Seit 18 Jahren und über 250 Sendungen schwadroniert Olli Dittrich in der Grimmepreis-gekrönten TV-Serie „Dittsche – Das wirklich wahre Leben" über Gott und die Welt. Nun geht der Schauspieler, Komiker und Musiker aus Offenbach am Main als Dittsche im Bademantel und in Schumiletten auf große Solotour.
Herr Dittrich, Sie gelten als Meister der Improvisation. Wie gut funktioniert bei Ihnen das Improvisieren als Dittsche allein auf der Bühne?
Grundsätzlich funktioniert die Umsetzung eines Gedankens, der im Augenblick auf der Bühne entsteht, auch da. Wo es Platz gibt, das Überraschungsmoment sich anbietet und das Publikum mitgeht, kann es bei mir auch schon mal etwas ausufern. Das überlasse ich grundsätzlich der Situation und einem inspirierten Moment, lege es aber nicht drauf an. Gangart und Herangehensweise sind schon ein bisschen anders, wenn ich allein vor dem Publikum stehe. In dem 30-minütigen Kammerspiel im TV-Imbiss habe ich ja einen Counterpart – der im Übrigen von nichts weiß. In der TV-Sendung bin ich der einzige, der Themenblöcke vorbereitet, weil die an Tages- oder Wochenaktualität anknüpfen.
Und wie läuft es dann ab?
Eine Basis der Improvisation ist, zunächst einmal aufeinander zu hören und aus dem, was im Augenblick entsteht, etwas zu machen. Den Ball entgegenzunehmen und wieder ins Feld zurückzuspielen. Das ist vielfach begleitet von Momenten, mit denen ich nicht im Entferntesten gerechnet habe. Ich benötige immer meine Themen als Basis. Aber ich muss in jeder Sekunde bereit sein, den Weg zu verlassen. Da gibt es kein Halteseil.
Dittsche hat ja als Hörspielfigur begonnen. Auf welche Weise haben Sie ihn entwickelt?
Dittsche gibt es seit Ende der 80er-Jahre als Figur. In der Zeit habe ich zu Hause mit einem Vierspur-Kassettenrekorder eigene Songs aufgenommen und angefangen, mit Stimmen zu experimentieren. Diese kurzen Takes habe ich gemastert und auf meinem Anrufbeantworter platziert, mit wöchentlich wechselndem Programm. Mit der Zeit erfreute sich das riesiger Beliebtheit, und irgendwann entstand dieser Hamburger Charakter. Und so ging das los mit Dittsche als Hörspiel. 1991 war Dittsche, wie wir ihn heute kennen, zum ersten Mal sichtbar. Auch schon mit der Jogginghose und dem Bademantel, der bis heute derselbe ist. Schon damals hatten meine Geschichten Impro-Anteile.
Aus diesen kleinen improvisierten Schnipseln ist mit der Zeit ein eigenständiges innovatives Format geworden. Worauf kommt es an, wenn Sie solo auf der Bühne stehen?
Wenn ich über zwei Stunden auf der Bühne stehe, mäandert das von A nach B nach C, aber ich muss das Spiel ganz anders machen als im Imbiss. Nicht nur, weil das Programm viel länger ist, sondern weil es auch in den einzelnen Kapiteln eine Dramaturgie und einen Verlauf haben muss. Da kann man nicht einfach ins Schwadronieren geraten und mal schauen, wohin es führt – was im Übrigen auch nicht den klassischen Impro-Grundregeln entspricht. Aber sobald die Leute sich „muggelig" fühlen und freudig seinen teilweise absurden Stories folgen, kann Dittsche auch schon mal ein bisschen weiter nach rechts und links abschweifen. Es muss halt aus dem Moment heraus stimmig sein und insgesamt eine absolute Präsenz behalten bis zum Schluss. Dittsche erzählt ja keine Gags im eigentlichen Sinne, er erzählt Geschichten mit einer klaren Struktur, die nicht verwässert werden dürfen.
