankündigung des Amateurlagers, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten festlegen zu wollen, bedeutet zudem das faktische Aus für die Chef-Ambitionen von Peters. Der neben Koch zweite Interimspräsident hatte zuletzt hinter den Kulissen für seine Person geworben, doch die neuen Entwicklungen machen eine offizielle Kandidatur aussichtslos. „Ich habe Interesse gezeigt“, gab das frühere Vorstandsmitglied von Schalke 04 zu, „ich habe aber genauso deutlich gesagt, dass ich das nur mache, wenn ich das Vertrauen der Amateurvertreter habe.“
Doch das Vertrauen schenken die Amateure jemand anderem. Ob sie dies in einer öffentlichen oder geheimen Wahl tun, war zunächst noch nicht sicher. Einige Landesverbandsfürsten hatten geheime Abstimmungen gefordert, weil beim vorherigen Bundestag sogenannte „Abweichler“ direkt angesprochen und nach ihren Beweggründen befragt worden sein sollen. Sollten die DFB-Abgesandten tatsächlich geheim ihr Kreuz machen dürfen, könnte es im Falle einer Kampfabstimmung tatsächlich noch einmal ein bisschen spannend werden. Doch dafür bräuchte es einen geeigneten Gegenkandidaten – oder eine Gegenkandidatin.
Die Initiative „Fußball kann mehr“, die sich für eine stärkere Position der Frauen im Profifußball engagiert, will jedenfalls „bei der DFB-Wahl ein Wörtchen mitreden und eine Kandidatin ins Rennen schicken“, wie Mit-Initiatorin Gaby Papenburg ankündigte. Die TV-Moderatorin, die selbst kürzlich bei der Präsidiumswahl im Berliner Fußballverband durchgefallen war, empfahl der Bewerberin, sich „ein dickes Fell“ zuzulegen. Denn die Platzhirsche würden ihr Revier mit allen nur erdenklichen Mitteln verteidigen.
Lahm hält eine Frau an vorderster Front zwar nicht zwingend für eine schlechte Idee, aber allein im Sinne einer höheren Frauen-Quote dürfe man dieses wichtige Amt nicht besetzen. „Es geht immer um Kompetenzen, da darf es dann keine Rolle spielen und es darf keiner verhindern, ob es ein Mann ist oder eine Frau“, sagte der frühere Kapitän der Nationalmannschaft. Nach Kellers Rücktritt hatte sich die Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk als Nachfolgerin ins Spiel gebracht, das ehemalige HSV-Vorstandsmitglied Katja Kraus wurde von Papenburg vor einiger Zeit als „die perfekte Kandidatin“ gepriesen. Keller hätte überhaupt nichts dagegen, wenn ihn eine Frau beerben würde. „Für mich ist die Frage, ob ich es gut finden würde, wenn eine Frau DFB-Präsidentin werden würde, ganz klar mit Ja zu beantworten“, sagte der Freiburger.
Findet sich eine Frau für den Chef-Sessel in Frankfurt?
Bliebe noch die Option einer Doppelspitze bestehend aus Mann und Frau, wie es in den deutschen Politparteien mittlerweile üblich ist. Nicht wenige können diesem Modell Positives abgewinnen, andere wie Osnabrügge sind eher skeptisch. „Wir brauchen Kompetenz und Ruhe, nicht eine Erhöhung der Komplexität als Selbstzweck“, sagte der 50-Jährige. Für so einen Versuch müsste zudem die Satzung geändert werden, das stellt ein großes Hindernis dar. Und dann ist da noch die Frage nach der Qualifikation, denn dem DFB laufen die topausgebildeten Leute nicht gerade die Türen ein. „Es scheint schon schwer genug“, sagte Osnabrügge entlarvend, „einen einzigen geeigneten Menschen zu finden“.
Nicht wenige Insider behaupten, Interims-Präsident Koch betrachte sich selbst als eben jenen Menschen, der den zuletzt arg schlingernden Dampfer DFB wieder auf Kurs bringen könne. Doch genauso viele sagen, dass der gut vernetzte Strippenzieher an den Turbulenzen eine gehörige Mitschuld trage. Als Konsequenz stellt sich der Chef des Bayerischen Fußball-Verbandes nun nicht mehr zur Präsidiumswahl. Im Hintergrund zieht er natürlich trotzdem weiter die Fäden. So viel hat sich seit dem DFB-Beben im Mai noch nicht verändert.