Schauspielerin Edda Petri widmet sich gleich mehreren Projekten. Mit uns sprach sie über ihre Liebe zu Erich Kästner, über die faszinierende Peggy Guggenheim und darüber, warum sie bei ihrem aktuellen Regieprojekt ein Megafon benutzen muss.
Frau Petri, gerade führen Sie Regie im Musical „Emil und die Detektive". Die Besonderheit ist, dass es nicht nur ein Stück für Kinder ist, sondern auch überwiegend mit Kindern auf die Bühne gebracht wird. In den Proben nutzen Sie mittlerweile schon ein kleines Megafon.
Zum Glück habe ich das! (lacht) Sonst ist irgendwann die Stimme weg. Es sind 20 Kinder und neun Erwachsene. Und irgendwer redet immer. Die Kleinsten sind sieben Jahre alt, die bleiben nicht vier Stunden lang konzentriert. Die Ältesten sind 15. Meine Söhne sind schon beide erwachsen, so um die 20, und es ist total schön, wieder mit kleineren Kindern zu arbeiten, mit liebevoller Strenge den richtigen Ton zu erwischen und mich so auch mal selbst zu überprüfen. All das ist für mich sehr lehrreich. Ich habe zwar als Schauspiellehrerin gearbeitet, aber die Arbeit mit Kindern ist etwas Besonderes.
Die Darsteller, Kinder und Erwachsene, sind ja keine professionellen Schauspieler. Was ist daran anders?
Zum Beispiel, dass sie immer sagen, sie haben keine Zeit, und ich frage mich dann: Warum haben sie denn keine Zeit? Aber klar, sie haben ja andere Berufe. (lacht) Und das musste ich mir erst mal klarmachen. Und die Kinder haben natürlich Schule. Daher dürfen sie nicht länger als bis 18 Uhr proben, die Erwachsenen können aber erst ab 18 Uhr. Das ist logistisch wahnsinnig schwierig. Das hätte man sich vorher denken können, aber ich war da etwas naiv.
Corona hat die Lage wahrscheinlich nicht gerade einfacher gemacht?
Wir hatten die Premiere eigentlich für den 1. April angesetzt. Aber dann kamen die Lockdowns dazwischen, und es gab auch viele Krankmeldungen. Deshalb haben wir es jetzt verschoben. Wir sind im Oktober 2021 mit dem Casting gestartet und haben jetzt Ende Juni die Aufführungen.
Ein Musical setzt sich aus Musik, Tanz und Schauspiel zusammen. Wie wirkt sich das auf die Proben aus?
Da ist eine sehr genaue Planung vonnöten. Unser musikalischer Leiter Jan Brögger ist eigentlich Kirchenmusiker und hat auch andere Verpflichtungen. Er hat die Kinder wunderbar einstudiert. Das Stück ist fast durchkomponiert, also stehen Gesangs- und Tanzszenen im Mittelpunkt. Daher spielt auch die Arbeit unserer Choreografin, Janine Brennecke, eine wichtige Rolle. Sibille Sandmayer unterstützt als Theaterpädagogin mich als Regisseurin und ist zentrale Ansprechpartnerin der Kinder. So können wir auch Szenen parallel erarbeiten. Die Koordination der Proben liegt in den Händen von Manuela Schmidt, die sich um die Organisation kümmert.
„Emil und die Detektive" ist ein Herzensprojekt für Sie. Wie kam es dazu?
„Emil" wollte ich immer schon machen! Klar, meine beiden Kinder heißen auch Gustav und Emil. (lacht) (Zwei Figuren aus dem Roman; Anm. d. Red.) Ich habe den Roman von Erich Kästner immer schon geliebt und ich kenne Marc Schubring, den Komponisten des Musicals, von früher. Damals war er Musikalischer Leiter für das Schauspiel am Saarländischen Staatstheater. Er hat das Musical später in Berlin uraufgeführt, und ich habe mir irgendwann eine CD gekauft und dachte: „Mensch, das ist ja mal keine 08/15-Musik!" Der Komponist greift die Swingthemen der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts auf und klingt manchmal fast wie Kurt Weill. Das ist einfach toll!
Der ursprüngliche Roman „Emil und die Detektive" von Erich Kästner ist nun schon fast 100 Jahre alt. Die Hauptfigur, der Junge Emil, wird im Zug bestohlen und landet ohne Geld allein in Berlin. Heute würde er wahrscheinlich einfach mit dem Handy daheim anrufen. Im Stück ist er erst einmal völlig verloren, tut sich aber dann mit anderen Kindern zusammen und verfolgt den Dieb durch die Großstadt.
