Eine Begegnung mit Berggorillas gehört zu den Höhepunkten einer Reise nach Ruanda. Doch das kleine ostafrikanische Land hat viel mehr zu bieten: eine quirlige Hauptstadt, eindrucksvolle Nationalparks, Seen und Teefelder bis zum Horizont.
Unzählige Mangos, Bananen, Tomaten und Zwiebeln türmen sich auf den Tischen. Dazwischen gibt es kunstvoll gebundene Körbe, Haushaltsgeräte aller Art bis hin zu Toilettenpapier. Eile sucht man hier vergeblich. Es ist Markt in Kigali, und ein Schwätzchen hier und da gehört einfach dazu. Vieles, was in Einkaufskörben landet, wird anschließend auf dem Kopf nach Hause getragen, ganz gleich ob aufeinander gestapelte Eierkartons oder Wassermelonen. „Der Markt ist auch hier ein beliebter Treffpunkt", sagt Maurice Twahirwa, der uns durch Ruanda begleitet.
Draußen warten junge Männer mit ihren Motorrädern auf Kundschaft. Es sind die Taxis Kigalis, die Bewohner wie Besucher bei dichtem Verkehr schnell ans Ziel bringen. Moderne Hochhäuser, Hotels, kleine Buden, Getränkeshops und Milchbars säumen die Straßen im Zentrum. Freie Flächen dazwischen geben immer wieder den Blick auf die hügelige Stadt und die grüne Umgebung frei. Die Straßen sind asphaltiert, Müll und Slums gibt es nicht. „Ruandas Natur ist einzigartig, wir schützen sie nicht nur in Nationalparks, sondern legen auch sonst großen Wert auf Umweltschutz", berichtet Maurice. Durch ein 2005 erlassenes Gesetz und eine neu geschaffene Umweltbehörde ist Ruanda in Sachen Umweltschutz ein Vorreiter in Afrika. Kigali gilt als eine der saubersten Städte des Kontinents. Der Müll wird getrennt, wer illegal Müll entsorgt, muss Strafe zahlen, Plastiktüten sind verboten.
Nicht nur die Hauptstadt erstreckt sich über mehrere Hügel – im ganzen Land geht es immer wieder rauf und runter. Im Land der tausend Hügel prägen auch majestätische Vulkane, große Seen, immergrüne Regenwälder, Tee- und Kaffeeplantagen und weite Savannen die Landschaft. Ruanda ist mit knapp 13 Millionen Einwohnern etwa so groß wie Mecklenburg-Vorpommern. Es grenzt im Norden an Uganda, im Osten an Tansania, im Süden an Burundi und im Westen an die Demokratische Republik Kongo.
Ruandas saftige Natur und drei Nationalparks bieten für Abenteurer und Wanderer eine Menge Highlights. Obwohl das Land in Äquatornähe liegt, sind die Temperaturen wegen der Höhenlage eher mild und liegen je nach Ort etwa zwischen 15 und 25 Grad. Ruanda ist nicht nur sauber und sicher, sondern inzwischen auch ein beliebtes Reiseziel. Doch die meisten Urlauber bleiben nur kurz wegen der Gorilla-Trekkings. Die Tourismusstrategie der Regierung setzt auf ein zahlungskräftiges Publikum, für das mehrere Luxushotels gebaut wurden. Auch für den Besuch der Gorillas müssen Reisende tief in die Tasche greifen, rund 750 Dollar kostet das Ticket. Zehn Prozent der Einnahmen werden in Schulen und die Gesundheitsversorgung investiert.
Elefanten und Zebras ganz nah
Wir verlassen die Hauptstadt, fahren durch die hügelige Landschaft an Feldern und kleinen Dörfern vorbei. Langsam eröffnen sich im Nordosten weite Ebenen und eine grüne von Sümpfen durchzogene Savanne. Mit dem Jeep geht es tief hinein in den nach dem gleichnamigen Fluss benannten Akagera-Nationalpark. „Struppige Akazien, riesige kaktusähnliche Bäume, saftige Wiesen, Tümpel und Seen machen Akagera zu einer der landschaftlich schönsten Savannen Ostafrikas", erklärt unser Guide Alphonse Ntabana. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Immer wieder trennen uns nur wenige Meter von Elefanten, Büffeln, Zebras, verschiedenen Antilopen und Giraffen. Am Ufer des Ihema-Sees steht ein kleines Boot bereit. „Was für eine Landschaft, auch vom Wasser aus einfach faszinierend", sagt Iris Köpke aus Hamburg. Im Wasser dümpelnde Hippos schauen uns nach. Ihr lautes Schnaufen wird uns bis in den Schlaf begleiten.