Viel ist gesprochen worden über die gesellschaftspolitischen Folgen der Corona-Pandemie. Welche Auswirkungen hatte diese Krise auf Dittsche persönlich? Hat sie ihn verändert?
Dittsche hat sich mit Corona relativ patent auseinandergesetzt und trägt in diesen Zeiten natürlich auch eine Maske, allerdings verifiziert. Da hat er sogar zusätzliche Erfindungen gemacht, die auf den ersten Blick wirklich verblüffend sind. Er triumphiert dann immer: „Bidde – es funktionuggelt". Er hat auch Ideen, wie man auf natürliche Weise sein eigenes Immunsystem schützt. Für fast alles, was uns das Alltagsleben schwer macht, hat er erst mal eine Lösung parat, geht da mutig nach vorn und reißt erst mal die Klappe auf. Grundsätzlich ist er aber ein durchaus ängstlicher Mensch, der nach dem Motto lebt: Je tiefer ich in den Wald gehe, desto lauter pfeife ich. Aber Dittsche ist hilfsbereit und sich für nichts zu schade. In Corona-Lockdown-Zeiten hat er natürlich auch Ingo tatkräftig im Imbiss geholfen, als der geschlossen war und Ingo nur außer Haus verkaufen durfte.
Wäre vieles für ihn leichter, wenn er nicht mehr in der Großstadt lebte?
Das kann ich mir nicht vorstellen, Dittsche ist ja durch und durch Hamburger und hat da seinen Kiez. Er kommt kaum über die Elbbrücken hinaus, nur in jungen Jahren vielleicht, als er in Harburg eine Ausbildung zum Wassertechniker absolviert hat. Manchmal fährt er am Wochenende mit der U-Bahn zur Kleingartenparzelle seines Freundes Giovanni in Langenhorn und hilft ihm da im Garten. Aber das ist für ihn schon eine weite Reise, und er macht das auch nur, wenn Giovanni ihn mit seinem VW Scirocco abends zurück nach Eimsbüttel bringt.
Dittsche ist Deutschlands bekanntester Arbeitsloser. Sind Sie auf diese Figur gekommen, als Sie selbst ohne Arbeit waren?
Die Idee zu der Figur ist Ende der 1980er-Jahre als eine Art heiterer Beschäftigungstherapie entstanden, weil es bei mir mit der Musik nicht weiterging. Vor Augen hatte ich Dittsche bereits viele Jahre vorher, als ich tatsächlich mal jemanden im Bademantel auf der Straße gesehen hatte und nie geahnt hätte, so etwas wie heute mal zu machen. Es war im Sommer, als ich in der Halbzeitpause eines Länderspiels für meinen WG-Kumpel Atze und mich draußen Eis holte. Vor mir in der Schlange stand ein Mann im Bademantel. Als der dran war, sagte er zu dem Verkäufer: „Einmal Straziella bidde!" Mich haben schon als Kind die besonders skurrilen Figuren interessiert, Leute die Dialekt sprachen, ihre Jacke falsch zugeknöpft hatten oder ihr Fahrrad irgendwie komisch schoben.
Gibt es überall komische Situationen?
Die größte Komik liegt doch in dem, was wir alle alltäglich erleben, finde ich. Viele, die nach außen den ganz großen Hecht geben, sind in Wahrheit kleine arme Würste, erst recht, wenn sie mit sich alleine sind. Loriot hat mal gesagt, besonders lustig wird es immer dann, wenn etwas Ernstes schiefgeht. In meiner Lehrzeit als Kunsthandwerker hatte ich immer mit Leuten zu tun, die körperlich schuften. Die waren mir immer nahe, besonders was ihren Schnack angeht. Ich habe im Hamburger Jenischpark auch mal ein paar Wochen den Gärtnern geholfen. Beete umgraben, Sträucher beschneiden und derlei Arbeit. Acht Stunden draußen. Mit Gummistiefeln, Schaufel und Schubkarre. Was diese Typen da so vom Stapel gelassen haben – unglaublich.
