Der SC Freiburg ist auf dem besten Weg, das erfolgreichste Jahr seiner Vereinsgeschichte zu spielen. Das Team belegt einen internationalen Startplatz in der Bundesliga und fährt zum DFB-Pokalfinale nach Berlin. Einen Ausverkauf der Erfolgsmannschaft befürchtet Christian Streich nicht.
Selten lassen sich Cheftrainer Christian Streich und Sportvorstand Jochen Saier zu großen Jubelgesten hinreißen – im ausverkauften Hamburger Volksparkstadion ließen aber auch sie ihren Emotionen freien Lauf. Der sonst eher ruhige Saier lässt diesmal alles aus sich heraus, herzt sich zunächst innig mit Streich und Sportdirektor Clemens Hartenbach, ehe auch er in die Kurve eilt und alle Spieler umarmt, die seinen Weg kreuzen. Alles, was aus Freiburg kam, feierte den 3:1-Erfolg beim HSV und den damit verbundenen Einzug ins DFB-Pokalfinale in Berlin in unglaublich schöner Art und Weise. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte fährt Freiburg zum Endspiel: „Es war ein besonderer Moment, ein besonderer Abend", so Jochen Saier im Gespräch mit den Kollegen von SWR Sport. „Die ganze Anspannung hat sich entladen. Und natürlich haben wir auch noch danach im Hotel gefeiert, aber alles in einer gesunden Dosis. Schließlich haben wir in der Bundesliga neben dem außergewöhnlichen Erfolg im Pokal noch Aufgaben vor der Brust." Für Saier ein schönes vorgezogenes Geburtstagsgeschenk, einen Tag nach dem Triumph feierte er seinen 44. Geburtstag. „Es gab Glückwünsche zum Geburtstag und zum Einzug ins Pokalfinale. In der Dopplung und der Kombination war es dann doch mehr als sonst", so Saier über die Feierlichkeiten von Hamburg gegenüber SWR Sport.
„Die ganze Anspannung hat sich entladen"
Fußballdeutschland überschüttete die Freiburger danach mit Wertschätzung und Glückwünschen. „Das ist etwas ganz Besonderes für die Stadt und den Verein", so Jochen Saier. „Der Einzug ins Pokalfinale, das war ein einmaliges Erlebnis, ein einmaliger Erfolg. In einem wunderbaren Rahmen in dieser tollen Stadt", sagt Saier schmunzelnd: „Und ich bin dann ehrlicherweise gleich noch zwei Tage länger dort geblieben." Saier ist seit nunmehr 20 Jahren beim SC Freiburg angestellt. 2003 wurde der gelernte Sportökonom Nachwuchskoordinator und Leiter der erfolgreichen Freiburger Fußballschule. Zehn Jahre später wird er kommissarischer Sportdirektor, ein Jahr darauf folgt die Beförderung in den Vorstand des SC. Seither haben zahlreiche Spieler den Sprung in die Bundesliga geschafft: Oliver Baumann, „Chicco" Höfler, Jonathan Schmid, Matthias Ginter, Christian Günter, Alexander Schwolow und Nico Schlotterbeck, um nur ein paar Spieler zu nennen. Wie es beim SC Freiburg üblich ist, kommt die nächste Generation schon nach. Zuletzt schnupperten auch Kevin Schade, Kiliann Sildillia, Yannik Keitel, Noah Weißhaupt und Nishan Burkart. Alle verbuchten schon Einsätze in dieser Saison.
Saier ist mit Streich und Clemens Hartenbach hauptverantwortlich für die rasante sportliche Aufwärtsentwicklung in den vergangenen Jahren. Jugendförderung wird im Breisgau gelebt, und die Früchte werden nun geerntet. Zudem bringt die Kontinuität dieser drei handelnden Personen mit sich, dass Spieler eine gewisse Sicherheit fühlen. Stichwort Langfristigkeit. Selbst wenn der SC in die 2. Liga absteigt, wie im Jahr 2015, gibt es keine plötzlichen Entscheidungen, die aus dem Affekt getroffen werden.
Sieben Jahre später zahlt sich das aus. Der vorläufige sportliche Höhepunkt ist erreicht, die Champions-League-Qualifikation ein realistisches Ziel und das DFB-Pokal-Finale die emotionale Krönung einer herausragenden Saison. „Das ist ein außergewöhnliches Jahr für uns", freut sich Jochen Saier über die aktuellen Erfolge, warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen, was die Zukunft angeht: „In der nächsten Saison wird alles wieder auf null gestellt, und wir müssen uns alles wieder hart erarbeiten." Dabei ist diese Saison noch nicht zu Ende: „Jetzt haben wir uns so lange Zeit da oben festgekrallt und festgebissen," sagt Saier, „und idealerweise wollen wir das jetzt bestätigen und uns den Traum erfüllen."