Am nächsten Morgen ruft Alphonse: „Ihr habt Glück, Löwen sind ganz in der Nähe. Schnell, macht euch fertig". Wir springen in einen kleinen Jeep und fahren querfeldein durch die Landschaft. „Dahinten sind sie", sagt unser Guide, der in der Gegend aufgewachsen ist. Auf einer kleinen Lichtung haben es sich zwei stolze Löwinnen mit ihrem verspielten Nachwuchs im Gras bequem gemacht.
Südwestlich von Kigali werfen wir im „King’s Palace Museum" in Nyanza einen Blick in die Geschichte. Hier steht der 1931 für König Mutara III. Rudahigwa errichtete Palast und wirkt, als hätte er ihn gerade verlassen. Neben dem europäisch geprägten Bau sind es die Nachbauten der runden traditionellen Palast- und Nebengebäude, die von vergangenen Zeiten erzählen. Vor allem die Kühe, genannt Inyambo, ziehen mit ihren langen Hörnern die Aufmerksamkeit auf sich. Noch heute weiden sie auf den grünen Hügeln des Landes. Die Kühe sind untrennbar mit der Geschichte des einst stolzen Königreiches verbunden. „Die langen Hörner erinnern an die Bewegung und die Schönheit der Arme bei traditionellen Tänzen", berichtet der Rinderzüchter Rutinywa Rugero. Laut Legenden seien die Inyambo vom Himmel gefallen, aus dem See gekommen oder von der Tochter des Königs im Wald gefunden worden.
Alles führe auf Imana zurück, den Gott und Schöpfer Ruandas und seiner Menschen. Nach Überlieferungen habe der König Gihanga Ruanda im 11. Jahrhundert gegründet. Seit dem 16. Jahrhundert erobert die Dynastie der Banyinga, die aus den viehzüchtenden Tutsi hervorgingen, das Land. Deren Nachfolger führten an die 50 kleinen Königreiche zu einem zentralistischen Staat zusammen. Die Kühe, die sie wegen ihrer Milch hielten, niemals wegen ihres Fleisches, galten stets als Statussymbol.
Der letzte intakte Bergnebelwald
Ruanda gehört zu den letzten Ländern, die kolonialisiert wurden: ab 1885 von den Deutschen, ab 1925 von den Belgiern. Die neue Kolonialherrschaft legte bereits 1931 das Fundament späterer ethnischer Konflikte. Die Belgier sorgten für eine Einteilung der Volksgruppen: Alle Bewohner mit einem bis zu zehn Rindern waren Hutu, alle mit über zehn Tutsi. Die Zugehörigkeit wurde auf Pässen vermerkt. Nach der Absetzung des Königs und den Wahlen 1960 sympathisierte die belgische Regierung mit der Partei der Hutu und ließ die lange Zeit für sie wichtige Führungselite der Tutsi links liegen. Ein Jahr später wurde Ruanda unabhängig. Immer wieder kam es zu Unruhen, bei denen Tausende Tutsis ermordet wurden und viele in die Nachbarländer flüchteten.
Über Jahrzehnte wuchs die ethnisch motivierte Gewalt, bis sie 1994 im Völkermord an den Tutsi gipfelte, bei dem über eine Millionen Menschen umkamen. Das Genocide Memorial in Kigali erinnert an das dunkle Kapitel des Landes. „Fast jede Familie war von den schrecklichen Ereignissen betroffen, aber heute redet niemand mehr von Hutus und Tutsis, heute sind wir alle Ruander", erklärt Maurice Twahirwa. Wenige Kilometer weiter steht das „Hôtel des Mille Collines", das während des Völkermords mehr als 1.000 Tutsi Zuflucht gewährte und mit dem Film „Hotel Ruanda" Zuschauer weltweit bewegte. Heute können Touristen dort einchecken.
