Im Winter hat Island einen besonderen Zauber: Die Berge strahlen in magischem Licht, Islandpferde stapfen durch Schnee und Eis. Im Advent ist in den einsamen Lavalandschaften auch eine Rasselbande von über einem Dutzend Weihnachtsmännern unterwegs.
Abrakadabra! Es braucht nur einen Funken Magie, dann glänzt die weite, wildschöne Landschaft in warmem Licht. Die Wintersonne hat ihren großen Auftritt am späten Vormittag: Im Dezember blitzt sie erst gegen halb elf über die verschneiten Berge am Horizont. Doch es lohnt sich, auf sie zu warten: Wie ein Scheinwerfer leuchtet sie dann den Gletscherfluss aus, der sich unter lautem Tosen über einen Vorhang aus glitzerndem Eis in die Tiefe stürzt.
Goðafoss heißt dieser Ort, „Wasserfall der Götter". Islands Bewohner sollen hier einst ihrem heidnischen Glauben abgeschworen und als Zeichen dafür die Statuen der alten Götter in den mächtigen Strom geworfen haben. Vor über 1.000 Jahren wurde das Christentum so zwar zur offiziellen Religion. An Elfen und Feen, Gnome und Trolle glaubte man aber weiterhin.
Viele Isländer sind davon überzeugt, dass die Gestalten aus den Legenden noch heute über die Insel streifen, meist aber im Verborgenen. Jetzt, im Advent, kann man einigen davon als Besucher dagegen tatsächlich begegnen. In Island ist in den zwei Wochen vor dem Heiligen Abend nämlich nicht nur ein einziger Weihnachtsmann unterwegs – hier sind es ganze 13. Die ungehobelte Bande bringt aber nicht nur Geschenke, sondern erlaubt sich auch so manchen Streich.
Island im Winter: Dann herrscht natürlich nicht immer eitel Sonnenschein, denn im Dezember beginnt nach dreieinhalb Stunden schon wieder die Dämmerung. Dafür hat man bis in den März hinein die rauen Landschaften fast für sich allein. Während der „Goldene Ring" rund um Reykjavik inzwischen das ganze Jahr über populär ist, reisen in der Nebensaison nur wenige Touristen in den Westen. Dort wirkt die Landschaft dann, als habe sie jemand mit einem Puderzuckerstreuer eingestäubt. An den Wasserfällen hängen Eiszapfen, die meisten Flüsse sind fast komplett zugefroren. Und der wohl schönste Berg Islands, der Kirkjufell am Fjord Grundarfjördur, trägt ein paar Monate lang eine weiße Mütze.
Als „Island in Miniatur" wird der Westen bezeichnet, weil hier viele Attraktionen nahe beieinanderliegen. Hier gibt es auf Snaefellsnes, der Schneeberghalbinsel, große Lavafelder und den Vulkan Snaefellsjökull: In Jules Vernes Buch „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" wagen der deutsche Professor und seine Helfer hier im Krater den Einstieg in die Unterwelt. Wer es den Romanhelden gleichtun will, kann den Berg bei einer fordernden Gletschertour erkunden. Bequemer ist das Angebot „Into the Glacier" am Langjökull-Gletscher: Hier geht es per Truck den Berg hinauf. Dann führt eine künstliche Tunnelröhre mitten ins Eis, das durch den hohen Druck märchenhaft bläulich schimmert.
Wird es einem irgendwann zu kalt, warten heiße Quellen: Deildartunguhver ist die größte Europas. Pipelines versorgen die Ortschaften im Umkreis mit warmem Wasser. Wenn es mehr sein soll als eine heiße Dusche: Besonders schön ist das Geothermalbad Krauma in Reykholt. Hier gibt es sechs Becken, zwei Dampfbäder und einen schicken Ruheraum mit offenem Kaminofen.
West-Island ist aber auch ein Ort mit spannender Vergangenheit. Über die Zeit der sogenannten Landnahme, als Wikinger aus Norwegen im 9. und 10. Jahrhundert Island besiedelten, erzählt in Borgarnes das Settlement Centre in einer multimedialen Ausstellung. Das Folk Museum des Nachbarorts Akranes fokussiert sich vor allem auf die Fischerei, doch nebenan fliegen regelmäßig die Funken: Enthusiasten haben hier eine Schmiede eingerichtet.
Die Farbenspiele der Polarlichter
Die Menschen sind hier von einem besonderen Schlag. Bestes Beispiel ist Hilmar Sigvaldsson, der den Leuchtturm von Akranes vor dem Verfall gerettet und zu einem Kulturzentrum ausgebaut hat, in dem Ausstellungen gezeigt werden und Konzerte stattfinden. Um die Ecke ist Gudrun Bjarnadottir vom Studio Hespa eine Expertin für mit natürlichen Pigmenten gefärbte Wolle. Wer nicht selbst stricken will, kann hier Socken und Island-Pullover direkt an der Quelle kaufen. Und der Winter ist auch die beste Zeit für einen Besuch auf dem Bauernhof Bjarnarhöfn bei Helgafellssveit. Dann reift hier „Hakarl", fermentierter Grönlandhai. Ist die Spezialität eine Delikatesse? „Wenn die Leute sagen, es stinke fürchterlich, wird er erst richtig gut", lacht Besitzer Kristjan Hildebrandsson – und reicht eine Schale zum Probieren.