Ist Dittsche einverstanden mit den Corona-Verordnungen?
Ach, er hadert natürlich auch, lässt sich aber für manches Problem im alltäglichen Umgang etwas einfallen. Dann sagt er zum Beispiel zu seinem Nachbarn Herrn Karger: „Es gibt doch Möglichkeiten" und kommt mit irgendeinem Wahnsinn um die Ecke. Dittsche hat es zum Beispiel auch sehr mit Tieren. Da bleibt er natürlich an Meldungen hängen wie dieser wirklich sonderbaren Ausgehverbots-Verordnung für Tiere, die es in Lockdown-Zeiten tatsächlich gab. Wenn ich so etwas lese, ist das eine Steilvorlage für Dittsche. Oder wenn er liest, dass Reiner Haselhoff die Schuhe von Ex-Kanzlerin Angela Merkel unbedingt haben will. Fürs Schuhmuseum in Sachsen-Anhalt. Da macht sich Dittsche sofort Gedanken: „Was will denn der mit diesen ausgetretenen Mauken?" Und schon geht die Reise los und er grübelt und grübelt, kommt von Hölzchen auf Stöckchen, bis er eine Erklärung hat. Aber ich will da jetzt auch nicht zu viel verraten.
Gerade in schlechten Zeiten sehnen sich die Menschen ja nach Schönheit und ziehen sich modisch an. Auch Dittsche?
Dittsche hat vielleicht zwei, drei Hemden und ein paar Pullover im Kleiderschrank. Vielleicht noch einen älteren Wintermantel, wenn es mal ganz kalt wird. Aber er geht im Winter eigentlich auch immer im Bademantel raus, der ist ja muggelig. Den verehrt er, er gibt ihm Schutz und Identität. Das Original stammt übrigens vom Vater meines damaligen WG-Kumpels Karsten Peters, hing aber bei ihm im Schrank. Der Bademantel war bis heute bei allen Dittsche-Sendungen, zahlreichen Bühnenauftritten und Tourneen mit dabei. Hinten ist der Mantel am Kragen schon ganz morsch und wurde schon zigfach vorsichtig geflickt. Wenn die Figur Dittsche tatsächlich eines Tages abgelegt sein sollte, wird mein erster Weg ins Filmmuseum am Potsdamer Platz führen, mit dem Wunsch an die dortige Leitung, für die Figur inklusive Original-Kostüm ein Eckchen zu finden. Ich war mal dort, zur Eröffnung der ersten großen Loriot-Ausstellung. Das war sehr beeindruckend.
Haben Sie mit Loriot über die Figur Dittsche gesprochen?
Ja klar, aber auch über viele andere Arbeiten. Loriot hat nicht mit Kritik gespart. Aber immer positiv, motivierend, nie besserwisserisch. Wir haben uns gelegentlich ausgetauscht, eine wirklich große Ehre und Freude, ihn gekannt zu haben. Uns hat auch die Musik, die Malerei, generell die Bildende Kunst verbunden. Und er hat später, 2011, das Vorwort für meine Autobiografie „Das wirklich wahre Leben" geschrieben. Die Worte, die er da gefunden hat, bedeuten mir mehr als alle meine Preise und Auszeichnungen.
Was kann man von Loriot lernen?
Genauigkeit. Hingabe. Fleiß. Disziplin. Sich seines eigenen Stils bewusst zu werden und letztendlich alles dafür zu tun, seine Kunst zu schützen. Und dass man einen Plan haben muss mit dem, was man tut. Wobei wir uns erstmals begegnet sind zu einem Zeitpunkt, an dem ich schon ein paar Tage auf dem Buckel und sich bei mir eine gewisse künstlerische Identität schon ausgeprägt hatte. Bevor es bei mir mit „Samstag Nacht" losging, hatte ich ja schon viel ausprobiert – und auch viel Mist fabriziert. Selbst in den erfolgreichen ersten Jahren ist allerhand dabei, bei dem ich heute rot werde und mich schäme, wenn ich es sehe. Aber zu der Zeit war es für alle frisch und neu und so betrachtet sicherlich okay.
