Das „Charlotte & Fritz" im „Regent Berlin" ist nach Königen benannt, bietet aber in modern-elegantem Ambiente und unterm neuen Head Chef Daniel Müller höchst demokratisch Abwechslung zwischen Wohlfühl-Klassikern und neuzeitlichem Casual Dining.
Draußen auf der Charlottenstraße herrscht Verkehrschaos. Doch kaum ist die Drehtür zum „Regent Berlin" durchschritten, biege ich ab in eine andere Welt: Im Restaurant „Charlotte & Fritz" öffnet sich ein weitläufiger Salon mit klassizistisch anmutender Gestaltung. Ich fühle mich um 200 Jahre zurückversetzt, aber überhaupt nicht museal. Denn zwischen Porträts historischer Persönlichkeiten auf hellen Holzpanelen und roten Vorhängen blitzen höchst moderne Elemente auf. Die Freundin wartet auf einem grauen Clubsofa, über ihr ein indirektes rotes Lichtband. Ich nehme auf einem samtbezogenen Stuhl Platz, der an vergangene Epochen erinnert, aber jetztzeitiger Wuchshöhe und Bequemlichkeit entspricht. Ich blicke aus dem Fenster auf einen Parkautomaten und auf genau den Stau, den ich soeben verlassen habe. Ich bin schlagartig entspannt. Welt, du kannst mich für die nächsten Stunden gernhaben!
Mit äußerer Schönheit und beruhigender Atmosphäre sind die besten Bedingungen für entschleunigten Genuss gegeben. Außerdem sind die kulinarische Freundin, der Fotograf und ich gespannt auf den neuen Head Chef Daniel Müller, der zum 1. Oktober für die Küche im „Charlotte & Fritz", den Bankettbereich, Room Service, die „Regent Bar" sowie den Afternoon Tea im „Regent" übernahm. Ganz schön viel für ein sechsköpfiges Küchenteam – es grüßt der allseitige Mitarbeitermangel. Deshalb ist das Restaurant derzeit nur von Donnerstag bis Samstag sowie zum Family Lunch am Sonntag geöffnet.
Die Abendkarte bietet ein Vier-Gänge-Menü sowie eine À-la-carte-Auswahl. Es ist genügend Überraschendes dabei. „Ein ausgesprochen mutiger Einstieg in doppelter Hinsicht", meint die Freundin, als eine scharf getoppte Auster unversehens aus der Küche grüßt. Gurkenstückchen, Forellenkaviar und Jalapeño-Schaum machen ziemlich Tamtam. „Die ist ein richtiger Wachmacher, nicht wahr?", merkt Souschef Anton Root im Vorübergehen lachend an.
„Die Auster soll an eine Bloody Mary erinnern", erläutert Daniel Müller. „Wir versuchen gerade, uns neu zu erfinden." Ein Salat vom Kale, Wasserkresse und jungem Spinat mit Eiszapfen-Rübchen, gesäuertem Blumenkohl und Ringelbete weist die Richtung: „Ich möchte, dass wir im Menü-Baukasten hundertprozentig regional und nachhaltig werden", sagt Müller. „Fine. Farm. Food." lautet der passende Slogan auf der Website. Das Gemüse ist häufig selbst eingelegt und „wie von der Oma gemacht mit Weißwein und vielen Gewürzen gesäuert".
Gepickelter Blumenkohl, Radieschen, Karotten und hausgemachte Gewürzgurken spielen auch beim „Family Lunch" eine tragende Rolle. „Immer wieder sonntags" von 12 bis 16 Uhr werden seit Anfang Mai Braten und Geflügel, Fisch und Vegetarisches zum Teilen im größeren Kreise aufgetischt. Bei unserem Bärlauchrisotto mit abgeflämmtem Langustino und Tomatenschaum am Abend sind wir derzeit beim Reis noch auf der italienischen und beim Meeresgetier auf der internationalen Seite. Nationaler oder regionaler Ersatz war noch nicht oder nicht in den benötigten Mengen zu finden.
Höchstpunktzahl in allen Gängen
Nadelöhr sind zurzeit Produzenten und Händler, die in diesem Jahr erst einmal vorsichtig wieder Anbau, Zucht oder Orders hochfahren. Gibt es regionale Lieferanten, werden sie gern genannt. Der Stör-Kaviar auf dem Bärlauchrisotto stammt etwa von „25 Teiche" aus dem brandenburgischen Gräben. „Ich gebe dem Risotto meine twelve points!", seufzt der vom Eurovision Song Contest inspirierte Fotograf. Zwölf Punkte auch von mir: Ich möchte am liebsten in den angeknofelten und maiengrünen Schlotz einsinken. Die Langustino-Stückchen ergänzen mürbe mit meeriger leichter Süße, der Tomatenschaum kickt mit Umami.
„Und danach ein Petersiliensorbet zum Abkühlen", kündigt Anton Root beim Eintreffen von drei grünen Nocken auf weißen Tellern an. Zwölf Punkte außer der Reihe: Das Sorbet ist cremig, leicht süß und ausdrücklich petersilig, ganz ohne in die Nähe eines Taboulé-Salates zu geraten. Erwähnte ich, dass ich eine große Freundin von Gemüse-Eis und -Desserts bin?
Die begleitende Freundin wiederum gibt zunächst einmal bei der Flugentenleber-Terrine mit Pariser Brioche, Morcheln, Wildkräutern und leicht marzipanigen Amarenakirschen ihre Höchstwertung. „Das ist so herzerwärmend französisch!" Der Chablis Bourgogne von der Domaine Louis Moreau 2020 passt mineralisch im Untergrund und mit Äpfeln, Birnen und duftiger Blumigkeit vorneweg hervorragend. Ihm bleiben wir beinah durchgängig treu.
