Klaus Töpfer gehört zu den Umweltpolitikern der ersten Stunde. Er war Umweltminister in Rheinland-Pfalz, Bundesumweltminister, Beauftragter der UN für Afrika und Leiter des Umweltprogramms der UN. Zuletzt leitete der 83-Jährige in Deutschland das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam.
Herr Töpfer, ist der Planet noch zu retten?
Selbstverständlich. Wir haben einen großartigen Planeten, wir haben eine – wie ich hoffe – lernende Menschheit. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird, diesen Planeten auch für zehn Milliarden Menschen zu gestalten und zu erhalten.
Haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht oder längst überschritten?
Welches Wachstum ist gemeint? Die Weltbevölkerung wird noch weiter wachsen, aber auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich leite das Wachstum nicht allein vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab – das ist keine hinreichende Größe. Wir müssen „Wohlstand" über das BIP hinaus neu vermessen und bewerten.
Heißt das, der Kapitalismus muss überwunden werden?
Unsere Soziale Marktwirtschaft muss zu einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft gestaltet werden – ein Anliegen, das bereits Ludwig Erhard angedacht hatte. Dieses zu messen – dazu reicht das BIP nicht. Dazu hat Kennedy sehr richtig festgestellt: Das BIP misst alles, nur das nicht, was das Leben lebenswert macht. Viele Dinge haben eben keine Marktpreise, sind aber ganz wichtig für unseren Wohlstand: die Stabilität der Natur beispielsweise, die Luft, die Solidarität zwischen den Menschen, die Einkommensverteilung, die Empathie. Das ist keineswegs eine neue Erkenntnis.
Sie haben sich 1988 als Umweltminister entschlossen, im Neoprenanzug in den Rhein zu springen. Wollten Sie damals das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung wecken?
Da war das Umweltbewusstsein bereits recht wach! Mein Rheinschwimmen war das Ergebnis einer verlorenen Wette. Aber ich wollte auch auf den Erfolg der Gewässerschutznahmen aufmerksam machen, die vor allem nach einem Chemieunglück in Basel gegriffen hatten. Der Rhein ist schon Anfang des 19. Jahrhunderts um 80 Kilometer durch Begradigungen verkürzt worden – und wurde dadurch zu einem vielfältigen Umweltproblem. Er kann sich nicht ausdehnen, deswegen die Überschwemmungen. Heute sind viele Kläranlagen gebaut worden, der Fluss ist so sauber, dass man ohne Schutzanzug darin baden könnte –
was man aus Sicherheitsgründen aber nur in den Altrheinarmen tun sollte …
Eines der wichtigsten Probleme war damals für den Club of Rome die zunehmende Weltbevölkerung. Davon ist heute kaum noch die Rede. Hat sich das Problem erledigt?
Ich sehe nicht, dass darüber nicht geredet wird. Als ich geboren wurde, gab es auf der Erde 2,5 Milliarden Menschen, heute sind es acht. Erst im vergangenen Jahr kam das Buch von Reiner Klingholz „Zu viel für diese Welt" über die doppelte Überbevölkerung heraus: In den reichen Teilen der Welt verbrauchen wir zu viele Rohstoffe, in den armen Teilen leben zu viele Menschen in Hunger und Elend. Aber auf unserem Planeten werden auch zehn Milliarden menschenwürdig leben können. Das geht nicht mit rigider Geburtenkontrolle, sondern nur durch eine neue Bescheidenheit aller Menschen, die jetzt und in Zukunft leben. Übervölkert wären wir, wenn alle Menschen auf der Erde so leben wollten wie wir jetzt in den Industrieländern. Unser Lebensstil ist nicht verallgemeinerungsfähig, nicht globalisierbar. Der Planet hat genug Ressourcen, zur Ernährung, zur Bekleidung, zum Wohnen – wenn sich alle bescheiden.
Und was ist mit den Entwicklungsländern?
Wir müssen in den industrialisierten Ländern anfangen. Ich habe acht Jahre in Afrika gelebt, da ist von Konsum, von einer Wegwerfgesellschaft nicht die Rede. Nur wenn wir eine neue Bescheidenheit lernen, wird unser verschwenderischer Lebensstil nicht zum Vorbild für alle anderen.
Zurück zu 1982, dem ersten Infragestellen des Wachstums. Was hat sich seit Ihrer Zeit geändert? Was ist besser, was schlechter geworden?
Da kommt es auf die Weltgegend an, die Sie gerade ins Auge fassen. Wir haben in Europa vieles durch Technologie möglich gemacht, was vorher gar nicht denkbar war. Besser geworden ist die Wasserreinhaltung, da wurde massiv investiert. Das bedarf weiterhin großer Kraftanstrengungen etwa mit Blick auf Mikroplastik, mit dem unsere Kläranlagen nicht fertig werden. Wir haben die Luftreinhaltung verbessert: die Luft im Ruhrgebiet, aber auch im Saarland war stark belastet mit Schadstoffen. Wir sind bei der Behandlung von Chemikalien vorangekommen, unsere Ernährung ist gesünder geworden, unsere Gesundheit besser, unsere Lebenserwartung deutlich gestiegen. Ich bin jetzt 83, alle meine Vorfahren sind deutlich jünger gestorben.
Und die großen Wanderungsbewegungen, die Flucht aus Afrika?
