Auf der Verpackung: glückliche Tiere und ein Bio-Siegel. Doch ist auch überall „Bio" drin, wo „Bio" draufsteht? Ökokontrollstellen überprüfen dies, aber Betrug ist nicht immer ganz auszuschließen.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) schreibt auf seiner Seite zu Lebensmittelkennzeichnung „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Damit bezieht er sich auf die mittlerweile zahlreich existierenden BIO-Gütesiegel, die nicht immer garantieren, dass dort, wo „Bio" draufsteht, auch „Bio" drin ist. Als verlässlich dargestellt werden das staatliche EU-Bio-Siegel und das deutsche Bio-Siegel: Ersteres ist ein grünes Rechteck mit einem Blatt aus Sternen in der Mitte, zweiteres ein Sechseck mit der Aufschrift „Bio nach EG-Öko-Verordnung". Dies sind jedoch nicht die einzigen, denn da sind noch die Siegel deutscher Anbauverbände wie Bioland, Demeter oder Naturland, die teils sogar noch strengere Kriterien als die Standards für das EU-Bio-Siegel vorschreiben.
Wer jetzt allerdings glaubt, mit der Kontrolle des Siegels alleine habe er die hundertprozentige Sicherheit, auch Bio zu kaufen, der muss leider enttäuscht werden. In einer Investigativ-Recherche der „Zeit" (47/2021) mit dem Titel „Die Bio-Lüge" ist von Biolegehennen mit kahl gepickten Bäuchen und entzündeten Eileitern die Rede, von einem Brandenburger Bio-Bauern, der 102 Kühen Hormone verfütterte, um ihren vorzeitigen Eisprung einzuleiten, damit die Kühe früher kalben, und von konventionellen Tomaten, die heimlich als „Bio" umdeklariert wurden. Auf Verpackungen mit idyllischen Bildern von grünen Wiesen und glücklichen Tieren ist dies nicht ersichtlich – egal wie sorgfältig das Bio-Siegel auch überprüft wird. Worauf kann man also noch vertrauen?
Stefan Zenner betreibt gemeinsam mit seiner Frau Karin den Bioland-Bauernhof „Marienhof Gerlfangen" in Rehlingen-Siersburg und gehört zu den Bauern, denen das Vertrauen ihrer Konsumierenden wichtig ist. Seit 1992 hat er auf ökologischen Landbau umgestellt. Dazu betreibt er einen kleinen Bio-Hofladen auf seinem Bauernhof. Er kennt die Herausforderungen der ökologischen Landwirtschaft. Stefan Zenner vermutet das Problem weniger bei Biobauern, sondern eher im Verarbeitungsbetrieb. Denn der lagert häufig sowohl Bio- als auch konventionelle Produkte. Laut Zenner würde dort nur kontrolliert, ob die entsprechenden Vorrichtungen für die getrennte Lagerung gegeben seien. „Ob dort konventionelle Produkte mit Bio-Produkten gemischt werden, können die Kontrollen nicht immer ausschließen. Natürlich werden auch Proben genommen, aber auch in meinem Getreide können theoretisch Spuren von Pflanzenschutzmittel sein. Was vom Nachbarhof mit konventionellem Ackerbau abdriftet oder durch Verdampfung aufsteigt und mit dem Regen wieder herunterkommt, kann auch ich nicht verhindern", erklärt der Biobauer.
Siegel alleine nicht aussagekräftig
Zenner musste auch schon das ein oder andere Mal Strafe zahlen, beispielsweise wenn eines seiner Kälber bei der Enthornung, für die eine ökologische Ausnahmegenehmigung erteilt werden muss, bereits zu alt war. Die Strafe geschieht in Form von Strafzahlung oder Bioprämienabzug. Trotzdem hat der Biolandwirt kein Problem mit den Kontrollen: „Meine Grundeinstellung ist die Latte hoch zu legen. Ich möchte ja ein qualitativ höherwertiges Produkt vermarkten." Die Auflagen sind streng und mit der neuen EU-Öko-Verordnung vom 1. Januar 2022 werden sie noch strenger. Auch die Nachfrage nach Bio hat sich erhöht. „Je höher die Anforderungen an konventionelle Produkte werden, desto geringer wird die Spanne zu Bio-Produkten und desto mehr geraten die Bio-Bauern in Zugzwang", erklärt Zenner.