Obwohl erst seit März wieder eröffnet, haben sich bereits neue Klassiker wie etwa ein knuspriges Onsen-Ei uckermärkischer Herkunft mit Topinambur, Flugenten-Leber, Perlzwiebeln, Trauben und einer Sauce Périgourdine etabliert. Die Müllersche Interpretation macht sich unabhängig von Christian Lohse, an dessen Küche im vormaligen „Fischers Fritz" sich so manche erinnern. „Es kommen extrem viele Stammgäste aus Deutschland", sagt Müller. „Wir haben viele Reservierungen."
Wie zum Beweis erhebt sich eine einzeln speisende Dame, nimmt ihre Weinflasche mit und entschwindet mutmaßlich auf ihr Hotelzimmer. „Sie kommt immer donnerstags zu uns, wenn sie bei uns ist." Wir fühlen uns sofort noch heimeliger. Ein Schmankerl wie das Wiener Schnitzel aus der À-la-carte-Abteilung darf deshalb als Wohlfühl-Klassiker auf dem Tisch nicht fehlen. Das ordnungsgemäß auf Elefantenohr-Größe ausgeklopfte Kalbsschnitzel ist perfekt – saftig im Fleisch und kross in seiner goldbraun-beuligen Panade. Ein lauwarmer Erdäpfel-Salat aus kleinen Kartoffeln, ein keinesfalls banaler Gurkensalat sowie Preiselbeeren in Extraschälchen ergänzen frisch und wohlschmeckend. Ein gutes Wiener Schnitzel geht immer und macht instant froh.
Das Wiener Schnitzel leistet nun in der Saison auch dem Beelitzer Spargel à la carte krosse Gesellschaft. Im Menü legen sich die weißen Stangen neben eine Parmesankrokette sowie ein gegrilltes Saiblingsfilet oder einen Dry-Aged- Kalbsrücken. Letzterer bereitet mir Plaisir: Das dicke, innen rosafarbene und von außen gut gebräunte Fleisch bleibt dezent genug, um den nobel-bleichen Edelstangen nicht die Schau zu stehlen. In einer silbernen Sauciere wartet eine dickflüssige, fein mit Kerbel und Estragon abgeschmeckte Béarnaise auf ihren Einsatz. Das hätte dem „Alten Fritz", Friedrich II., und seiner Großmutter Königin Sophie-Charlotte von Preußen, nach denen das Restaurant benannt ist, wohl auch gefallen.
Obwohl erst seit dem späten 19. Jahrhundert in Beelitz angebaut, verbreitete sich das aufwendig zu erntende Gemüse seit dem 17. Jahrhundert von Frankreich aus in deutsche Lande weiter. Es dürfte auf der einen oder anderen königlichen Tafel bereits zu finden gewesen sein. Wir sind damit auf der historisch-royalen Seite des „Charlotte & Fritz" gelandet. Dennoch teilen die Freundin, der Fotograf und ich wie immer beim dienstlichen Essen alles höchst demokratisch und sprechen lebhaft über unsere Eindrücke. Das dürfte im Sinne der Innenarchitekten, die 2018 das Restaurant umbauten, sein. Das Büro „Contura Planung & Design" bezog sich in seiner Gestaltung ausdrücklich auf die von offenem Austausch im meist bürgerlichen Rahmen geprägte Salonkultur des 19. Jahrhunderts.
Frühlingsfrisch zeitgenössisch
Unser gepflegtes Gespräch über Kulinarisches mit Daniel Müller setzen wir beim Dessert fort. Kurz durchkreuzt vom Service, der eine Rothenberg Riesling-Auslese vom Weingut Gunderloch aus dem Jahr 2017 bringt. Honig, Melone, Pfirsich und nur ein bisschen Säure fließen mit dem passend sehr gut gekühlten Dessertwein ins Glas. Großes Glück aus kleinen Flaschen!
Kälte bremst die Süße im Prédessert und ermöglicht den Gegenschwung zu salziger Mascarpone, Tonkabohnen-Chip, Zitronengel, Erdbeercreme und -scheibchen sowie Sellerie. So ein schöner Konter wie der von Erdbeere und Sellerie macht Lust auf mehr und Neues aus der Nachtisch-Abteilung. „Unsere Patissière probiert beim Prédessert aus, was gut ankommt und eventuell auf der Karte landet", sagt Müller. Natürlich hat die klassische Crème brûlée in Mondkrater-Optik zu Recht ebenso ihre Fans. Sie ist sahnig-cremig, genau richtig gebrannt und gesüßt und einfach ein gelungenes Wohlfühldessert, auch ganz ohne Begleitfrüchte.
Richtig frühlingsfrisch, schön und zeitgenössisch wird es aber mit dem Menü-Dessert. Ein Joghurtmousse-Ufo wurde mit Petersilien- und Erdbeercreme betupft. Es wird von einem Rhabarberwickel bewacht und am Tisch mit von einem Erdbeersud angegossen. Eine Nocke Erdbeereis ruht auf Baiserscherben am Tellerrand. Das Angabeln und -löffeln fällt uns bei so einer zartfarbenen Beauty nicht leicht. Aber was nützt das beste Dessert, wenn es nur angebetet, aber nicht aufgegessen wird? Wir sehen und schmecken, dass bei aller berechtigten und großen Liebe zu den Klassikern das „Charlotte & Fritz" allen Grund hat, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken und noch viel spannend Neuzeitliches zu entwickeln.