Um Islands Weihnachtsmänner zu treffen, muss man dann quer über die Insel gen Norden nach Akureyri fahren. Hier kann man zu Whale-Watching-Touren aufbrechen und mit etwas Glück das Farbenspiel der Polarlichter bestaunen.
Glücklicherweise weiß dann Ólöf Hallgrímsdóttir, wo die legendären Gestalten zu finden sind. Die Besitzerin des Bauernhofs Vogafjós am See Myvatn versorgt noch schnell die 120 Schafe und 40 Milchkühe der Farm und organisiert den Nachschub an Brot, Käse, geräuchertem Seesaibling und luftgetrocknetem Lammschinken für die Gäste ihrer Pension. Dann startet die Schneeschuh-Wanderung vom Myvatn-See in die Lavafelder von Dimmuborgir.
Bizarre Zauberlandschaft
Es geht wie durch ein geologisches Lehrbuch, das immer wieder auf einer anderen Seite aufgeschlagen wird. Mal lässt die Erde mächtig Dampf ab. Mal ist Gestein zu wunderlichen Formationen erkaltet, die an Burgen und Türme erinnern. Über allem thront der Tuffring Hverfjall: Sein Krater ist 150 Meter tief und hat einen Durchmesser von etwa einem Kilometer. In der Adventszeit ist diese bizarre Zauberlandschaft nicht ganz so einsam wie sonst im Winter. Denn dann lassen sich hier jene Gesellen blicken, die eigentlich das ganze Jahr über mit ihrer Trollmutter Grýla versteckt in den Bergen leben. Vor ein paar Jahrzehnten galten die Jólasveinar als vom Aussterben bedroht. Den sogenannten „Weihnachtskerlen" machte der aus Amerika eingewanderte Santa Claus Konkurrenz. Doch nun feiert die Rasselbande ein Comeback.
Über die Jólasveinar informiert das Museum von Akureyri in einer Ausstellung, die alle Weihnachtstraditionen der Isländer erklärt. Der ausgewiesene Experte Ólafur Þröstur ist in der Zeit vor Heiligabend indes in Dimmuborgir anzutreffen – was daran liegt, dass es er und seine Freunde sind, die alljährlich die Kostüme der Trolle anlegen. Strubbeliges Haar und ein langer Bart zählen zum Outfit, dazu ein dicker Wollpulli und weite Hosen: So sieht man aus, wenn man in einer Höhle haust und sich nur einmal im Jahr wäscht. Dass die Jungs so daherkommen, liegt in der Familie. Grýla ist nicht nur eine Rabenmutter. Man sollte sich vor ihr in Acht nehmen: Grýla wird nachgesagt, sie fresse ungezogene Menschenkinder.
Das erzählt Ólafur Þröstur aber nur den Erwachsenen. Den Mädchen und Jungen serviert er unverfänglichere Geschichten. „Einer nach dem anderen besuchen wir 13 Brüder die Menschen", berichtet er also einer kleiner Gruppe an Kindern, die mit ihm später Schlitten fahren und für Erinnerungsfotos posieren dürfen. „Wir bedienen uns auf den Bauernhöfen an den Vorräten der Bewohner und bringen sie mit Schabernack um den Schlaf. Geschenke gibt’s aber auch." Die Jólasveinar sind eben nicht mehr ganz so rau wie früher, sondern deutlich milder geworden.
Los geht es am 12. Dezember: Wenn Islands Kinder dann Abend für Abend ihre Schuhe ans Fenster stellen, bangen sie immer, ob sie am nächsten Morgen etwas Süßes darin finden werden oder nur eine rohe Kartoffel. Stekkjarstaur, der Schafschreck, macht den Anfang. Tag für Tag macht sich dann ein anderer Bruder auf den Weg: Es gibt den Schluchtenkobold und den kleinwüchsigen Knirps. Auf Essen abgesehen haben es Kochlöffelschlecker, Topfschaber und Essnapflecker. Für mächtigen Radau sorgt der Türzuschläger – da sage noch einer, es sei nur der Wind, wenn mal wieder eine Tür ins Schloss knallt.
Seinen Kühlschrank muss man derweil bewachen, wenn am nächsten Morgen nichts fehlen soll: Der Quark-Gierschlund labt sich sonst am Skyr, einer isländischen Joghurtspezialität. Auch der Wurststibitzer und der Fleischangler haben es auf die Vorräte abgesehen. Fenstergaffer und Türschlitzschnüffler sind dagegen nur neugierig, was sich bei den Menschen abspielt. Am 24. kommt dann Kertasníkir, der Kerzenschnorrer – und endlich ist Weihnachten!