Knapp vier Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist dieser Krieg längst im deutschen Alltagsleben angekommen. Zu den exorbitant hohen Energiepreisen kommen nun auch erste Lieferengpässe bei Lebensmitteln. Alles hängt immer mit allem zusammen.
Die Kunden staunten nicht schlecht. Über Nacht hatte ein großer Lebensmitteldiscounter Schilder am Regal für Speiseöle und Mehl angebracht: „Verkauf nur zu haushaltsüblichen Mengen". Über Nacht von Dienstag auf Mittwoch Anfang März war erstmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte der Dieselpreis über den von Superbenzin gestiegen. Die Einzelhändler reagierten sofort, nachdem schon am Vortag in den Filialen von Discountern und Supermärkten palettenweise Speiseöl von den Kunden rausgeschleppt wurde.
Die Hamsterkäufer sind mitnichten alle in der Gastronomie beschäftigt, die ihre Vorräte an Öl für die Bereitung von Speisen in ihrem Restaurant auffüllen wollten. Das Speiseöl landet vielmehr direkt im Tank ihrer alten Dieselautos. Fahren mit Fritten-Fett macht Sinn bei Dieselpreisen von bis zu 2,49 Euro pro Liter.
Auch Weizenmehl wird gehortet, immerhin ist die Ukraine der größte Exporteur nach Deutschland für den Brotgrundstoff Nummer eins, und nun drohen Lieferengpässe. Die Preise für Weizenprodukte, also Brötchen und Baguette sind in den Läden bereits gestiegen. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben deutsche Verbraucher einen lokalen Krieg so schnell am eigenen Leib gespürt wie seit dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar durch Russland. Die Verunsicherung wächst dementsprechend greifbar und am sichtbarsten bei den Energiepreisen. Menschen überlegen sich jede Autofahrt mindestens zweimal. Wenn man dann in der Luxussituation ist, darüber überhaupt nachdenken zu können. Es finden sich derzeit zwangsläufig bundesweit Fahrgemeinschaften zusammen, gerade die Pendler in den ländlichen Räumen können auf das Auto nicht verzichten, sie müssen irgendwie zur Arbeit. Homeoffice mag ja vielfach schön und gut sein, nur als Verkäuferin oder Bauarbeiter hilft das den Betroffenen nicht weiter. Und die Auswirkungen der hohen Energiepreise zieht erheblich weitere Kreise, als auf den ersten Blick ersichtlich.
Güterverkehr wird unrentabel
Die Transportbranche ist eine der Hauptleidtragenden. „Wir können derzeit nicht mehr ausschließen, dass es tatsächlich zu Lieferengpässen auch beim Einzelhandel kommt, da uns einfach die Transportkapazitäten fehlen", bringt es Dirk Engelhardt im FORUM-Gespräch auf den Punkt. Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) macht mehrere Faktoren für diese Befürchtungen verantwortlich. Fast ein Fünftel der Transportlogistik in Deutschland wird durch polnische Spediteure abgedeckt. Die wiederum rekrutieren ihre Fahrer vielfach auch in der Ukraine. „Polnische Lkw hatten 2021 laut der Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr einen Marktanteil in Deutschland von 17,5 Prozent, litauische einen von 3,0 Prozent, macht zusammen 20,5 Prozent", so Engelhardt. Die Branche musste sich schon vor dem Kriegsausbruch mit Fahrermangel rumplagen. „Angesichts der aufgrund des europaweit grassierenden Lkw-Fahrermangels hochgradig angespannten Personalsituation waren wir ohnehin am Anschlag. Allein in Deutschland fehlen 60.000 bis 80.000 Lkw-Fahrer, eine nicht zu vernachlässigende Größenordnung", so der Chef des BGL.