Man muss den Kindern zunächst mal erklären: Stell dir mal vor, du kannst da nicht einfach mit dem Handy anrufen! Du musst ein Kind an ein Festnetztelefon setzen, was dann eure „Telefonzentrale" ist. Das Leben in den 20er-Jahren war eben diesbezüglich ein wenig umständlicher. Es ist aber auch ein Stück zum Thema Gemeinschaft. Wenn man zusammenhält, kann man alles schaffen! Man kann Ungerechtigkeit besiegen, man kann sich gegen das Böse wehren. Man muss sich nicht alles gefallen lassen, wenn man zusammenhält. Aber man muss dabei auch mal eigene Befindlichkeiten zurückstecken. Gerade in der heutigen Zeit hielte ich Letzteres für eine sehr gute Idee.
„Emil" ist nicht Ihr einziges Projekt. Sie sind eigentlich auch noch Schauspielerin, Produzentin und Integrationsmanagerin.
Ich mache gerade ein bisschen zu viel. (lacht) Ich sage mir immer: So geht das nicht weiter, im kommenden Jahr mache ich weniger. Ich habe nicht diese Trennung zwischen privat und beruflich, hatte ich nie.
Was ist Ihr aktuelles Projekt als Schauspielerin?
Ich spiele gerade Peggy Guggenheim. „Peggy Guggenheim – Woman before a Glass" ist ein amerikanisches Stück. Die Figur hat mich schon immer interessiert. Deshalb habe ich das Stück ins Deutsche übersetzt, ohne den Auftrag dazu zu haben. Der Autor (Dr. Lanie Douglas Robertson; Anm. d. Red.) lebt in New York und ist 85 Jahre alt, er ist ein verdienter und renommierter Autor, und er hat die Übersetzung dann wiederum zurück nach Deutschland zu einer Deutsch-Amerikanerin geschickt, die es erst prüfen musste. Aktuell halte ich die deutschen und luxemburgischen Rechte.
Was hat sie an der Figur Peggy Guggenheim gereizt?
Besonders spannend war dieses „Sich-nicht-hängen-lassen", weil das auch meiner Lebenssituation ein bisschen entsprochen hat. Das Leben stellt dich auf die Probe, du erlebst Niederlagen, aber du stehst auf und sagst: „Es gibt vielleicht Wichtigeres als das, was mir gerade passiert ist." Vielleicht kennen Sie die Geschichte: Der Vater von Peggy Guggenheim ist mit der Titanic untergegangen, als sie 13 war. Ihre Tante ist vom Empire State Building gesprungen, ich glaube, sogar mit einem kleinen Kind auf dem Arm. Ein Horror nach dem anderen! Ihre Tochter hat sich umgebracht. Das hat sie hart gemacht. Gleichzeitig hat sie viele Künstler vor den Nazis versteckt und mit viel Geld, Zeit und Engagement aus Europa evakuiert. Sie war eine sehr mutige aber auch sehr exzentrische Frau. Sie hatte ja diese riesigen Sonnenbrillen an und acht Hunde immer um sich herum. Sie ist auch zwischen ihren Hunden beerdigt. Eine große Diva!
Die deutsche Erstaufführung fand letztes Jahr im Saarlandmuseum statt. Sind weitere Aufführungen des Stücks an solchen besonderen Orten geplant?
Mein Ziel war, in Museen zu spielen. Aber es ist mühsamer, als ich das gedacht hätte. Andrea Jahn vom Saarlandmuseum war da offen. Sie sagte, dass eine Frau, die eine Geschichte aus der Kunstwelt erzählt, auch in ein Museum gehört. Da geht es immer auch ums Vertrauen. Ich finde es spannend, auf diese Weise ganz neue Zuschauerschichten zu erreichen. Auch Crossover-Formate wären denkbar, zum Beispiel kombiniert mit einer nächtlichen Führung durch die Sammlung.
Wie ist es, eine One-Woman-Show zu spielen?
Ich habe das schon mal gemacht, als ich 24 Jahre alt war. Ich spielte damals die Novelle „Fräulein Else" von Schnitzler. Ich habe festgestellt, dass das Textlernen damals noch etwas schneller ging. (lacht) Ein Solo-Abend im Museum schien mir klug als Reaktion auf die diversen Corona-Auflagen und Beschränkungen. Am Ende waren 80 Leute da und es war ein sehr intimer Rahmen. Das Bühnenbild war eine Videoinstallation, entstanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Bildenden Künste. Aktuell geplant ist noch eine Aufführung in Merzig am 25. Oktober, und im November gastiere ich in meiner westfälischen Heimat, in Lippstadt.
Sie sind also im Saarland eine Zugezogene. Fühlen Sie sich hier gut aufgehoben?
Total! Sonst wäre ich ja nicht mehr hier. Ich bin vorher 13-mal umgezogen. Aber dann habe ich mich hier niedergelassen, habe geheiratet und Kinder bekommen. Da wird man sesshafter!