Staatspräsident Paul Kagame hat vor 27 Jahren mit seiner Rebellenarmee den Genozid beendet. Seitdem steht er für Stabilität, weniger Korruption und mehr Wirtschaftswachstum. Allerdings regiert er autokratisch, Opposition und kritische Presse sind unerwünscht. Immerhin sorgt der harte Kurs dafür, dass alle Kinder unter 18 Jahren in die Schule gehen und fast jeder Ruander eine grundlegende Gesundheitsversorgung hat.
Paradies für Vögel und Schimpansen
Wir fahren weiter in Richtung Süden über das Hochland und genießen die Aussichten über die Wälder auf den Kivusee und entdecken im Nyungwe Forest Nationalpark eine völlig neue Landschaft. Es ist der letzte noch intakte Bergnebelwald und der größte geschützte und artenreichste Regenwald in Afrika. Auf einer Höhe von 1.600 bis knapp 3.000 Metern ist es ein Paradies für Hunderte von Vogelarten, verschiedene Affenarten, darunter auch Schimpansen. Von erfahrenen Rangern begleitet wandern wir vorbei an riesigen Farnen, Sträuchern, Mahagonibäumen und wilden Orchideen. „Gleich kommt der Höhepunkt und mein Lieblingsort", freut sich Maurice. Wir winden uns durch die üppige Natur und stehen plötzlich vor einer riesigen Hängebrücke aus Metall. „Ich schwebe über dem Regenwald, es ist fantastisch", sagt Tine Karow aus Hamburg. Vorsichtig setzen wir einen Fuß vor den anderen und überlegen in der Mitte, wo es besonders wackelig wird, ob wir nicht doch lieber umkehren sollten. Doch die Abenteuerlust siegt. „Diese Aussicht ist einfach magisch", sagt Maurice. Der Nyungwe Canopy Walkway ist mehr als 160 Meter lang und verläuft über drei Brücken auf einer Höhe von 70 Metern über den Gipfeln der Bäume.
Im Regenwald gebe es kein Durchkommen, wenn unsere Guides nicht immer wieder den Weg freimachen würden. Plötzlich bleibt einer von ihnen stehen. „Hört, die Rufe, das sind Schimpansen", sagt er leise. Und tatsächlich, weiter unten schwingen sich die Affen von Baum zu Baum. Sie sind so schnell, dass wir mit unseren Kameras kaum hinterherkommen.
Der Weg zurück ist nicht weniger abenteuerlich, fast senkrecht geht es nach oben. „Bin ich froh, dass wir die Ranger haben, ohne ihre Hilfe wäre ich hier nie hochgekommen", sagt Iris und greift zu ihrer Wasserflasche.
Über eine steinige Sandpiste erreichen wir im Schritttempo durchgeschüttelt den Kivusee. Groß wie ein Meer liegt er vor uns, mit kleinen Inseln, Fischerbooten und einem Sandstrand. „Ich brauche jetzt ein kaltes Bananenbier", sagt Tine und setzt sich mit dem beliebten landestypischen Getränk Urwawa zum Sonnenuntergang auf die Terrasse unsers Hotels.
„Diese Buckelpiste tun wir uns nicht nochmal an", sagt Maurice am nächsten Morgen. Bei schönstem Sonnenschein steigen wir stattdessen ins Boot. Mitten durch den See, der etwa zehnmal so groß ist wie der Bodensee, verläuft die Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. Zahlreiche Barsch- und Karpfenarten leben hier. Heute werden jährlich bis zu 4.000 Tonnen Fisch gefangen.
Unser nächstes Ziel ist der Vulkan-Nationalpark. Am Straßenrand tragen die Leute ganze Bananenstauden auf dem Kopf, andere schieben voll bepackte Fahrräder, an kleinen Ständen werden Karotten und Fisch verkauft und die farbigen, kunstvoll bedruckten Kleider der Frauen sind dabei immer ein Hingucker.