Wir schützen unseren Wohlstand nicht dadurch, dass wir Mauern und Stacheldraht errichten und die Grenzen bewachen, sondern nur durch Zusammenarbeit und gemeinsame Lösungen. Wir dürfen nicht auf Kosten anderer leben, nicht durch unsere klimaschädlichen Emissionen den Klimawandel so vorantreiben, dass die Menschen woanders nichts mehr anbauen können, dass die ihre Heimat verlieren. Wir diskutieren über die Regenwälder in Südamerika, denken aber nicht daran, dass wir von dort zum Beispiel Soja beziehen, das wir wie selbstverständlich nutzen, um unsere Leistungskühe zu mästen und so unseren sogenannten Wohlstand zu steigern. Da liegen eine Menge Aufgaben vor uns – da ist nichts abgeschlossen. Meine Arbeit bei der UN hat mich sehr geprägt.
Welche Prognosen aus dem Bericht „Grenzen des Wachstums" haben sich erfüllt?
Wir haben sicherlich die Prognosen übererfüllt, die damals den erneuerbaren Energien galten. Als wir damit anfingen, kostete eine Kilowattstunde Solarstrom mehr als einen Euro. Heute liegt er bei zwei Cent. Wir haben einen massiven technischen Fortschritt bei den erneuerbaren Energien. Dann, was den Artenschutz betrifft: Auch da haben wir den Handlungsdruck richtig erkannt, aber unsere Möglichkeiten unterschätzt.
Und wo wurde zu schwarz gesehen?
Die Zusammenarbeit mit den Menschen in den Entwicklungsländern ist unterschätzt worden. Da ist ein friedliches Zusammenleben durchaus für die Zukunft möglich und zwingend geboten.
Den Klimawandel hat man so noch nicht gesehen damals?
Es gab einzelne Stimmen, die darauf hinwiesen, was passiert, wenn Klimagase wie CO2 bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas in die Atmosphäre gelangen. Aber das diskutierte nicht die breite Öffentlichkeit, es gab noch Lücken in der wissenschaftlichen Forschung. Das erfuhr einen gewaltigen Umbruch – gerade auch im Saarland, das damals als Steinkohleland vorangegangen ist. Viele habe damals ihre Arbeit verloren und mussten sich umstellen. Ich vergleiche manchmal meine Generation mit der von heute. Als ich jung war, hatten wir die Folgen eines katastrophalen Zweiten Weltkrieges zu bewältigen, waren in Verantwortung für die menschlichen Katastrophen des Holocausts. Die Herausforderungen für die jungen Menschen von heute sind der Klimaschutz und die Ungerechtigkeiten der globalen und nationalen Wohlstandsverteilung, wenn sie den Frieden erhalten wollen. Ich spreche darüber mit meinen Kindern und meinen Enkeln, dass sie sich davor nicht verstecken. Jede Generation wird daran arbeiten, die Dinge, die vorher falsch gemacht worden sind, zu korrigieren und in ihren Wertungen richtig zu machen.
Apropos Saarland – kann man im Saarland so wie in einem Brennglas betrachten, wie die ökologische Transformation abläuft?
Ich habe den ersten ökonomischen Umbau in den 1970er-Jahren vor Ort miterlebt als ich in der Staatskanzlei des Saarlandes gearbeitet habe. Das Saarland hat den Wandel als Markenzeichen in seiner Geschichte, nicht zuletzt in den wechselnden nationalen Einbindungen. Das ist eine Geschichte der Anpassung an und die Nutzung von Veränderungen. Heute sprechen wir von grünem Stahl, flüssigem Wasserstoff, Elektroantrieb, neuartigen Batterien ohne teure Rohstoffe. Wir werden noch einige Überraschungen erleben, weil in der Wissenschaft immer noch weitergedacht wird. Dabei wird der großen Tradition des Saarlandes – seine wirtschaftliche Geschichte und die Qualität von Forschung und den arbeitenden Menschen – eine Schlüsselrolle zukommen.
Welche Rolle spielt unser Wirtschaftssystem, das ja auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist?
Auf die ökologische und soziale Marktwirtschaft und ihre Bedeutung habe ich bereits hingewiesen. Sie hat einen großartigen Beitrag geleistet und bleibt Erfolgsgarant. Man hat den Markt gezähmt, die sozialen Fragen gesetzlich eingebunden. In die Marktwirtschaft müssen die ökologischen und die sozialen Komponenten weiter verstärkt werden: In der CDU habe ich dies bereits in den 90er-Jahren auf einem Bundesparteitag erfolgreich durchgesetzt. Und dieser Rahmen muss immer wieder überprüft werden. Von der ökologischen Seite her war die Marktwirtschaft noch nicht genügend qualifiziert.
Was ist heute unter Fortschritt und Wachstum zu verstehen?
Eine friedliche Welt zu gestalten, uns abzugewöhnen, Krieg und Feindseligkeiten zur Lösung von Problemen auch nur zu denken, eine neue Bescheidenheit, die ja nicht ein Verzicht ist, sondern eine Qualitätsverbesserung unserer Lebensumstände. Ich sehe mit Freude, dass man jetzt merkt, dass nicht alles vom materiellen Wohlstand abhängt, dass Bescheidenheit eine Bereicherung für den einzelnen ist – das ist für mich Fortschritt. Ernst Bloch hat mal geschrieben: „Nur das Erinnern ist fruchtbar, das erinnert, was noch zu tun ist."