Während in der Bundesliga alles seinen üblichen Weg geht, gibt es in der Zweiten Liga einige Überraschungen. Nicht die altbekannten Trainer und Vereine stehen oben, sondern neue Gesichter.
Was wurde vor dieser Saison nicht wieder von der besten Zweiten Liga aller Zeiten geredet. Jedes Jahr fällt dieser Satz, ob von der „Super-2. Liga" oder von der „Giganten-Liga" gesprochen wird. Bei genauerer Betrachtung liegt der Grund auf der Hand: Jedes Jahr verabschiedet sich ein großer Name aus der Bundesliga und muss eine Liga tiefer ran. In diesem Jahr sind es sogar zwei namhafte Neulinge. Werder Bremen und Schalke 04 mussten den Gang in die ungeliebte Klasse antreten, aus der unter anderem der Bundesliga-Dino aus Hamburg seit Jahren seine Probleme hat, wieder aufzusteigen. Auch in diesem Jahr haben die großen Namen ihre Schwierigkeiten – und andere glänzen zumindest bisher. Denn es dominieren nicht Hamburg, Bremen oder Schalke, sondern St. Pauli, Regensburg und Paderborn und damit die eher kleineren Clubs, die keine Trainer auf der Bank haben, die schon alles gesehen haben, sondern eher noch alles sehen wollen.
Kleinere Clubs schlagen sich aktuell besser
Somit stehen nicht die finanzstärksten Clubs oben, sondern diejenigen, die das Unterhaus annehmen und eben nicht als eine Zwischenstation zur Fußball-Bundesliga sehen. Vor allem auf St. Pauli greift derzeit eine Entwicklung, die über Jahre andauert. Auf einem Abstiegsplatz begann die Reise von Timo Schultz als Trainer der Hamburger. Der ehemalige Mittefeldspieler des Kiez-Clubs entwickelte seine Spielidee Schritt für Schritt weiter und steht nunmehr auf dem Spitzenplatz in der Zweiten Liga. Schultz gilt als Menschenfänger, der auf die Eigenverantwortung der Spieler setzt und die Zügel nicht zu fest in der Hand hält. Beim gemeinsamen Abendessen vor wichtigen Spielen gebe es auch mal ein Bier für seine Jungs, so Schultz vor einigen Wochen. Doch das ist nicht der Grund für den derzeitigen Höhenflug. Sankt Pauli stellt die beste Defensive, und die drittbeste Offensive – mit einem Spiel weniger, da das Spiel gegen Sandhausen coronabedingt abgesagt werden musste. Zudem sind sie Tabellenführer, mit einem Punkt Vorsprung vor den Regensburgern. Paulis großes Faustpfand ist Guido Burgstaller. Auf Schalke war der Stürmer als Chancentod verschrien und wurde aussortiert. Dass er es immer noch kann, zeigt er jetzt am Kiez. In 36 Spielen erzielte er 23 Tore, in dieser Saison sogar schon zehn. Wäre er zu Beginn seiner Zeit in Hamburg nicht aufgrund einer Blutung im Bauchraum für mehrere Monate ausgefallen, wäre seine Statistik wohl noch besser.
Ähnlich verhält es sich bei Jahn Regensburg. Auch dort wurde in den vergangenen Jahren mit Kontinuität etwas aufgebaut, was jetzt Früchte trägt. Doch jetzt gibt es eine Veränderung auf einer immens wichtigen Position. Als Christian Keller im Mai 2013 seine Arbeit als Geschäftsführer bei Jahn Regensburg aufnahm, da war der Verein aus der Oberpfalz gerade in die 3. Liga abgestiegen. Zwei Spielzeiten und drei Trainer später stiegen die Regensburger unter seiner Ägide 2015 sogar in die vierte Liga, die Regionalliga Bayern, ab. Die Gegner in der neu gebauten und 52 Millionen Euro teuren Fußballarena hießen fortan Illertissen, Memmingen und Buchbach. Für die Jahn-Fans war der Sportökonom Keller damals der „Totengräber des Fußballs". Sein Abschied – nur eine Frage der Zeit. Rund achteinhalb Jahre später ist Christian Keller noch immer im Amt und hat Jahn Regensburg zu einem stabilen und anerkannten Zweitligaclub entwickelt, der derzeit mit Platz zwei nach 13 Spieltagen sogar einen Höhenflug erlebt – und den besten Zweitligastart aller Zeiten hingelegt hat. Nachfolger wird Roger Stilz. Welche großen Fußstapfen er zu füllen hat, zeigen die Aussagen von Trainer Mersad Selimbegovic: „Für uns ist es ein Riesenglück, dass er bei uns war. Er hat uns allen die Richtung vorgegeben, dass Bodenständigkeit wichtig ist. Er hat ein Supergespür für das Fußballgeschäft, für Spieler, für Trainer. Wir müssen genau auf dem Weg weitermachen, auf den er uns gebracht hat." Doch wie der Weg derzeit aussieht, so ganz wissen sie es nicht. Der vor der Saison angepeilte Klassenverbleib ist nichts anderes mehr als ein Minimalziel. Ein Hinweis darauf, dass sich in Regensburg die Ansprüche doch gerade ändern. Es steht und fällt mit der Performance der Spieler. Sapreet Singh beispielsweise ist vom FC Bayern München ausgeliehen. Vergangenes Jahr sollte es in Nürnberg nicht so funktionieren, in dieser Saison ist er Dreh- und Angelpunkt des Regensburger Spiels.
