Für einen nachhaltigen Markt braucht es klare Rahmenbedingungen, sagt Simon Pichlmaier von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft.
Herr Pichlmaier, wie könnte ein Wasserstoff-Markt aussehen?
Wenn Sie mich vor ein paar Monaten gefragt hätten, ob wir eine Brücke im Sinne von „blauem" Wasserstoff brauchen, dann hätte ich gesagt, dass es nicht sinnvoll wäre, wenn die Industrieunternehmen, die sich umstellen müssen aus der fehlenden Verfügbarkeit von Wasserstoff bei ihrem konventionellen Prozess bleiben. Wenn bei einem Stahlunternehmen ein neuer Investitionszyklus anfällt, sollten die Stahlhersteller der Zukunft aber wissen, dass sie Wasserstoff zur Verfügung haben, um ihren Prozess so umzustellen, dass sie zukünftig Wasserstoff verwenden können. Wenn das dann vorerst „blauer" Wasserstoff ist, dann ist das in Ordnung, aber nur mit einer klaren Ausstiegsstrategie. Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich das aber insofern komplett geändert, dass Erdgas als Input für „blauen" und „grauen" Wasserstoff zum Energieträger non grata geworden ist. Dementsprechend ist diese Option zumindest kleiner geworden, wenn nicht sogar ganz verschwunden, weil wir jetzt auch das Kriterium fossiler Unabhängigkeiten aus Russland anlegen.
Was wären Anreize, diesen Markt nachhaltig zu gestalten?
Das erste, was einem durch den Kopf geht, sind CO2-Preise. Bleiben wir beim Beispiel Stahl: Wenn Stahlhersteller einen entsprechenden CO2-Preis zahlen müssen, wenn sie ihre konventionellen Technologien verwenden und entsprechend CO2 ausstoßen, dann muss das im besten Fall so teuer sein, dass sie sowieso auf die grüne Lösung mittels Wasserstoff zurückgreifen. Da wir davon noch ein Stück weit weg sind, gerade in der Industrie, sind ja momentan die Regierungen in Europa dabei, Carbon Contracts for Difference (CCfD) einzuführen. Das sind Klimaschutzdifferenzverträge. Sie sollen kurzfristig dafür sorgen, dass die Differenz zwischen dem klimaneutralen Produkt im Vergleich zu dem konventionellen Produkt ausgeglichen wird. Im jetzigen System sorgt das noch dafür, dass der Staat Kosten mitzuzahlen hat. Die CCfDs sind so ausgelegt, dass sie auch andersherum funktionieren. Das heißt, in dem Moment, in dem das konventionelle Produkt teurer ist, weil die CO2-Preise so hoch sind, verdient der Staat wiederum, weil die Differenz entsprechend negativ ist und von den Unternehmen ausgeglichen wird. Die Unternehmen wollen vor allem sichere Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie investieren können – und das wird damit gewährleistet.
Wann ist der Markt so weit?
Technologien einführen werden vor allem Unternehmen. Und Wasserstoff kaufen werden auch Unternehmen. Der Gesetzgeber kann nur den Rahmen dafür ausgestalten und sollte das im besten Fall so tun, dass er Nachhaltigkeitskriterien einhält und auf Klimaziele ausgelegt ist. Die Technologien stehen parat und sind skalierungsfähig. Und jetzt muss noch der eine oder andere Rahmen gesetzt werden, damit die Unternehmen agieren können. Gutes Beispiel dafür ist der neue delegierte Rechtsakt zum Art. 27 der RED II, dessen Vorschlag am 20. Mai veröffentlicht wurde. Er soll festlegen, inwiefern Wasserstoff aus der Elektrolyse wirklich „grün" ist, beziehungsweise wann der erneuerbare Strom dafür zusätzlich ist. Das Kriterium der Zusätzlichkeit soll dabei sicherstellen, dass parallel zu Elektrolyseuren auch erneuerbare Energien ausgebaut werden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Unternehmen darauf warten, dass die Ausgestaltung vorangetrieben wird. Dieser Rechtsakt war eigentlich Ende letztens Jahres geplant. Und die gesamte Branche stand da mit fertigen Projekten und hat eigentlich nur noch darauf gewartet, dass die EU-Kommission diesen Vorschlag vorlegt. Wenngleich viele damit nun nicht zufrieden sind, hört man aus der Branche, dass vor allem Klarheit gewünscht ist, damit Investitionsentscheidungen getroffen werden können.
Gibt es andere Optionen, um das deutsche Klimaziel zu erreichen?
2018 kam der Pariser Klimavertrag. Davor hatten wir das Klimaschutzgesetz in Deutschland mit für damalige Verhältnisse ambitionierten Zielen einer Reduktion von CO2 von 80 bis 95 Prozent. Aber seitdem wir von vollständiger Reduktion der CO2-Emissionen reden, ist klar, dass Wasserstoff Teil der Lösung sein wird. Lohnen wird sich die Investition in diese Technologien auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wie wir es hinbekommen, dass es auch im Sinne unserer ökosozialen Marktwirtschaft funktioniert. Und wie wir die Anreize so setzen, dass Geschäftsmodelle in diesen Bereichen entstehen können und die Menschen mit grünen Produkten und einer grünen Zielsetzung auch Geld verdienen können. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass man einfach mal mit wehenden Fahnen voranschreitet und vielleicht auch ein bisschen pragmatischer ist, als das in der Vergangenheit der Fall war. Denn auf dem Papier haben wir alles, was wir brauchen, wir müssen es bloß mal ausprobieren.