Einfach die Kohlenhydrate weglassen, schon purzeln die Kilos fast von allein. Das kann tatsächlich funktionieren, allerdings mit Einschränkungen. Davor warnen zumindest Ärzte und Wissenschaftler. Was ist also dran am Traum vom schnellen Abnehmerfolg?
Der mediale Rummel um sogenannte Low-Carb-Diäten scheint einfach nicht abzureißen. Der Begriff Low Carb ist eine Abkürzung für „low carbohydrates", zu Deutsch „wenig Kohlenhydrate" und umschreibt damit die Grundzüge dieser Diät-Bewegung. Die Ernährung soll zum überwiegenden Teil aus Fett und Eiweiß bestehen. Empfohlen ist ein Verhältnis von 40:60. Gegessen werden also Fisch, Fleisch und Eier. Auch Gemüse ist erlaubt. Obst und Fruchtsäfte sowie Nudeln und Kartoffeln sind verboten. Dabei fassen die Diät-Gurus zwei Gruppen von Kohlenhydraten kurzerhand zusammen: die einfachen Kohlenhydrate wie sie in Süßigkeiten und Früchten in Form von (Frucht)-Zucker vorhanden sind. Und die komplexen Kohlenhydrate, wie sie in sämtlichen Getreideprodukten aber auch in Mais, Möhren, Kartoffeln und vielem mehr vorkommen. Durch den gezielten Verzicht auf Kohlenhydrate bleibt der Insulinspiegel im Blut niedrig, das fördert die Reduktion von Körperfett. Diese Regel gilt insbesondere für die einfachen Kohlenhydrate, denn die gelangen schnell ins Blut und erhöhen so den Insulinspiegel, während komplexe Kohlenhydrate langsamer abgebaut werden.
Vorwiegend Fett und Eiweiß
Spätestens seit den Erfolgsbüchern zur weltberühmten Atkins-Diät versuchen Menschen auf der ganzen Welt durch ausgewählte Nahrungsmittel und Kalorienzählen abzunehmen. Schon in den 1970er-Jahren tauchte das Phänomen Atkins auf. Der US-amerikanische Ernährungswissenschaftler propagierte eine Low-Carb-Ernährung für eine schnelle Gewichtsreduzierung und veröffentlichte zu diesem Thema gleich 17 Bücher. Die Idee dahinter ist allerdings viel älter. William Osler riet übergewichtigen Frauen schon Ende des 18. Jahrhunderts auf Zucker und Stärke zu verzichten um zu einem gesünderen Gewicht zu gelangen. Noch einmal ein ganzes Jahrhundert verging bis zum „Offenen Brief über Korpulenz, an das gesamte Publikum gerichtet". Das Buch wurde von William Banting verfasst und beschrieb ebenfalls den Verzicht auf Kohlenhydrate. Stattdessen empfahl er, viel Fleisch zu essen und dieses „mit sieben Einheiten Alkohol" hinunterzuspülen. Solche Ratschläge würde heute kein Mediziner mehr unterstützen. Inzwischen gibt es trotzdem den Trend der fleischlastigen Ernährung und des gezielten Verzichts auf ausgesuchte Lebensmittel. Bekannt sind die Ausläufer der Low-Carb-Bewegung unter Bezeichnungen wie Paleo-Ernährung, Logi-Methode oder auch South-Beach-Diät.
Da stellt sich unweigerlich die Frage: Was genau ist eigentlich Low Carb? Professor Thomas Skurk mit Lehrstuhl an der TU München versuchte darauf auf einem Kongress, veröffentlicht in der „Ärzte Zeitung", eine Antwort zu finden und berief sich dabei auf die grobe Unterteilung der „National Lipid Association" in den USA. Demnach gibt es vier Gruppen von Low-Carb-Diäten mit unterschiedlichen Kohlenhydratanteilen an der Gesamtenergiezufuhr: Die „Very-Low-Carb-Diet" mit weniger als zehn Prozent, die „Low-Carb-Diet" mit zehn bis 20 Prozent, die „Moderate Low-Carb-Diet" mit 26 bis 33 Prozent und die „High-Carb-Diet" mit höchstens 65 Prozent. Je niedriger der Anteil der Kohlenhydrate ausfällt, desto schneller kann eine Gewichtsreduktion stattfinden und umso mehr gerät der Körper in einen „Hungerstoffwechsel". Aufgrund des Mangels an Kohlenhydraten wird die Leber dazu angeregt, aus den Fetten in der aufgenommenen Nahrung sogenannte Ketonkörper zu bilden. Diese speziellen Stoffe haben positive Eigenschaften und helfen dabei abzunehmen, aber auch nur dann, wenn ausreichend umsetzbare Fette zur Verfügung stehen. Deshalb nennen Mediziner diese Ernährungsform Ketogene Diät. Dadurch sollen die Kilos nicht nur schnell purzeln, die überflüssigen Pfunde sollen auch langfristig schmelzen. Während der Diät organisiert der Körper seinen Stoffwechsel neu.
Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) führt eine einseitige Ernährungsform aber nicht zu einem stabilen niedrigen Gewicht, sondern stattdessen zu Mangelerscheinungen. Diese Meinung stützt eine Vergleichsstudie der Universität Glasgow in Schottland aus dem Jahr 2019. Auch hier legen die zusammengetragenen Ergebnisse von gleich zehn Studien zum Thema Low-Carb-Diäten nahe, dass diese Ernährungsform die Aufnahme lebenswichtiger Mikronährstoffe behindert. Sie kann außerdem die Entstehung von erhöhten Blutfettwerten, Herz- und Nierenerkrankungen sowie Gicht begünstigen, führt die DGE weiter aus. Der Verzehr von rotem Fleisch in Kombination mit dem Wegfall wertvoller Ballaststoffe kann außerdem das Risiko für Dickdarmkrebs signifikant erhöhen. In einer Studie des Fachmagazins „Lancet Public Health" haben Wissenschaftler zudem auf einen direkten Zusammenhang zwischen einer kohlenhydratarmen oder zu kohlenhydratreichen Ernährung und einem erhöhten Sterberisiko hingewiesen.
Low-Carb-Diät unter Aufsicht eines Arztes
Der Kardiologe Prof. Dr. Scott D. Solomon ist mit seinem Team bei einer Studie am Women’s Hospital im US-amerikanischen Boston auf dieses gesundheitliche Risiko gestoßen. Demnach starben die Probanden eher, wenn sie eine sehr geringe Menge oder einen vergleichsweise hohen Anteil an Kohlenhydraten zu sich nahmen. Wer etwa die Hälfte seines täglichen Energiebedarfs durch Kohlenhydrate stillte, der lebte am längsten. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forscherteam bereits 2018. Schon vier Jahre zuvor wiesen Wissenschaftler darauf hin, dass eine ketogene Ernährung auf Dauer problematisch sei. Und das nicht allein deshalb, weil die Gesundheit Schaden nehmen kann, sondern auch, weil eine Keto-Diät nicht zum gewünschten Abnehmerfolg führt. Ihre Empfehlung wäre deshalb, die Low-Carb-Ernährung nur über bestimmte Phasen durchzuführen. Zu Beginn reiche eine Nahrungsumstellung für 20 Tage aus, damit die erwünschte Ketogenese einsetzt. Danach setzten 20 Tage Stabilisierungsphase ein. In dieser Zeit soll die Menge an Kohlenhydraten niedrig bleiben, damit die Ketogenese nicht unterbrochen wird. Danach kann eine „normale" Ernährungsphase über vier Monate folgen, bevor erneut eine Low-Carb-Phase von 20 Tagen startet. Das soll dauerhaft dabei helfen, schlank zu bleiben. Damit die Umstellung auf eine gesunde Art und Weise erfolgt, ist es ratsam, eine Low-Carb-Diät unter Aufsicht eines Arztes durchzuführen.
Grundsätzlich empfiehlt sich außerdem, diese Ernährungsumstellung nur dann in Betracht zu ziehen, wenn man gesund ist. Bei Grunderkrankungen wie Typ-2-Diabetes ist eine Keto-Diät nicht ratsam. Alles was kurzfristig gedacht ist, funktioniert auch nur kurzfristig. Dauerhafte Gewichtsreduktion ohne den verhassten Jo-Jo-Effekt ist nur durch eine ebenfalls dauerhafte Ernährungsumstellung zu erreichen. Hierbei gilt: Statt vieler kleiner Snacks lieber drei Hauptmahlzeiten über den Tag verteilt zu sich nehmen. Das hält den Insulinspiegel niedrig. Im Sinne des Low-Carb-Systems empfehlen Ernährungswissenschaftler, eine Mahlzeit kohlenhydratfrei zuzubereiten und dafür bestenfalls das Abendessen auszuwählen. Frühstück und Mittagessen dürfen ruhig komplexe Kohlenhydrate beinhalten, denn die Ballaststoffe darin sorgen für ausreichende und schnell verfügbare Energie für den Tag. Zusätzlich sollte Sport auf dem Programm stehen, am besten regelmäßig. Dann klappt es auch ohne großen Verzicht mit einem gesunden Lifestyle ohne lästiges Kalorienzählen.