„Wir wachsen gerade über uns hinaus"
Wie kommt es, dass der SC trotz kleinerem Etat doch so erfolgreich oben mitmischt? Kontinuität und Langfristigkeit auf den wichtigen Positionen wurden bereits erwähnt. Christian Günter gibt Einblicke: „Die Mischung aus Ehrgeiz, Talent und Hunger ist extrem gut", sagt der Linksverteidiger. Jeder Mitspieler „von der Nummer 1 bis zur Nummer 99" gebe alles für den Erfolg der Mannschaft – und bringe den nötigen Erfolgshunger mit, „etwas Großes zu erreichen". Was das sein kann: Klar, der Pokalsieg oder eine Saison in der Champions League. „So wachsen wir gerade über uns hinaus", sagt Günter. „Wir sind eine abgewichste Mannschaft geworden und extrem stabil hinten drin", lobt Günter die drittbeste Defensive der Bundesliga. Da tut auch ein 3:3-Unentschieden gegen Mönchengladbach keinen Abbruch. Aber auch offensiv stechen die Trümpfe, zuletzt mit elf Treffern in vier Pflichtspielen. „Wir müssen uns vor keinem Gegner verstecken", betont der Ur-Freiburger. Das sieht auch Trainer Streich so. Er führt vor allem die große Erfahrung der Mannschaft ins Feld. Akteure wie Nils Petersen, Jonathan Schmid und Vincenzo Grifo, aber auch jüngere Spieler wie Maximilian Eggestein und Philipp Lienhart gehören seit Jahren zum Inventar der Liga. „Wir haben Erfahrung und viele junge Spieler aus der Fußballschule, die Qualität mitbringen", sagt Streich über den hausgemachten Zufluss von Talenten. Die Mischung macht‘s – und die scheint in dieser Saison nahe am Idealpunkt zu sein. Inklusive der Dinge, die kein Mensch steuern kann. „Natürlich" gibt Streich zu, „haben wir in dieser Saison auch das nötige Glück."
Und wie so oft wecken solche Leistungen auch anderweitig Begehrlichkeiten. Auch wenn es zum Geschäftsmodell der Freiburger gehört, Abgänge tun weh. Christian Streich macht sich diesen Sommer aber keine Gedanken über zu große personelle Veränderungen. Stattdessen rechnet der 56-jährige Erfolgstrainer mit dem Verbleib vieler Leistungsträger. „Die meisten haben Verträge und fühlen sich sehr wohl", sagte Streich. „Sie sind in einem sehr guten Verein, erfolgreich sind sie auch", fügte er hinzu, „da muss erst mal einer attraktiver sein." Verteidiger Nico Schlotterbeck hat mit seinem Wechsel zu Borussia Dortmund schon einmal Fakten geschaffen. Der 22-Jährige selbst hatte nach dem Freiburger 3:1-Sieg im DFB-Pokal-Halbfinale beim Hamburger SV zunächst betont, dass er erst nach der Saison eine Entscheidung über seine Zukunft treffen werde. Als potenzieller Nachfolger wird der derzeitge Gladbacher und Ex-Freiburger Matthias Ginter gehandelt. Weitere Abgänge kalkuliert Streich nicht ein. Viele Spieler wüssten zu schätzen, „dass sie in einer intakten Mannschaft und einem intakten Umfeld ihrem Beruf nachgehen können". Neben den finanziellen Aspekten sei für sie auch wichtig, dass sie sich wohlfühlen, so der Trainer der Badener.
Dadurch, dass Schlotterbeck den Verein verlässt, wird der SC zwar um geschätzt 25 Millionen reicher, für einen möglichen Champions-League-Teilnehmer wären das aber eher Peanuts.
Zudem wird die Liste der wertvollen Abgänge des Sportclubs um eine Personalie reicher. In den letzten Jahren verließen unter anderem Caglar Söyüncü, Maximilian Philipp, Luca Waldschmidt, Baptiste Santamaria und Robin Koch den Verein. Nur mit Eigengewächsen wird es dann nicht reichen. Das zeigt auch die Vergangenheit. In den Jahren 1994, 2002 und 2014 spielten die Freiburger international, kamen mit der Doppelbelastung nicht wirklich zurecht und mussten am Ende absteigen.
Aus der Vergangenheit werden die handelnden Personen gelernt haben, auch deshalb heben Saier und Streich jetzt schon mahnend den Finger. Es wäre der nächste Schritt, eine solche Saison zu bestätigen. Wenn es jemand schafft, dann der SC Freiburg. Wenn nicht, geht die Welt im Schwarzwald auch nicht unter.