Belarus will die EU mit Migrantenströmen unter Druck setzen
Belarussische Sicherheitskräfte mit schwarzen Gesichtsmasken und olivgrüner Kleidung treiben rund 30 Flüchtlinge Richtung polnisches Gebiet. Mit Knüppeln drängen sie die Menschen nach vorn. Doch diese kommen nicht weit. Denn hinter einem Grenzzaun stehen schwerbewaffnete polnische Soldaten, das Maschinengewehr im Anschlag. Frauen aus der Migrantengruppe schreien. Es sind dramatische Bilder, die der Tweet des belarussischen Journalisten Tadeusz Giczan zeigt.
Die polnische Regierung veröffentlicht einen weiteren Tweet, der aus einem Helikopter aufgenommen ist. In dem Videoclip sind Hunderte Migranten zu sehen, die sich vor dem polnischen Grenzzaun versammelt haben. Einige rufen „Germany, Germany". Am Montag gibt es mehrere Versuche, die Zaunanlagen zu durchbrechen. Auf der anderen Seite stehen polnische Grenzer mit Schildern nebeneinandergereiht. Es ist unmöglich durchzukommen.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko lässt seit Wochen Flüchtlinge aus verschiedenen Krisenregionen des Nahen Ostens einfliegen, um sie dann in die EU zu schleusen. Zum Teil werden die Menschen mit belarussischen Fluglinien wie die staatliche Belavia aus dem Irak oder Syrien nach Minsk transportiert und dann an die Grenze gekarrt.
Es ist eine Rache-Aktion gegen die Europäische Union. Die Gemeinschaft hatte nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 sowie den brutalen Polizeieinsätzen gegen die Opposition eine Reihe von Sanktionen gegen Belarus verhängt. Nun zieht der Autokrat aus Minsk die Daumenschrauben weiter an. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag" will Lukaschenko die Flugverbindungen aus dem Nahen Osten ausbauen. Nach den neuesten Landeplänen des Minsker Flughafens seien bis März 2022 wöchentlich rund 40 Flüge aus Istanbul, Damaskus und Dubai geplant. Damit hat sich die Zahl der Flugverbindungen aus der Region nach Minsk im Vergleich zum Winter 2019/2020 mehr als verdoppelt.
Nach Angaben deutscher Sicherheitskreise landen derzeit täglich 800 bis 1.000 Migranten in Belarus. Viele wollen weiter nach Polen und dann nach Deutschland. In den ersten vier Novembertagen reisten insgesamt 572 Menschen aus Belarus illegal nach Deutschland ein, berichtete die Bundespolizei. Auf das ganze Jahr gesehen gab es demnach 8.407 unerlaubte Grenzübertritte.
Polen hatte als Reaktion auf die steigende Zahl von Flüchtlingen Tausende Soldaten an der Grenze stationiert. Sicherheitskräfte zogen einen Stacheldrahtzaun hoch, im Grenzgebiet wurde der Ausnahmezustand verhängt. Das Parlament in Warschau gab zudem grünes Licht für den Bau einer befestigten Anlage. Die Barriere soll sich auf eine Länge von mehr als 100 Kilometern entlang der östlichen EU-Außengrenze erstrecken.
Die Verschärfung der Lage kommt keinesfalls überraschend. Schon im Frühjahr warnte das Bundesinnenministerium in einem Analysepapier detailliert vor einem solchen Szenario. Demnach würden bestimmte Staaten das Thema Migration für ihre politischen Zwecke missbrauchen und im Sinne einer hybriden Bedrohung instrumentalisieren. Es gehe dabei um die „Aufwiegelung" und „Spaltung" westlicher Gesellschaften.
Migration werde von solchen Staaten teilweise als „Faustpfand für Verhandlungen" genutzt, heißt es in dem Papier. Um den Druck auf ein Zielland wie Deutschland zu erhöhen, würden „Migrationsströme gezielt an einen bestimmten Grenzabschnitt zur EU" gesteuert. Durch Kampagnen in sozialen Medien werde versucht, Migranten zu „massenhaftem Grenzübertritt zu mobilisieren". Erwähnt werden in diesem Zusammenhang Staaten wie Russland und die Türkei.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte der EU mehrmals gedroht, „die Tore zu öffnen". So ließ er im Februar 2020 Hunderte Flüchtlinge aus dem Landesinneren an die türkisch-griechische Grenze fahren. Diese versuchten vergeblich, den von griechischen Behörden gebauten Zaun zu überwinden. Erdogans Kalkül: Er wollte damit von Brüssel mehr Gelder für die Unterbringung von rund vier Millionen Migranten im eigenen Land sowie eine Erweiterung der EU-Zollunion erzwingen.
Lukaschenko geht noch rücksichtsloser vor. Er benutzt die Migranten als Waffe, um die EU-Sanktionen – die der belarussischen Mangelwirtschaft wehtun – zurückzudrehen. Volle Rückendeckung bekommt er dabei durch Moskau.