In der saarländischen Kulturszene ist die Kettenfabrik in St. Arnual eine feste Größe. Lehrerin Birgit Marx-Böhme und Kinderarzt Klaus Kühn gehören zur Wohnungseigentümergemeinschaft und organisieren seit Jahren die Veranstaltungen.
Frau Marx-Böhme, Herr Kühn, Sie engagieren sich schon lange für die Veranstaltungen in der Kettenfabrik, haben auch mittlerweile einen Verein gegründet. Wie kam es dazu?
Marx-Böhme: Ich bin hier schon 1976 eingezogen, ich war 22, und damals waren wir noch eine WG. Von Anfang an war ich bei den Veranstaltungen dabei, aber in der Anfangszeit gab es noch kein großes Konzept. Es war so, dass irgendjemand eine Idee hatte und die wurde dann verwirklicht. Ich hatte immer Spaß daran, mit dafür zu sorgen, dass Veranstaltungen stattfinden konnten.
Kühn: Ich bin 1984 eingezogen, da war aus der WG schon eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) geworden. Ein paar Jahre vorher war ich zum ersten Mal in der Kettenfabrik und hatte mir eine Theateraufführung vom Festival Perspectives angesehen. Damals war die Halle noch eine Baustelle, nicht renoviert und einen ordentlichen Hallenboden gab es auch noch nicht. Es hat mich fasziniert, dass in dieser maroden Fabrik Kultur angeboten wurde und die Initiatoren hatten mich tief beeindruckt. Ich fand es mutig, in diesem damals eher dörflichen Stadtteil Theater und Musik „bürgernah" anzubieten. Als ich dann das Angebot bekam, hier einzuziehen, habe ich sofort zugesagt.
Birgit und ich kümmern uns um die Halle und die Veranstaltungen. Termine werden mit allen Mitbewohnern abgesprochen, denn Musik und Theater bedeutet auch Lärm und viele Leute in der Fabrik. Niemand soll sich gestört fühlen.
Eine schöne, aber auch anstrengende Beschäftigung. Was treibt Sie an?
Marx-Böhme: Ich habe seit meinem Einzug das Leben in der Kettenfabrik vor allem als Gemeinschaft erlebt. Diese Gemeinschaft ist auch zusammengewachsen durch gemeinsames Tun. Das ist mir nach wie vor wichtig. Die Halle ist dafür ein besonders verbindender Ort.
Kühn: Es waren auch die kleinen Erfolge, die uns weiter antreiben. Ich war und bin von der Idee angetan, dass wir ein fester Bestandteil der Kulturszene sind und dass wir über das Programm frei entscheiden können. Deshalb haben wir im Laufe der Jahre einen eigenständigen Stil entwickeln können, den es in dieser Form in der Landeshauptstadt nicht gibt. Wir bieten ein abwechslungsreiches Programm aus Theater, Lesungen, Ausstellungen und Musik an, mit dem Schwerpunkt auf improvisierter Musik, in erster Linie Jazz…
Da sind Sie auch sehr stolz drauf.
Kühn: Ja! Es ist auch inzwischen so, dass Vertreter der Stadt anrufen, wenn sie noch eine Räumlichkeit suchen. Vergangenes Jahr waren Künstler vom Festival Perspectives du Théâtre hier, dieses Jahr „Loostik", das Deutsch-Französische Kinder-Theaterfestival. Auch das „Volkstheater Kettenfabrik" gastiert alle zwei Jahre mit großem Erfolg in der Halle. Wir sind stolz, solche Ereignisse anbieten zu können.
Aber wenn wir überregionale Künstler engagieren wollen, dann müssen wir schon tiefer in die Tasche greifen, das heißt höhere Gagen zahlen. Deshalb sind wir froh, ein gemeinnütziger Verein zu sein, der Spenden entgegennehmen kann.
Marx-Böhme: Ich freue mich besonders über die gelungene Verbindung zwischen dem Gemeinschaftsleben und dem Angebot kultureller Veranstaltungen. Dazu gehört für mich, dass wir gerade auch regionalen Gruppen Auftrittsmöglichkeiten bieten.
Suchen Sie nun aktiv Sponsoren?
Kühn: Ja, schon. Es geht aber nicht um Riesensummen. Jede kleine Spende ist willkommen.
Warum liegt der Schwerpunkt vor allem auf Jazz?
