„Musik ist kein Luxus, sondern ein Lebensmittel", hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Pandemiejahr 2020 betont. Doch zweimal mussten die Musikfans während der Lockdowns darben, nun können sie sich wieder über Live-Darbietungen freuen.
Besonders stimmungsvoll kommen solche an ungewöhnlichen Orten oder auch mitten in der Natur daher. So wie bei den Musikfestspielen Mecklenburg-Vorpommern, bei denen sich Naturerlebnis und Konzertgenuss zum Komplett-Paket verbinden. Seit 1990 fanden zunächst in den Sommermonaten teilweise hochkarätig besetzte Konzerte in Scheunen und Schlössern, Dorfkirchen oder Fabrikhallen statt. Und weil die „klangreichen Sommerfestspiele" so gut ankamen, entschlossen sich die Festivalorganisatoren dazu, kleinere „Ableger" der Sommerfestspiele im Frühling und im Winter auf die Beine zu stellen. So gibt es seit einigen Jahren den Festspielwinter und den Festspielfrühling auf der Ostseeinsel Rügen, zur diesjährigen Frühlingsausgabe kamen rund 3.200 Gäste. Die Tickets für diese zehnte „Meck-Pomm-Frühlingsvariante" waren blitzschnell vergriffen, sicherlich auch wegen Daniel Hope. Regelmäßig ist der weltweit tätige Geiger auf diesen Festspielen anzutreffen. Als Künstlerischer Leiter gestaltete er 2020 das Programm für die 24 Veranstaltungen, eine Aufgabe, die er zuvor schon mehrmals bei den umfangreicheren Festspielen Mecklenburg-Vorpommern im Sommer übernommen hatte.
Doch coronabedingt landete das fertige Konzept zunächst in der Schublade und kam nun vom 18. bis zum 27. März zum Einsatz.
Einfach kann die neue Terminfindung nicht gewesen sein. Selbst in der fast weltweiten zweijährigen Pause ist das Musikgeschehen nicht stehen geblieben. Doch garantiert nicht für Daniel Hope, der kürzlich eine Deutschland-Tournee mit seinem neuen Album „America" absolvierte, in dem er nicht nur als klassischer, sondern auch als Jazz-Geiger überzeugt.
Hochkarätig besetzter Festspielfrühling
Dennoch passte der Termin offenbar gut – denn die bereits vor zwei Jahren engagierten Musikerinnen und Musiker – bekannte Namen und die Elite von morgen – waren auch wieder an Bord. Gerade der musikalische Nachwuchs und dessen Förderung liegt Daniel Hope am Herzen, womöglich, weil er selbst als Kind und Jugendlicher von einer solchen Förderung profitierte. 1973 im südafrikanischen Durban geboren, wuchs Hope nach der Flucht seiner Eltern aus Südafrika in London auf und erhielt dort schon als Vierjähriger Geigenunterricht. Sein Talent fiel auf, bald nahm ihn der Jahrhundertgeiger Yehudi Menuhin sozusagen unter seine Fittiche und spielte schließlich zusammen mit ihm rund 60 Konzerte.
Inzwischen ist der Name zum Markenzeichen geworden und wurde während der Corona-Lockdowns zum Programm. Mit seinen beiden Staffeln, „Hope@Home" und „Hope@Home – Next Generation" – gedreht in seinem Berliner Wohnzimmer und gestreamt von Arte – wurde der Musiker in schwierigen Zeiten zum Hoffnungsvermittler. Und obwohl „nur" interaktiv, entwickelte sich ein intensiver Austausch mit Musikfans in aller Welt. So stellten in Japan wohl nicht wenige ihren Wecker, um in der Nacht die Livestreams verfolgen zu können, die nach deutscher Zeit um 18 Uhr starteten. Empfangen wurden sie am Bildschirm von einem stets gut gelaunt lächelnden Hope.
So empfängt er auch die Autorin zum Interview im Ostseebad Sellin am Vormittag des Eröffnungskonzerts. Ist, so die erste Frage, Daniel Hope ein klug gewählter Künstlername? „Nein, den habe ich meiner Berliner Großmutter zu verdanken", sagt er und blättert kurz die Geschichte seiner jüdischen Vorfahren auf.
Virtuelle Konzertreihen im Lockdown
„Der Mann meiner Großmutter fiel 24-jährig im Ersten Weltkrieg. Sie heiratete erneut und flüchtete 1933 aus Furcht vor den Nazis mit ihrem zweiten Mann nach Südafrika. Doch mein Vater Christopher aus Großmutters erster Ehe mochte den Stiefvater überhaupt nicht. Der aber setzte ihn unter Druck. Als 13-Jähriger musste sich Christopher entscheiden und nahm den Familiennamen seines Stiefvaters – Hope – an."