Deutsche Spediteure brauchen bei Dieselpreisen von über zwei Euro pro Liter erst gar nicht mehr vom Hof zu fahren, wenn sie im Zweifelsfall pro ausgelieferter Frachttonne draufzahlen müssen. Damit wird mitten in dieser angespannten Situation auch noch eine Pleitewelle bei den deutschen Logistikern denkbar. Sie haben zum Beispiel mit ihren Auftraggebern feste Frachtpreise pro Tonne vereinbart, unabhängig vom Spritpreis, der spielt da keine Rolle. Wurde der Frachtpreis also zum Beispiel bei einem Dieselpreis von 1,50 Euro vereinbart, zahlen jetzt die deutschen Lkw-Unternehmer pro Frachttonne drauf. Doch auch den osteuropäischen Spediteuren machen die hohen Preise an deutschen Zapfsäulen Sorgen. Sie können zwar noch in ihren Heimatländern den Lkw um bis zu einem Euro pro Liter unter den deutschen Preisen volltanken, doch der Tank reicht nur bis zum Zielort und dann stehen die osteuropäischen Fahrer hier auf der Tankstelle. BGL-Chef Engelhardt schaut da in eine düstere Zukunft der Logistik-Versorgungsicherheit in Deutschland,
„Inwieweit sich das auch auf die Versorgungssituation in Deutschland auswirken wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Auf Basis des kaufmännischen Vorsichtsprinzips gilt jedoch: Wer sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Transportkapazitäten sichert, hat möglicherweise schon bald das Nachsehen".
Dazu kommt noch ein Umstand, den niemand Mitte Februar für möglich gehalten hätte. Jetzt gibt es bereits gerade aus Polen vermehrte Anfragen von Spediteuren an ihre deutschen Kollegen. Verkehrte Welt im Speditionsgewerbe. Die Hilfsgüter aus Westeuropa für die Ukraine müssen von den zentralen polnischen Sammelstellen weiter transportiert werden. Für deutsche Spediteure lohnt es sich daher eher, Lebensmittel, warme Kleidung und Hygieneartikel von Polen in die Ukraine zu fahren als Nudeln und Toilettenpapier in Deutschland in die Supermärkte zu transportieren. Dirk Engelhardt fordert in Anbetracht diese Drohkulisse die Politik auf, schnell zu handeln. „Der BGL fordert von der Politik deshalb auch in Deutschland die Einführung von sogenanntem Gewerbediesel. Allerdings steigen Energie- und andere Preise schon seit Monaten unaufhörlich, sodass dieses Problem quasi on top dazukommt. Die finanzielle Belastungsgrenze vieler Transportunternehmen ist erreicht, gerade die Dieselkosten steigen so schnell, dass nicht einmal die sogenannten Diesel-Floater hinterherkommen, die bislang für einen wenn auch zeitversetzten Ausgleich gesorgt hat.
Strompreis macht auch Kühlhäuser teurer
Damit ist eigentlich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefragt. Doch der ist derzeit noch zögerlich, denn nebenbei ist er ja auch noch Klimaminister und hat sich auf seine Fahnen eher hohe Preise für fossile Brennstoffe geschrieben. Doch angesichts explodierender Energie-Preise wird für Habeck nun langsam die Luft dünn, denn Diesel ist das eine, hohe Strompreise treffen einen weiteren Bereich des Logistikbereichs: die Lagerung. Kühlhäuser verbrauchen extrem viel Strom, und der ist preislich ebenfalls auf einem historischen Hoch. Lagern die verderblichen Waren länger als vorgesehen, kann weniger abgerechnet werden. Die Kühlhäuser sind voll, da die Waren wegen fehlender Fahrer nicht rechtzeitig abgeholt werden. Damit ist die „Just in time"-Lieferkette gestört. Die Kosten für eine Tiefkühlpizza werden unterm Strich weit höher als ursprünglich kalkuliert, weil sie im Zentrallager und nicht im Supermarkt im Kühlschrank liegt. Weitere Bestellungen an die Hersteller bleiben aus, da keine Lagerkapazitäten mehr verfügbar sind. Damit droht dann auch bei den Herstellern mindestens Kurzarbeit.
Am Ende der Kette werden Verbraucher in den kommenden Wochen auch bei den Lebensmitteln erheblich draufzahlen müssen. Die Preissteigerungen bei Transport- und Lagerlogistik werden in den kommenden Wochen per Verkaufspreis von den Discountern und Supermärkten direkt an ihre Kunden durchgereicht. Wenn die Lieferungen dann überhaupt beim Kunden ankommen und nicht im Zentrallager noch auf Abholung warten.