Die ganze Sache wirft die Frage auf, wie zukunftsfähig die Marke „Bio" am Ende überhaupt noch ist. „Im Handel besteht immer eine gewisse Gefahr. Wenn ich annehme, das ist alles Lug und Trug, muss ich eben konventionelle Produkte kaufen. Da weiß ich dann, dass es nur konventionell ist. Aber selbst wenn da vielleicht fünf Prozent falsche Produkte dabei sind – wenn der Kunde Bio fördern will, muss er Bio kaufen und das Risiko eingehen", erklärt Stefan Zenner. Er bestätigt, dass die strengen Bio-Vorschriften manche Bio-Bauern zur konventionellen Landwirtschaft zurücktreiben könnten, allerdings seien diejenigen dann auch nicht mit Herzblut dabei.
Dr. Georg Eckert ist Kontrollstellenleiter der Abteilung Landwirtschaft der Zertifizierungsstelle „ABCert". „ABCert" ist speziell auf die Kontrolle im Bereich Landwirtschaft, beispielsweise bei Biobauernhöfen vor Ort, ausgerichtet und kontrolliert, ob die EU-Öko-Verordnungen eingehalten werden. Hervorgegangen aus dem Anbauverband „Bioland" hat „ABCert" mittlerweile sechs Standorte über die ganze Bundesrepublik verteilt. Er erklärt: „Natürlich gibt es auch im Bereich Bio Betrug, wie es überall Betrug gibt, wo Menschen meinen, damit Geld verdienen zu können. Aber in dieser Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Art wie der ZEIT-Artikel es suggeriert, ist es nicht." Weiterhin könne Eckert auch nicht bestätigen, dass vorwiegend der Bereich des Handels betroffen wäre. Betrug fände auf allen Ebenen statt, sei deswegen jedoch kein Massenphänomen. Dazu seien auch nicht alle Fälle, in denen Bio-Bauern zu verbotenen Mitteln griffen, Fälle von Bio-Betrug. „Ein Straftatbestand nach dem Ökolandbaugesetz entsteht, wenn ein Unternehmer irgendein Produkt als Bioprodukt in Verkehr und in den Handel bringt, das er als solches nicht hätte in den Handel bringen dürfen. Die Ebene davor ist quasi unser Alltagsgeschäft, wenn also in Betrieben auch mal etwas schief läuft." Ein typisches Beispiel sei der Bereich der tierischen Produktion, wo die Anzahl der Behandlungen im Fall von Krankheit begrenzt sei. Dort käme es vor, dass im Rahmen der Kontrolle festgestellt würde, dass ein Tier mal über die Regel hinaus krank war und behandelt werden musste. Dieses Tier würde dann jedoch nicht als Ökoprodukt vermarktet, weil es nach EU-Öko-Verordnung nicht regelkonform sei. Wenn dieses Tier dann in die Umstellungszeit zur konventionellen Tierhaltung gehe oder im eigenen Haushalt verbraucht würde, fände nach Georg Eckert auch kein Betrug statt.
Bio-Produkte zu 95 Prozent unverdächtig
Auch Eckert weist auf den großen Schaden hin, den Bio-Bauern im Bereich der Agrarförderung als Risiko in Kauf nehmen, wenn sie nicht nach den EU-Öko-Verordnungen handeln. „Dieser ist zum Teil immens hoch und damit existenzgefährdend", erklärt er. Auch den Interessenkonflikt zwischen privatwirtschaftlichen Kontrollstellen und Biobauern sieht er nicht – sprich, dass Biobauern selbst ihre eigenen Kontrollen beauftragen. „Der Interessenkonflikt ist im Grunde ein konstruierter. Wir haben 19.000 Kunden im Bio-Bereich. Auf einen mehr oder weniger kommt es für uns nicht an. Aber eine bedeutende Rolle spielen für uns unser eigener Qualitätsanspruch und natürlich die Überwachung durch Behörden und die Akkreditierungsstelle DAkkS GmbH und damit auch unser Ruf und unsere Zulassung als Kontrollstelle." Dazu sei die Kontrollstelle ähnlich wie beispielsweise der Tüv zwar für die Zertifizierung zuständig, nicht jedoch für die Sanktionen. Das Rechtssystem sehe die Bestrafung von eventuellen Betrügern für staatliche Behörden vor.