Seit 2016 lebt Daniel Hope mit seiner Frau, einer Berliner Malerin, und dem kleinen Sohn in Berlin und sagt nun lächelnd: „Hope ist ein sehr schöner Name." Und passend – auch zu der in Pandemiezeiten aus dem Boden gestampften virtuellen Konzertreihe „Hope@Home".
Wie diese entstand? Einige Tage vor dem ersten Lockdown habe er mit Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer von Arte Deutschland, zusammengesessen, erzählt Hope. Der Lockdown lag schon in der Luft, „und wenn der kommt, mache ich halt Musik in meinem Wohnzimmer", habe er gesagt. Als der Lockdown wirklich verordnet wurde, habe Bergmann sofort angerufen und gefragt: „Sag mal, hast Du das mit der Musik im Wohnzimmer ernst gemeint?" Eigentlich nicht so ganz, doch er habe gefragt: „Wann fangen wir damit an, das muss doch vorbereitet werden?" Heute! Er schicke später seine Leute mit der Ton- und Kamera-Ausrüstung, habe Bergmann gekontert.
„Doch für mich war der Klang das Wichtigste" sagt Daniel Hope. „Also habe ich gleich bei Teldex Berlin, der ehemaligen Schallplattenfirma, angerufen, und deren Experten kamen wenige Stunden später mit ihren Messgeräten ins Haus. Die Techniker saßen dann stets im Keller, allein, das Wohnzimmer blieb unverändert." War das nicht wegen Corona ein großes Risiko?
„Es kam immer dasselbe kleine Team und drehte die 150 Sendungen nur bei uns. Außerdem wurde täglich getestet und desinfiziert, auch die Mikrofone, die Klaviertastatur und so weiter. Wir hatten Luftfilter in allen Räumen und – außer den Musikern beim Spielen – strikte Maskenpflicht. Die Arte-Leute mit ihren fabelhaften ferngesteuerten Kameras machten einen großartigen Job". Niemand sei während dieser Zeit krank geworden, betont Daniel Hope.
Nach wie vor sind einige der Sendungen auf Arte Concert, Facebook und Youtube abrufbar, und mancher Gast ist sicherlich in Erinnerung geblieben. So Max Raabe, der coronatauglich sang: „Ich küss’ nicht ihre Hand, Madame, und auch nicht ihren Mund." Zum Weihnachtsfest 2021 lief dann als Special die Ausgabe Christmas@Home. Zu Gast war dabei auch Pianist Lang Lang, der mit seiner Frau, ebenfalls einer Pianistin, vierhändig spielte.
Nach dem Interview noch schnell einige Fotos mit Daniel Hope auf dem Hotel-Sofa und im Garten. Weiterhin hat er ein Lächeln im Gesicht. Hinter den Kulissen des Festivals allerdings gibt es Probleme – erst abends beim Eröffnungskonzert „Frühlingserwachen" im Marstall von Putbus erfährt das Publikum, dass die Cellistin Josephine Knight plötzlich erkrankt ist. Ad hoc muss Daniel Hope umplanen, spielt nun statt Beethoven zusammen mit Julia Okruashvili die Sonate für Violine und Klavier von Cesar Franck.
Mal mitreißend, dann wieder berührend
Ein besonderes Ass zieht Hope auch noch aus dem Ärmel: Maxim Lando. Der 19-jährige Ausnahmepianist aus New York donnert auswendig ein Stück in die Tasten, das lange Zeit als unspielbar galt, „Islamey" von Mily Balakirev. Das Publikum tobt danach vor Begeisterung.
Tags darauf, bei „Daniel Hopes Orchestergala", steht die Neubrandenburger Philharmonie unter der temperamentvollen Leitung von Daniel Geiss in der Nordperdhalle von Göhren auf der großen Bühne und begleitet Maxim Lando bei Gershwins „Rhapsody in Blue". An den Pulten sind Bänder in blau-gelb befestigt, den Farben der ukrainischen Flagge. Die Darbietung wird ein Volltreffer, diesmal für den jungen Ausnahmekönner und das fitte Orchester. Doch diesem „Reißer" schließt sich noch etwas unbedingt Notwendiges an: Hope und Lando spielen die „Melody" von Miroslav Skoryk, einem vor zwei Jahren verstorbenen, hochgeschätzten ukrainischen Komponisten. Beide sind jetzt ganz ernst. Der Klang von Hopes Violine, einer Guarneri des Gesù von 1742, und Landos gefühlvolles Klavierspiel rührt zu Tränen. Draußen wird Geld für die Ukraine gesammelt.
Auch beim Festspielsommer Mecklenburg-Vorpommern 2022 wird Daniel Hope bei einigen Konzerten mitwirken. Das Festival wird am 18. Juni mit einem Konzert in der Konzertkirche in Neubrandenburg eröffnet – mit dem diesjährigen Preisträger in Residence, dem Violinisten Emmanuel Tjeknavorian.