Seit 31 Jahren gibt es die „Trattoria a’ Muntagnola" in der Fuggerstraße. Mama Angela sorgt seit dem 1. Juli 1991 dafür, dass ursprüngliche Küche der Basilicata serviert wird. Sohn und Inhaber Pino Bianco machte zum Jahresanfang Tina Sento zur Mitinhaberin und sichert so die Zukunft des Lokals weiter ab.
An einem lauen Abend unter den hohen Platanen in der Fuggerstraße sitzen, einen Bergamotte Spritz trinken, Caponata, gefüllte Zucchiniblüten und „Dirigenten-Pasta" essen – so können wir es uns gutgehen lassen. So wie viele andere Gäste der „Trattoria a‘ Muntagnola", die binnen einer halben Stunde sämtliche Tische auf dem breiten Bürgersteig belegt haben. Wir haben das Glück und die Gelegenheit, ausgiebig mit dem „Ur-Inhaber" Pino Bianco und mit der neuen Mitinhaberin Tina Sento über das kulinarische italienische Urgestein zu sprechen und uns durch die Küche der Basilicata zu probieren.
„Das ist ein Mini-Urlaub", sagt die Freundin beglückt, während sie den Spritz aus selbstgemachtem Bergamotte-Likör, der mit Prosecco und Wasser aufgegossen wird, durch einen Makkaroni-Halm trinkt. Die Zitrusfrucht, in die Bitterorangen hineingekreuzt wurden, macht den Drink angenehm herb-erfrischend und zum perfekten Aperitif. „Hinter mir stand immer meine Mama", erinnert sich Pino Bianco an die Anfänge. „Sie war meine Säule." Umgekehrt war es dann genauso. Der Vater starb früh. Bianco kehrte aus Berlin zu seiner Mutter Angela in die süditalienische Basilicata zurück, um ihr bei der Fortführung der Pizzeria seines Vaters zu helfen.
Szenenwechsel, zurück nach Berlin: Am 1. Juli 1991 eröffnete Pino Bianco die „Trattoria a‘ Muntagnola". „La Mamma" lebt nun auch in Berlin. Sie wacht über die Qualität der Produkte, die damals noch nicht per Mausklick geordert und über regionale Netzwerke bezogen werden konnten. Und über die Unverfälschtheit der Gerichte. „Die Köche haben versucht, ihre eigene Handschrift hereinzubringen, aber Mama hat Nein gesagt. Genau davon haben wir dann profitiert, denn wir haben das Ursprüngliche."
So etwas wie den Salat aus Fiori della Cicoria, dem Löwenzahnherz. Das kleingeschnittene knollige Innere des gezacktblättrigen, zur Familie des Chicorées gehörenden Gewächses ist ausgeprägt bitter. Es gewinnt mit pürierten Kapern und Sardellen angemacht ein anregendes salzig-frisch-herbes Aroma.
Mama Angela ist gerade in Italien. „Sie ist vor kurzem 87 geworden. Und sie ist immer noch aktiv", erzählt Bianco. „Sonntags haben wir ihren Geburtstag gefeiert, am Montag ist sie in den Urlaub aufgebrochen." Mama Angela kommt immer tagsüber aus ihrer Wohnung gleich oberhalb vom Lokal herunter, um die Vorbereitungen zu beaufsichtigen. Wurde genug frische Pasta für den Tag hergestellt? Hat die Caponata die richtige stückige Konsistenz und die richtige Balance zwischen Auberginen, Tomaten und Sellerie, Säure und Fruchtigkeit? Einige geröstete Pinienkerne und gehackte Mandelstücke weiter steht ein Teller davon vor uns.
Mama Angela hat alles im Blick
Die Freundin und ich warten auf den Fotografen, lassen ihm aber gerade mal einen Happen davon übrig. Ein Aperitif mit von Pino Bianco selbstgemachtem Pinienlikör kann ihn jedoch darüber hinwegtrösten. Außerdem wären da ja noch Salat und Zucchiniröllchen mit Gamberetti, die mit Thunfisch und Brot vom Vortag gefüllten Zucchiniblüten sowie Ravioli. Von Anfang an lief etwas richtig mit der „Trattoria a‘ Muntagnola", selbst als italienische Regionalküche in Berlin noch praktisch unbekannt war. Die ersten Restaurantkritiker berichteten. „Ich kam an dem Sonntag, als ein großer Artikel im Tagesspiegel erschien, entspannt ins Restaurant", sagt Bianco. „Bis zu diesem Tag war es so idyllisch, wie ich es immer wollte." Das Lokal war brechend voll. „Dann hat uns Claudio Abbado entdeckt. Ab da waren wir sein zweites Wohnzimmer und Künstler aus aller Welt bei uns." Fortan hieß es: „Wir wollen genau das, was er isst."
Wir auch: Caponata und Ravioli Ricotta e Cannella. Die Ravioli überzeugen mit ihrem stimmigen Zusammenspiel von nicht süßer Tomatensauce und dem in der Ricottafülle dezent mitschwingenden Zimt. Das Gewürz verstärkt die Fruchtigkeit der Sauce, „ist aber kein Weihnachten", findet die kulinarische Freundin. Wir können die Präferenzen des Dirigenten nachvollziehen. Wir haben jetzt einen 2020er Chardonnay „Ventomare" von den Cantine Crocco aus der Basilicata im Glas. Wir sind so glücklich, wie wir es an einem süditalienischen Wohlfühlabend nur sein können – mit bodenständigem Essen in gleichbleibend sehr guter Qualität. Jetzt könnten wir schon wohlig seufzend unseren Probierabend beenden.