Seit einigen Jahren sind Sie außerdem Teil eines ganz besonderen Projekts. Das Kutscherhaus in Neunkirchen hat sich auf die Fahnen geschrieben, ein kulturelles Angebot zusammenzustellen, das ohne große Hürden für jeden zugänglich sein soll. Wie funktioniert das?
Es gibt Kulturschaffende, die melden ihr Gewerbe in Neunkirchen an und dürfen dann ein Büro im Kutscherhaus kostenfrei nutzen, sie zahlen nur die Nebenkosten und dafür verpflichten sie sich, eine Art ideelle Miete in Form eines soziokulturellen Projekts zu zahlen. Aktuell haben wir zum Beispiel mehrere Musiker im Kutscherhaus. In der Coronazeit haben wir zum Beispiel alles auf einen Lkw gepackt, die Musiker, die Sänger und das Equipment, und sind in die Innenhöfe von Seniorenheimen gefahren und haben Konzerte gegeben. Das kam sehr gut an. Wir haben auch regelmäßig Coaches und Workshopleiter aus anderen Kulturkreisen. Da kommen ja nicht nur Lehrer oder Maschinenschlosser aus fremden Ländern zu uns, sondern auch Künstler. Die bekommen dann beim Arbeitsamt gesagt: „Oh Gott, wollen Sie nicht umschulen?" Und wir hier sagen stattdessen: „Aha, was kannst du denn? Bist du Gitarrist, dann könnten wir dich mit anderen lokalen Musikern vernetzen oder anbieten, kleine Konzerte zu organisieren." Das Bundesförderprogramm Utopolis ermöglicht es uns, bescheidene aber faire Honorare zahlen, was im Sinne der Wertschätzung sehr wichtig ist.
Sie sind als Integrationsmanagerin für die Koordination der Projekte zuständig. Was kann man darunter verstehen?
Viele denken, die Aufgaben der Integrationsmanagerin liegen rein im sozialen Bereich im Sinne der Integration ausländischer Mitbürger. Das ist aber nicht mein Job, ich bin Integrationsmanagerin für Kunst- und Kreativwirtschaft. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Leute, die hier wohnen, mit den Mitteln der Kunst und Kultur einander näherzubringen. Im Quartier nördliche Innenstadt von Neunkirchen leben 2.500 Menschen aus 109 Nationen. Da gibt es ein babylonisches Sprachgewirr und leider auch ab und zu auch Berührungsängste.
Wo setzt man denn bei diesem vielfältigen Miteinander an?
Der Kutscherhaus-Verein hat eine arabische Mitarbeiterin, Dana Almatt, die uns hilft die Sprachbarriere zu überwinden. Wir veranstalten viel barrierefrei und partizipativ im öffentlichen Raum. Das heißt, dass man auf die Leute zugeht, dahin, wo sie wohnen, und dort zum Beispiel Mitsingkonzerte in verschiedenen Sprachen anbietet. Die arabische Community erreicht man sehr gut über Social Media oder über Whatsapp-Gruppen mit der arabischen Mitarbeiterin. Sie hat mittlerweile einen großen festen Kreis an Eltern, die ihre Kinder gern schicken. Das ist am Anfang ein Vertrauensproblem: Wo schicke ich meine Kinder da hin, wenn ich selbst die Sprache nicht so gut verstehe? Das hat sich jetzt ganz wunderbar aufgelöst. Wir hatten sogar schon Hip-Hop-Kurse für arabische Frauen.
Was ist das Besondere an Kunst und Kultur als Bindeglied, das Menschen zusammenbringt?
Wenn man zum Beispiel ans Malen denkt, ist das ohne Worte möglich. Das Gespräch entsteht dann aus dem gemeinsamen Machen. Wir hatten zum Beispiel einen syrischen Kalligrafen hier. Alteingesessene Neunkircherinnen waren da, genauso wie die Araberinnen, die mit Kalligrafie aus ihrer Heimat schon vertraut waren und den alteingesessenen Neunkircherinnen auch zur Hand gegangen sind. Die Neunkircherinnen haben hinterher gesagt: „Man traut sich ja nicht, die Leute einfach so anzusprechen, wenn man Obst oder Gemüse einkauft." Das ist in unseren Workshop-Angeboten niederschwellig möglich. Das erleben wir ja jetzt auch bei „Emil und die Detektive": Da sind Kinder aus ganz verschiedenen Schulformen dabei, die sich wahrscheinlich nie begegnet wären. Da sind nicht nur Kinder mit musischer Vorbildung dabei, sondern auch Kinder aus Familien, die noch nie mit Theater in Berührung gekommen sind.