Zugang zu Gorillas streng geregelt
In Richtung Norden kommen wir an Teefeldern, einem der wichtigsten Exportgüter Ruandas, und Kaffeeplantagen vorbei. Langsam tauchen am Horizont die Virunga-Vulkane auf. Mit rund 4.500 Metern ist der Karisimbi der höchste. Der Nationalpark wurde 1925 als erster des Landes gegründet und verläuft auf der Höhe von 2.400 Metern bis zum höchsten Gipfel. Dicht bewachsener Regenwald prägt diese besondere regenreiche Gegend, an der kein Ruanda-Reisender vorbeikommt: Hier leben die berühmten Berggorillas. „Als ich die wilden und verlassenen Berge betrachtete, fühlte ich mich wie das glücklichste Wesen der Welt", so die Gorilla-Forscherin Dian Fossey, die die Gorillas bekannt machte und sich für ihren Schutz einsetzte. Sie wollte gemeinsam mit wilden Tieren in einer Welt leben, die von den Menschen noch nicht zerstört wurde. Abgesehen von den Wilderern, die die Gorillas töteten, um ihre Hände als Aschenbecher oder die Köpfe als teure Jagdtrophäe zu verkaufen. Die Amerikanerin wurde durch den Bestseller und Kultfilm „Gorillas im Nebel" berühmt. Stundenlang beobachtete sie die Menschenaffen, lernte ihre Bewegungen und Laute und wurde von ihnen akzeptiert. Sie kam den Gorillas so nah wie kein Wissenschaftler zuvor und eröffnete einen völlig neuen Blick. Der familiäre Zusammenhalt, der freundliche Umgang untereinander und ehrwürdige Silberrücken, die liebevoll mit ihren Jungen spielen, demontierten den Mythos um King Kong.
Um zu den Gorillas zu kommen, treffen wir am Eingang den Ranger Edward Bahizi, der seit über 20 Jahren im Nationalpark arbeitet. Der Zugang ist streng reglementiert. Täglich dürfen nur knapp 100 Besucher in kleinen Gruppen für eine Stunde zu den Gorillas. Von 20 Familien können acht an Menschen gewöhnte besucht werden. „Gestern waren sie ziemlich weit unten, da war der Weg nicht weit", sagt unser Guide. Aber das sei jeden Tag anders.
Gorillas wirken „so menschlich"
In festen Schuhen, langen Hosen und mit Gartenhandschuhen ausgestattet, laufen wir los. Nach wenigen Schritten wird der Wald immer dichter. Bahizi bahnt sich mit einer Machete den Weg durch das Gestrüpp. Mit geübten Bewegungen zerschneidet er meterhohe Sträucher und Brennnesseln. Die Luft ist feucht und kühl. Wir halten uns an herabhängenden Ästen fest, um nicht auf dem feuchten Boden auszurutschen. Etwa drei Stunden geht es steil bergauf. Plötzlich geht Edward langsamer. Ein paar Meter vor uns ist im Unterholz ein Knacken zu hören. Wir halten den Atem an. Kurz darauf läuft ein Gorilla an uns vorbei. Auf einer kleinen Lichtung hat sich eine ganze Familie niedergelassen. Ein Weibchen schiebt sein Junges mit den menschenähnlichen Fingern auf seinen Rücken und stillt kurz darauf den jüngsten Nachwuchs. Der große Silberrücken hat seine Brut stets mit sanften Augen im Blick. Dass Guhonda als Anführer in der Gruppe das Sagen hat, ist nicht zu übersehen: Er ist über 30 Jahre alt, zwei Meter groß und über 200 Kilogramm schwer. Mit ihrem strubbeligen schwarzen Fell tollen die Kleinen im Gras umher, kratzen sich, wie wir es tun und blicken uns mit ihren großen dunklen Augen an. „Sie sind so menschlich, ich könnte ihnen stundenlang zusehen", sagt Iris Köpke gerührt. Die Berggorillas in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben ist für uns alle ein unvergessliches Erlebnis.
Unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Wir fahren zurück nach Kigali, voller Erinnerungen an die Begegnung mit den herzlichen Menschen, die unfassbar schöne Landschaft und die wunderbaren Erlebnisse. Von der Terrasse unserer Pension blicken wir in den Nachthimmel und über die erleuchteten Hügel Kigalis. Zeit für ein letztes Bananenbier in Ruanda.