Fredi Bobic vollzieht einen Umbruch bei Hertha BSC im laufenden Spielbetrieb – dafür muss er als „Neuer" den ganzen Club auf seine Linie bringen.
Normalerweise ist er keiner, den es zu längeren öffentlichen Erklärungen drängt – in den letzten Wochen aber sieht sich Fredi Bobic anscheinend des Öfteren dazu veranlasst. Erst analysierte er gewohnt nüchtern, aber eben auch in aller Deutlichkeit das erste halbe Jahr seiner Amtszeit auf dem vereinseigenen TV-Kanal von Hertha BSC – doch schon ging der neue Sportvorstand in die nächste Runde bezüglich der „Öffentlichkeitsarbeit". So nahm er beispielsweise bereits nach dem fünften Spiel – und der zweiten Niederlage beim 1:3 gegen den 1. FC Köln zum Jahresauftakt 2022 – unter seiner Leitung den neuen Trainer Tayfun Korkut aus der Schusslinie. „Die Art, wie er Fußball spielen lassen möchte, mit einer offensiven Orientierung, ohne starr daran festzuhalten, gefällt mir", erklärte Bobic so nach dem Rückschlag gegen die Domstädter. „Das hat er vom ersten Tag an sehr gut gemacht – es war wichtig, jemanden zu haben, der positiv denkt, der frei im Kopf ist." Und weiter: „Das geht nicht von heute auf morgen, das ist klar." Ein öffentlich ausgestelltes Zeugnis, das dem designierten Interimstrainer erst mal den Rücken stärken sollte. Wie schnell es im Fußballgeschäft gehen kann, das weiß der frühere Nationalspieler nur allzu gut – trotzdem mochte er insgeheim darauf gehofft haben, dass vor allem nach dem 3:2-Heimsieg gegen Borussia Dortmund vor Weihnachten (und nach der vorangegangenen 0:4-Pleite in Mainz) das Team den Bock umgestoßen haben könnte. Nur eine Niederlage später aber, und schon sieht sich Bobic genötigt, die ohnehin bereits aufgekommene Diskussion über eine etwaige (vorgezogene) Korkut-Nachfolge zu beruhigen – gerade angesichts der Freistellung von Niko Kovac beim AS Monaco. Gemeinsam mit dem in Berlin geborenen Kroaten als Trainer hatte Bobic schließlich noch den Grundstein für den sportlichen Aufstieg der Frankfurter Eintracht gelegt.
Erneut Gerüchte um Kovac
Bisweilen klingt dann aber zwischen den Zeilen beim neuen Sportvorstand auch durch, dass selbst einen im Profifußball erfahrenen Spieler und Manager das eine oder andere bei Hertha BSC negativ überrascht haben muss. Die Mentalität in den gesamten Strukturen des Vereins etwa, die eher auf Verwaltung denn auf Aufbruch ausgerichtet ist, und das bisweilen unprofessionelle Verhalten im Verein geht Bobic sicher gewaltig gegen den Strich. Da weist der 50-Jährige auch schon mal deutlich darauf hin, dass er weiter an den nötigen Veränderungen arbeiten wird – auch ohne „CEO" Carsten Schmidt, der aus privaten Gründen seinen Rückzug verkündete und so als wichtiger Begleiter der Reformen fehlt. Wenn es jedoch richtig ungemütlich wird, dann bringt Bobic seine Beharrlichkeit mit Äußerungen wie „Ich habe ein breites Kreuz" oder „Sonst hätte ich mir eine einfachere Aufgabe ausgesucht" zum Ausdruck. Dennoch muss er mit seiner eigenen, vergleichsweise kurzen Vita bei Hertha BSC als Nachfolger von Michael Preetz und jetzt auch ohne die von ihm entlassene Clublegende Pal Dardai dem Verein praktisch alleine die in den letzten Jahren eingerissenen Unarten austreiben – eine Herkulesaufgabe.
Öffentlich bezog Bobic dabei auch noch mal Stellung zum Begriff „Big City Club", den Investor Lars Windhorst bei seinem Einstieg 2019 geprägt hatte und den der Verein nicht mehr loszuwerden scheint. Unter diesem Label wurde der Bundesligist aber eher zur Lachnummer, weil trotz teurer Neuverpflichtungen nicht mehr als der Klassenerhalt gefeiert werden durfte. Mahnung genug für den neuen Sportvorstand – denn erst mal in Berlin angekommen, verordnete er der Alten Dame gewissermaßen eine „Schlankheitskur". Wer jedenfalls gedacht beziehungsweise gehofft hatte, Bobic würde mit seinem berüchtigten Näschen und Netzwerk nun einfach im großen Stil andere Spieler mit Geld in die Hauptstadt locken, wurde eines Besseren belehrt. Das hatte Bobic aber gar nicht im Sinn – denn durch die Pandemie gestalteten sich Verhandlungen und Verpflichtungen generell viel komplexer als bislang. Darauf hatte der Sportvorstand wiederholt auch öffentlich hingewiesen –ebenso wie auf die Tatsache, dass der Verein vorsichtig wirtschaften müsse angesichts der für den Profifußball unwägbaren Zeiten. Die letztes Wochenende bei der Mitgliederversammlung veröffentlichten Zahlen – 78 Millionen Euro Verlust allein wegen coronabedingt fehlender Zuschauer- und Werbeeinnahmen – unterstützen dabei die Strategie von Herthas Sportgeschäftsführer: Selbst, wenn die Eigenkapitalseite dank der Windhorst-Investitionen stabil bleibt, ist Augenmaß geboten. So sortierte er nach Cunha, Cordoba und Lukebakio im letzten Sommer nun auch mit Krzysztof Piatek den nächsten Topverdiener aus – außerdem wurde Deyovaisio Zeefuik nach England verliehen. Ebenfalls zur Disposition steht Lucas Tousart, ein weiterer Rekordtransfer der Zeit vor Bobic, dazu wird Niklas Stark den Verein spätestens zur kommenden Saison verlassen. Und wie sieht es bei den Zugängen aus? Bislang wurde lediglich Fredrik André Björkan (2,5 Mio von Bodö/Glimt, Norwegen) verpflichtet – dazu kommt im Sommer Kelian Nsona (SM Caen, 2. Liga Frankreich). Das 19-jährige Talent soll nach einer Knieverletzung aber als Perspektivspieler möglichst ab sofort in Berlin aufgebaut werden.
Ein Prozess von zwei Jahren
Auch, dass es nun keinesfalls endlich und unmittelbar bergauf gehen würde mit den Blau-Weißen, hatte der neue Manager immer wieder betont. Dies schien jedoch ebenfalls weitgehend unverstanden zu verhallen – erst langsam, nach sechs Monaten und einer sportlich erneut nicht befriedigenden Tabellenposition, scheint man zu realisieren, dass es gerade wohl doch erst um den Start zum nächsten Neuanfang dieses Vereins geht. Und dass, wie Sportvorstand Bobic zu Beginn verkündet hatte, es bis zu zwei Jahre dauern könne. Dabei droht ihm allerdings auch noch der Vertreter mit „blauem Blut" in der Führungsetage abhanden zu kommen, den Herthas inzwischen mächtigster Mann gerne behalten würde: Erste Gespräche mit Sportdirektor Arne Friedrich über eine Verlängerung des bis Sommer 2022 laufenden Vertrags blieben jedenfalls ohne Ergebnis.