Doch wir haben die Rechnung ohne den gast- und menschenfreundlichen Wirt gemacht. Und ohne seine Geschäftspartnerin Tina Sento, die seit zehn Jahren in der Trattoria arbeitet. Die 36-Jährige hat nicht nur Pino Bianco, sondern offenkundig auch Mama Angela von ihren ernsthaften Absichten als künftige Bewahrerin des kulinarischen Erbes überzeugt. Seit Jahresanfang ist sie Miteigentümerin. Will sich Pino, immerhin zarte 64 Jahre alt, etwa zur Ruhe setzen? „Ich will kein Rentner werden. Ich bleibe dabei, so wie Mama, aber ich will auf Dauer nicht mehr die ganze Verantwortung tragen." Und wohl noch wichtiger: „Wenn ich irgendwann nicht mehr bin und Mama auch nicht, dann möchte ich, dass die Trattoria weiterexistiert und jemand die Geschichte kennt."
So wie jener 18-Jährige, der unlängst im Restaurant stand und auf Bianco zuging: „Ich war eines von den Kindern, die hier mittwochs zu Mittag gegessen haben." Ein Projekt, das Bianco besonders am Herzen liegt: „Seit 21 Jahren kommt immer mittwochs eine Kita aus der Straße zu uns, und die Kinder können umsonst bei uns essen." Kita und Trattoria liegen mitten im Schöneberger Regenbogen-Kiez. Bianco war es ein Anliegen, eine der ersten Kitas, die auch HIV-infizierte Kinder aufnahm, praktisch zu unterstützen.
Mittags ist nicht regulär geöffnet. Eine Schicht am Abend reicht, um die Trattoria so familiär zu betreiben, wie es allen gefällt. Die gute Verankerung in der Nachbarschaft und in Berlin trug auch durch die Lockdowns. Die Gäste holten ihr Essen ab; Lieferando, Wolt und Uber Eats taten ein Übriges. „Unsere Gäste haben es nie direkt gesagt, aber sie haben uns so ihre Liebe gezeigt. Sie haben damit ausgedrückt: Wir wollen, dass ihr bleibt."
Alle Rezepte zum Nachkochen
Es wäre aber auch zu schade, wenn der Trüffel-Pecorino-Laib halb ausgekratzt geblieben wäre! Die Finishing-Show für die Taglioni Cacio e Pepe im ausgehöhlten Käse am Servierwagen macht was her. Wir teilen uns die Portion sicherheitshalber alle und sind froh. Kurz darauf folgen „Amatriciana" alla Lugana. Die Tagliolini mit Tomaten, Nduja und Pecorino kitzeln ein wenig in der Nase. Die südliche, pikante und markant-rote weiche Schweinswurst lässt sich in unseren Portiönchen gut verrühren, so dass wir nicht alles auf einmal in das Pasta-Knäuel hineinwickeln. „Das ist noch nicht einmal die schärfste Nduja. Es gibt sie in verschiedenen Abstufungen", verrät Tina Sento.
Unser Freund, der Trüffel-Pecorino, taucht in gehobelter Form gleich danach noch einmal auf einer Pizza Ciliegini auf. Die Pizza mit Kirschtomaten-Sauce ist nach Art einer römischen Pinsa zubereitet. Der Teig ist dünn und fast blätterteigartig knusprig am Rand. „Der Teig braucht seine Zeit", sagt Tina Sento. Er besteht aus je einem Drittel Reis-, Soja- und 00er-Weizenmehl und wird mit zehn Prozent Sauerteig angesetzt. Das macht ihn elastischer als seinen klassisch neapolitanischen Bruder. Nach dem Kneten ruht er 72 Stunden, bevor er in den Ofen kommt. Mama Angela stand dieser Neuerung skeptisch gegenüber. Doch Qualität und Geschmack überzeugten. „Das war dann okay mit Mama", sagt Tina Sento. „Die Geduld hat sich gelohnt."
Sicher werden wir Pizza-Viertel, Antipasti und Pasta-Tellerchen bald schon wiedersehen. Mit einer „Apericena", Drinks und Häppchen als zwanglosen kleinen kulinarischen Begleitern, wird am 1. Juli ab 17 Uhr der 31. Geburtstag der „Trattoria a‘ Muntagnola" gefeiert. Darauf jetzt schon einmal einen Amaro Lucano! Der Kräuterbitter hilft uns, die wunderbar pur-frische Erdbeer-Granita und ein Stückchen der selbstgemachten Cannoli zum Dessert besser wegzustecken – selbstredend ist eine vollgültige italienische Cena erst nach Digestif und Caffè beendet.
Wer dann noch nicht genug hat, kann sich sofort ans Nachkochen begeben. Mama Angelas beste Rezepte sind auf Rezeptkärtchen gedruckt, die sich jeder zum Selbst-Ausprobieren nach Hause mitnehmen kann.