Persönlich bester Start für Jahn Regensburg
Auf dem dritten Tabellenplatz steht derzeit der SC Paderborn. Dort ging vor der Saison der von allen geliebte Trainer Steffen Baumgart von Bord, die meisten Experten unkten über einen Leistungsabfall der Mannschaft ohne ihren polarisierenden Trainer. Doch Lukas Kwasniok konnte die großen Fußstapfen bisher mit gutem Fußball füllen und schickt sich an, Baumgart vergessen zu machen. Einblicke in das Innenleben der Paderborner Mannschaft gibt Zweitliga-Toptorjäger Sven Michel, der in dieser Saison mit zwölf Toren an der Spitze der Torjägerliste steht. „Wir haben jetzt viele junge Spieler im Team, die zuvor noch nie in der Zweiten Liga gespielt haben und sich nun beweisen wollen. Wir hatten im Sommer einen personellen Umbruch, mit dem ein frischer Wind eingezogen ist. Und zudem haben wir einen neuen Trainer." Sein Verhältnis zu Lukas Kwasniok beschreibt Michel als „großartig. Der Coach ist nahbar und kann über sich selbst lachen. Beides finde ich wichtig. Wer mit Lukas Kwasniok nicht klarkommt, ist selbst schuld. Für mich ist er ein Pfundskerl." In Saarbrücken, Kwasnioks vorheriger Station, waren die Spieler ebenfalls begeistert von ihrem Trainer. Bei den Fans herrschte oft Unmut über die markigen Sprüche des Fußball-Lehrers. Die derzeit kriselnden Saarländer wünschen sich den schnellen Offensivfußball des gebürtigen Polen derzeit sicher zurück. Die drittbeste Offensive der Zweiten Liga besteht vor allem aus Felix Platte mit sechs Toren und Michel, derzeit zwölf Tore. „Wir stehen zwar in den Schlagzeilen wegen den Toren, wichtiger ist aber, was die Jungs hinter uns machen", gewährt Platte einen Einblick in das Innenleben der Mannschaft. Kwasniok selbst stapelt tief: „Wir haben einen kleinen Etat und müssen aus unseren Möglichkeiten das Beste machen. Das gelingt bisher ganz gut. Vom Aufstieg zu sprechen, wäre aber vermessen. Sollten wir im Winter noch oben dran sein, müsste man sicher überlegen, ob man den Kader verbreitert", sagte der 40-Jährige zu FORUM. Dass sein Saarbrücker Lieblingsschüler Nicklas Shipnoski, der derzeit in Düsseldorf nicht wirklich glücklich ist, ein Kandidat wäre, stellt er nicht in Abrede: „Ich denke, unser Verhältnis ist bekannt. Ob es realisierbar wäre, steht auf einem anderen Papier."
Große Vereine mit ganz eigenen Schwierigkeiten
Während es also bei den Kleinen läuft, haben die Großen erneut ihre ganz eigenen Schwierigkeiten in der umkämpften Liga. Sicherlich, Schalke liegt nur zwei Punkte hinter dem Relegationsplatz, der Hamburger SV vier und Werder Bremen fünf, jedoch ist es gemessen an den Ambitionen und der Finanzkraft der Vereine einfach zu wenig. Auf der einen Seite sind erst 13 Spieltage absolviert, auf der anderen hingegen schon. Schalke verzeichnet schon fünf Niederlagen, der HSV acht Unentschieden und Werder Bremen erst fünf Siege. Definitiv zu wenig für die ungeduldigen Fanscharen der Traditionsclubs. Durch zwei aufeinanderfolgende Niederlagen wackelt auch Dimitrios Grammozis Trainerstuhl auf Schalke. Dass die Verantwortlichen des HSV lange geduldig mit Tim Walter bleiben, ist aus der Historie der Trainerentlassungen nicht zu erwarten. Markus Anfang hatte in Bremen einen schweren Start, das Team nun aber ein wenig stabilisiert. Dabei machen es die Kleinen den Großen vor. Kontinuität auf wichtigen Positionen und im Falle des SC Paderborn, wenn der Trainer gewechselt wird, auch einem neuen Namen Vertrauen schenken. Jemandem, der den großen Fußball noch nicht erlebt hat. Dann wird auch die Zweite Liga nicht zum Grab, sondern kann Spaß machen. Wie derzeit auf St. Pauli, in Regensburg oder in Paderborn.