Wie findet man als Künstler zu seinem eigenen Stil?
Ich glaube, dass sich das automatisch ausprägt, je länger man als Künstler tätig ist. In frühen Tagen eifert man sicher eher anderen, die man bewundert, nach, übernimmt erst mal deren Stil. Ich stand schon als Kind vorm Radio, habe die NDR-Schlagerparade gehört und Lieder von Udo Jürgens lippensynchron mitgesungen, eine Verlängerungsschnur war mein Mikrokabel, der Stecker mein Mikrofon.
Lange Zeit fragten Sie erfolglos bei verschiedenen TV-Anstalten an, ob sie eine Dittsche-Sendung produzieren wollten. Wie haben Sie sich beim Fernsehen beworben?
Mit „Olli, Tiere, Sensationen" lief von März 2000 bis Mai 2001 meine erste eigene Reihe im ZDF. Darin bin ich in unterschiedlichen Figuren aufgetreten, eine Episodenparade war das. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Idee, die Bühnenfigur Dittsche als Element in einer kleinen Reihe dabeizuhaben und den Imbiss aus Dittsches Erzählungen zum echten Leben zu erwecken. Mir war sofort klar, dass mein Freund Jon Flemming Olsen den Wirt Ingo spielen muss. Es gab von Anfang an keinen besseren. Wir haben dann zwei Stunden lang improvisiert, und es hatte sofort etwas. Diese Schwarzweiß-Clips bekamen in dem bunten Reigen mehr Aufmerksamkeit als zum Beispiel die Parodien von Michael Schumacher, Westernhagen oder Mooshammer. Durch die Impro, aber auch durch die ungewöhnliche Machart, das Ganze mit Überwachungskameras umzusetzen, hatte es einen ganz eigenen Stil, eine ungewöhnliche Bildsprache. „Dittsche" zu spielen war immer schon leicht und mühelos. Daraus ist dann die Idee entstanden, man könnte doch einmal die Woche eine 30-minütige Live-Sendung machen, die sich im freien Fall mit den aktuellen Themen der Woche beschäftigt. Ich habe dann selbst eine Pilotsendung produziert, die haben wir zwei Jahre lang allen möglichen Sendern angeboten.
Warum wurde er abgelehnt?
Ich weiß es gar nicht mehr so genau. Mit der Figur konnte halt erst mal keiner etwas anfangen. Auch dem Konzept, so etwas mit Überwachungskameras umzusetzen, stand man äußerst skeptisch gegenüber. „Das versteht der Zuschauer nicht" war ein Satz, den ich häufig gehört habe. Zum Glück kam dann Axel Beyer, gebürtiger Hamburger, zurück zum WDR und wurde Unterhaltungschef. Ihm, Uli Deppendorf und Fritz Pleitgen, die allesamt große Dittsche-Fans wurden, habe ich es zu verdanken, dass das Format ein Zuhause finden konnte.
Dass eine Fernsehfigur vom zuständigen Sender mit einem Fan-Forum im Internet geadelt wird, sagt viel über die Bedeutung dieser Persönlichkeit. Haben Sie das Gefühl, dass „Dittsche" eines Tages auserzählt sein könnte?
Nein, zumindest jetzt noch lange nicht. Dittsche ist volksnah und bei allem gelegentlichen Irrwitz ein Sprachrohr des alltäglichen Geschehens. Man kann ihm beim Älterwerden zusehen und dem Hadern mit den Tücken des Lebens. Er hat das Herz am rechten Fleck, wirkt manchmal etwas altmodisch, eher analog als digital, aber: Er agiert immer am Puls der Zeit. „Dittsche" ist erst dann auserzählt, wenn mir durch seine Brille betrachtet nichts mehr einfällt. Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Bidde.