Bloß nicht! Schulen müssen offenbleiben! Keine Schließungen! Die Schüler haben genug gelitten. Da sind sich Politiker, Zuständige und Funktionäre einig, auch wenn Omikron alles bisher Erreichte über den Haufen werfen könnte.
Nach den schlechten Erfahrungen mit Wechsel-, Distanz- oder Gruppenunterricht sollen die Schulen im Regelbetrieb weiter laufen. Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien, hat vor Schließungen gewarnt und auf die Chancen der Jugendlichen verwiesen. „Wir müssen uns klarmachen: Für Kinder und Jugendliche bedeuten Schulschließungen eine massive Einschränkung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, ihrer Lernchancen, der Chancengerechtigkeit", sagte sie dem Sender Phoenix. Auch die neue Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ist dafür, die Schulen trotz der Omikron-Welle offenzuhalten. Katharina Swinka, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz und Abiturientin, möchte, dass es möglichst keinen Wechselunterricht gibt. Sollte es doch dazu kommen, sei wichtig, dass Schülerinnen und Schüler ihre „Medien erhalten" und dass das Internet ausgebaut werde, damit der Zugang zu digitalen Lehrangeboten gesichert sei. Außerdem müsse es Schulungen für Lehrkräfte geben. Sie wünscht sich mehr Gehör für Schülerinnen und Schüler. Viele Kinder und Jugendliche hätten in der Corona-Pandemie „gelitten" – nun komme es darauf an, auch „auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen zu achten und das auch in die Schulen mit einzubinden".
Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern hält allerdings Präsenzunterricht um jeden Preis für den falschen Weg. Auch der Deutsche Kinderschutzbund hat sich kritisch zum strikten Beharren auf Präsenzunterricht geäußert. „Es kann keine Lösung sein, unter allen Umständen auf Präsenzunterricht zu pochen", sagte Präsident Heinz Hilgers der „Rheinischen Post". Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, meinte, man wisse um die Bedeutung des Präsenzunterrichts für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. „Der VBE spricht sich weiter dafür aus, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten, aber eben nicht um jeden Preis." Wenn es aus wissenschaftlicher Sicht notwendig werde, dürften Wechselunterricht und Schulschließungen, da wo erforderlich, zum Schutz der Kinder und Lehrkräfte nicht dogmatisch ausgeschlossen werden.
Einen „Notfallplan" fordert der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, damit klar ist, „mit welchen Maßnahmen wir an den Schulen reagieren müssen, wenn sich die Infektionszahlen explosiv nach oben entwickeln." Das ist auch Sorge des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD): Er möchte vorerst nichts ausschließen, weder Schulschließungen noch einen neuen Lockdown, solange nicht erkennbar, ob und wie stark die Omikron-Infektionen steigen. Bereits vorherrschend ist die Omikron-Variante in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Geht es so wie in unseren Nachbarländern, muss man mit allem rechnen: In Frankreich lag Anfang Januar die Zahl der Neu-Infizierten bei über 320.000 pro Tag, in Großbritannien bei 150.000 (zum Vergleich Deutschland: 65.000 Neuinfektionen). Unterdessen ist im Nachbarland Frankreich wieder eine neue Mutation entdeckt worden, über die man noch so gut wie nichts weiß.
Erinnerung an die Zeit vor der Corona-Pandemie verblasst
Während London und Paris von einer Zentrale aus reagierten, geht flächendeckend in Deutschland nichts. Dafür bräuchte es den Beschluss des Bundestages über eine „epidemische Lage nationaler Tragweite". Nur sie ermöglicht es Bundesregierung und Landesregierungen, ohne Zustimmung von Parlamenten Corona-Maßnahmen anzuordnen. Die Länder verteidigen ihre Kulturhoheit mit Klauen und Zähnen, ist das doch eines der wenigen Gebiete, auf dem sie noch selbständig entscheiden können.
Also zieht jedes Bundesland, ja sogar manchmal jede Schule, ihr eigenes Programm durch, je nachdem ob es genügend FFP2-Masken auch für Kinder, Testkits, Fachpersonal, Luftfiltergeräte gibt und das Personal eine Boosterimpfung hat. In Berlin macht jeder Schüler jeden Morgen einen Schnelltest. In Thüringen wird zweimal die Woche getestet, in Mecklenburg-Vorpommern und in Nordrhein-Westfalen dreimal, in Rheinland-Pfalz werden die Tests auf Geimpfte und Genesene ausgeweitet, Sachsen hat seine aktuelle Corona-Notfallverordnung um 14 Tage verlängert und im Saarland begann am 2. Januar eine Boosterimpfkampagne für Zwölf- bis 17-Jährige. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat die Impfung aller Zwölf- bis 17-Jährigen empfohlen. Kinder unter zwölf sollen sich dann impfen lassen, wenn sie Risikoerkrankungen haben.
Im vergangenen Herbst haben Bayern, Berlin und das Saarland die Maskenpflicht gelockert beziehungsweise sogar aufgehoben. Jetzt ist keine Rede mehr davon. Den Schutz müssen alle weiter tragen. Karin Prien, KMK-Vorsitzende, sieht kein Ende. Unter den Politikern und Verbandsvertretern findet sich niemand, der die Maskenpflicht anzweifelt. Den Lehrern und Schülern, die den gesamten Vormittag mit dem Mund-Nasen-Schutz atmen und sprechen müssen, bleibt nichts anderes übrig, als es still weiter zu ertragen – auch wenn der Unterricht beispielsweise in Fremdsprachen wie Französisch oder Spanisch darunter leidet.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, was passiert, wenn ein Schüler positiv getestet wurde. Bisher lag die Quarantäne- und Isolationszeit bei 14 Tagen. Sie soll für Geimpfte und Kontaktpersonen auf sieben Tage verkürzt werden, wenn ein negativer PCR-Test vorliegt, oder auf zehn Tage ohne Test. Geimpfte, die in Berufen in kritischen Infrastrukturen arbeiten (Feuerwehr, Krankenhäuser, Elektrizitätsversorgung und ähnliche) können sich schon nach fünf Tagen „frei testen". Für die Schüler bedeutet das: Die neuen Regeln könnten eine schnellere Rückkehr zum gerade durchgenommenen Unterrichtsstoff ermöglichen. Die verkürzten Zeiten –
so heißt es beim RKI – seien möglich, weil Studien aus Südafrika und Großbritannien belegten, dass die Omikron-Variante zwar sehr hohe Infektionszahlen verursache, aber einen milderen Krankheitsverlauf habe als die Delta-Variante. Gesundheitsminister Lauterbach warnte allerdings davor, Omikron trotz milderer Krankheitsverläufe auf die leichte Schulter zu nehmen. „Studien zeigen, dass die Generationszeit – also auch die Phase, in der sich das Virus im Körper ausbreitet und die Phase, in der ein Mensch ansteckend ist – bei Omikron viel kürzer ist." Die langfristigen Auswirkungen, über die noch wenig bekannt ist, könnten auch bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Den Schülern steht wieder ein abwechslungsreiches Corona-Jahr mit vielen Lockerungen, Verschärfungen, Unbekanntem und Ungewohntem bevor. Manch einer wird sich gar nicht mehr erinnern, wie das einmal vor Corona war.