Für verunsicherte Bio-Käufer und -Käuferinnen weist er auf große Untersuchungen wie das Biomonitoring, beispielsweise in Baden-Württemberg hin. „Dort kommt man zu dem Schluss, dass nach den Ergebnissen, die sich analytisch fassen lassen, weit über 95 Prozent der Bio-Produkte völlig unverdächtig sind. Und die machen ja auch eine risikoorientierte Probenauswahl. Das entspricht letztlich auch dem, was die Ergebnisse der Kontrollstellen zeigen", erklärt Eckert.
Auch Martin Rombach, Geschäftsführer der Prüfgesellschaft Ökologischer Landbau, kann bestätigen, dass Betrug bei Lebensmitteln nicht nur Bio betrifft. Die Prüfstelle ist unter anderem spezialisiert auf den nachgelagerten Bereich, Importverarbeitung, Lebensmittelrecht und die Verarbeitung von Lebensmitteln. Er erklärt: „Ich mache das jetzt seit 20 Jahren und mir sind echte Betrugsfälle in einem größeren Umfang noch nie untergekommen. Aber Schlampereien gibt es natürlich häufiger mal." Auch er kennt die Tricks des Untermischens qualitativ minderwertiger Produkte, beispielsweise bei Getreide oder Wein. „Das ist dann unter Umständen auch gar nicht so einfach nachzuweisen. Das gilt allerdings auch genauso im konventionellen Bereich und nicht nur für Bio. Aber bei Bio gibt es wenigstens eine gut funktionierende Kontrolle, die mindestens einmal im Jahr in den Betrieb kommt. Im konventionellen Bereich hat man das nicht, auch wenn ich den nicht schlecht machen will. Aber man sollte nicht versuchen, Bio an einer Stelle pauschal schlecht zu machen, an der eigentlich die Stärken liegen, nämlich bei den guten Kontrollen."
„Schlampereien gibt es häufiger"
Kritik an staatlichen Behörden, die auch die „Zeit" übte, kann der Geschäftsführer nachvollziehen. „Das ist tatsächlich ein Punkt, den wir immer mal wieder beklagen. Ich verstehe auch die Behörden, denn die sind personell nicht immer so gut aufgestellt. Und wir haben in Deutschland das Problem der starken regionalen Zersplitterung durch den Föderalismus. An der Stelle wäre es besser, man hätte eine zentrale verantwortliche Stelle. Und so hängt es eben stark davon ab, in welchem Bundesland wir sind und wie viele Kapazitäten die staatliche Behörde hat." Anders als staatliche Behörden seien privatwirtschaftliche Kontrollstellen dazu verpflichtet, die Unternehmen mindestens einmal im Jahr zu überprüfen, anders würden sie ihre Zulassung verlieren. „Das haben wir auch zu Corona-Zeiten geschafft. Durch die Pandemie hat allerdings in den Jahren 2020/21 ein Großteil der staatlichen Kontrollen nicht mehr stattgefunden", erklärt er. Leitet also die Kontrollstelle Fehler an die staatliche Behörde weiter, die diese nicht ausreichend verfolgt, weil die Mitarbeitenden überlastet sind, seien der Kontrollstelle die Hände gebunden.
Unterm Strich ist Bio also nicht vor Betrug gefeit. Die jährlichen Kontrollen und das Monitoring zeigen jedoch, dass der Großteil der Bio-Produkte unverdächtig ist. Letztendlich ist es die Entscheidung der Konsumierenden. Doch wer Bio fördern will, muss das Risiko eingehen.