Kenneth Branagh führte zum zweiten Mal – nach „Mord im Orient Express" – bei einem Agatha-Christie-Klassiker Regie. Er läuft als Meisterdetektiv Hercule Poirot in „Tod auf dem Nil" zur Hochform auf.
Es ist Liebe. Und Liebe ist kein Spiel in dem es fair zugeht", sagt Jacqueline de Bellefort (Emma Mackey) zu Hercule Poirot (Kenneth Branagh) und fügt verbittert hinzu: „Liebe, die so leidenschaftlich ist, verschwindet nicht einfach!" Die beiden befinden sich zusammen mit einer illustren Gesellschaft von Hochzeitsgästen auf dem luxuriösen Schaufelraddampfer Karnak, der auf dem Nil vor Anker liegt. Die Hochzeitsgäste sind gerade von einem Ausflug zur mächtigen Tempelanlage Abu Simbel zurückgekommen. Dort hätte um ein Haar das Hochzeitspaar Linnet Ridgeway (Gal Gadot) und Simon Doyle (Armie Hammer) den Tod gefunden: Von einem in die Tiefe stürzenden Felsblock wurden sie fast erschlagen. Und das war, wie Meisterdetektiv Poirot schnell feststellt, kein Zufall. Aber war es tatsächlich die eifersüchtige Jacqueline, die den beiden nach dem Leben trachtete? Grund genug hätte sie ja. Denn ihre superreiche und betörend schöne Ex-Freundin Linnet hat ihr nicht nur ihre große Liebe Simon ausgespannt, sondern ihn auch gleich geheiratet. Jacquelines Hass auf die beiden ist schier grenzenlos und eskaliert eines Abends so weit, dass sie auf ihren Ex-Lover schießt. Zum Glück wird Simon nur am Bein getroffen. Die Aufregung an Bord ist trotzdem riesengroß. Wie aufgescheuchte Hühner rennen alle Gäste durcheinander. Die durch den Vorfall völlig aufgelöste Jacqueline wird mit einer Dosis Morphium außer Gefecht gesetzt. Simons Bein wird notdürftig verbunden. Am nächsten Morgen findet man Linnet tot in ihrem Bett. Mit einer Schusswunde im Kopf.
Das Spiel mit der Liebe ist und bleibt gefährlich
Auch in „Tod auf dem Nil" gibt es, wie in allen anderen Agatha-Christie-Krimis, natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger, die allesamt ein Motiv für den Mord haben könnten. Zum Beispiel Linnets Ex-Verlobter, Linus Windlesham (Russell Brand). Oder ihr zwielichtiger Cousin, der Anwalt Andrew Katchadourian (Ali Fazal) – um nur zwei weitere Hauptverdächtige zu nennen. Es ist keine leichte Aufgabe für Hercule Poirot den wahren Täter herauszufinden. Zumal alle Anwesenden scheinbar etwas zu verbergen haben – und lügen, dass sich die Balken biegen. Es hilft Poirot auch nicht, dass bald ein zweiter Mord geschieht. Und noch ein dritter.
Doch genau das macht diese Who-done-it-Eskapade so spannend. Als Zuschauer hat man viel Spaß, während sich das Killer-Karussell immer munter weiterdreht – wie schon in „Mord im Orient Express". Da ist es gar nicht schlimm, wenn man den Roman schon kennt oder sich noch gut an die Sidney-Lumet-Verfilmung von 1974 erinnert. Genau wie damals gibt es ein handverlesenes Star-Aufgebot, das sich sehen lassen kann. Statt Albert Finney, Sean Connery, Lauren Bacall, Ingrid Bergmann und Jacqueline Bisset sind diesmal unter anderem Gal Gadot, Armie Hammer, Annette Bening, Jennifer Saunders und Russell Brand am Start. Und natürlich alles überstrahlend Kenneth Branagh, als der exzentrische Hercule Poirot mit dem spektakulärsten Schnauzer im Westen. Unter Branaghs Regie ist „Tod auf dem Nil" viel mehr als nur eine nostalgische Reminiszenz geworden. „Nostalgie sollte immer auch in etwas Neues, Unverbrauchtes umgewandelt werden, sonst wird es ja schnell langweilig. Deshalb habe ich auch diesmal wieder auf eine bewusst grandiose Bildsprache gesetzt. Sehr wichtig war mir außerdem, die leicht dahinfließende Erzählstruktur mit diesen Schauwerten in einen dramatischen Kontext einzubinden", schwärmt Branagh.
Nostalgie braucht immer auch etwas Neues
Und tatsächlich: In „Tod auf dem Nil" gibt es atemberaubende Ansichten von Abu Simbel und den Pyramiden aus der Vogelperspektive. Man fühlt sich als Zuschauer mittendrin bei den feudalen Festivitäten, sitzt mit am Tisch des exquisiten Hochzeitsmahls, meint die Atmosphäre aus flirrender Hitze und drohendem Unheil förmlich zu spüren und kann sich am smaragdgrünen Nilwasser gar nicht stattsehen. Dass nicht an den Originalschauplätzen in Ägypten, sondern in Marokko gedreht wurde, tut dem Film keinen Abbruch. Der Abu-Simbel-Tempel und der Dampfer wurden allerdings tatsächlich nachgebaut. Und der Zauber dieser exotischen Welt, in die uns Agatha Christie hier entführt, funktioniert auch in einem Filmstudio im englischen Surrey bestens. Vorausgesetzt, der Regisseur heißt Kenneth Branagh.
Weshalb war Branagh dermaßen fasziniert von Krimiautorin Agatha Christie? „Sie reiste für ihr Leben gern. Und das war dieselbe Agatha Christie, die wir alle als ältere Dame in Pullover und Perlenkette vor Augen haben. Dabei war sie als junge Frau eine echte Abenteuerin, die auch viele Schicksalsschläge hinnehmen musste. In ihrer Autobiografie schrieb sie, dass sie oft sehr depressiv und traurig war. Und dennoch folgerte: ‚Alles in allem ist das Leben doch ein großes Geschenk. Es ist dazu da, dass man sich daran erfreut.’"