Kühn: Das hängt wohl in erster Linie mit mir zusammen. Ich war schon immer ein Jazz-Fan, auch schon zu Zeiten der Beatles und Rolling Stones. Die Kettenfabrik ist für mich nicht nur ein Veranstaltungsort, sondern auch unser Lebensort. Und dieses Lebensgefühl verbinde ich mit Jazz. Jazz in all seinen Facetten…
Marx-Böhme: Wir kommen ja auch aus dieser Generation, die viel Freizeit in der „Gießkanne" verbracht hat (ehemalige bekannte Jazz-Kneipe in Saarbrücken, Anm. d. Red.). Deshalb war ich froh, dass Klaus den Schwerpunkt Jazz reingebracht hat. Das hat mir gut gefallen.
Auf was sind Sie denn besonders stolz?
Kühn: Wir hatten einige ganz interessante Formationen hier. Am 5. Dezember kommt zum Beispiel das Pulsar Trio aus Potsdam. Die sind besonders, weil sie das klassische Jazz Trio mit einer Sitar anstelle einem Kontrabass spielen. So entsteht ein ungewohnt anderer Klang.
Marx-Böhme: Ich mag es vor allem, dass die Musiker Spaß daran haben, hier aufzutreten und auch die Akustik gut finden. Es entstehen meist ein intensiver Kontakt zwischen Publikum und Künstlern und eine besondere Atmosphäre. Das genießen auch die Zuhörer. Ich helfe meistens an der Theke und merke an den kleinen Gesprächen, dass das Publikum sich in dieser Atmosphäre besonders wohlfühlt. Das gefällt mir sehr gut.
Kühn: Ja, das ist ein Kennzeichen der Kettenfabrik, dass das Publikum den Künstlern nahe ist, dass der Funke überspringt. Bei uns geht es familiär zu, es herrscht eine ganz spezielle angenehme Stimmung.
Auf was dürfen sich die Jazzfans denn im neuen Jahr freuen?
Kühn: Auf jeden Fall auf das 6. KettenJazz-Festival im Oktober mit internationaler Besetzung und auf ein kleineres Festival im März mit Musikern aus Luxemburg und dem Saarland. Im Sommer wird wieder ein Open-Air-Konzert im Garten der Fabrik stattfinden. Alle Ankündigungen sind auf unserer Webseite unter www. Ketten-fabrik.de zu finden.
Wie kommen Sie an diese Leute ran?
Kühn: Früher als Mediziner habe ich medizinische Gespräche geführt. (lacht) Jetzt sind es welche über die Kunst und den Alltag der Künstler, eine andere Welt mit vielen unterschiedlichen Ansichten. Die Kontakte erweitern sich von Jahr zu Jahr, über die Künstler selbst, ich besuche aber auch Konzerte, knüpfe dort Kontakte, und Konzertmitschnitte im Internet werden zunehmend wichtig. Mittlerweile ist ein richtiges Netzwerk entstanden.
Wie sind die Pläne für die Zukunft?
Marx-Böhme: Auf jeden Fall eine Bühne, die leichter aufzubauen ist (lacht).
Kühn: Ich wünsche mir, dass wir jedes Mal etwas auf die Bühne zaubern können, etwas Schönes, das einen Ausgleich im Alltag unserer Gäste ermöglicht.
Marx-Böhme: Und dass wir mehr jüngere Leute für den Jazz begeistern könnten.
Kühn: Nächstes Jahr haben wir deshalb auch eine Band, da ist der älteste Musiker gerade mal 22 Jahre. Vielleicht kommen dann auch jüngere Leute her. Kulturell sind wir ja schon ein Gemischtwarenladen, der alle Generationen ansprechen möchte. (lacht)
Können Künstlerinnen und Künstler den Raum auch auf eigene Rechnung für ihr Konzert oder Theater mieten?
Kühn: Das geht nur bedingt, denn wir leben ja hier! Und die Musik muss auch in unser Konzept passen.
Sie haben immer noch genug Energie und Herzblut…
Beide: Ja!
Kühn: Wir sind hier Teil einer Kultur-und Restaurantszene, in einem der schönsten Stadtteile der Landeshauptstadt. Es macht glücklich, hier aktiv zu sein und gemeinschaftliches Leben zu führen.
Marx-Böhme: Es ist ein Ort, der der Vereinzelung entgegensteht. Und das soll er bleiben.