Im „Avocado Club" dreht sich alles um die grünen Früchte. Küchenchef Asly Aguilar nutzt sie als vollgültige Zutat in Gerichten und Drinks. Viet-Hai Nguyen und Tang Minh Tuan Pham bieten in ihrem Restaurant in Mitte überraschende, moderne und keineswegs ausschließlich vegane Dinner-Erlebnisse.
You can’t make everyone happy. You are not an avocado." Der wandhohe Spiegel vor den Toiletten des „Avocado Club" hält beim Selfie-Machen Denkwürdiges für Mensch und Frucht bereit. Wir sind beim Händewaschen bereits eingestimmt: Avocados machen jeden glücklich. Menschen können das nicht unbedingt. Und sollten das wohl auch lieber nicht. In dem Restaurant dreht sich jedenfalls von früh bis spät alles um die knubbelig-birnenförmigen Früchtchen mit dem grünen Innenleben, die allein durch ihr Dasein und ihren Geschmack segensreich auf die Gäste wirken sollen.
Viet-Hai Nguyen und sein „bester Freund seit zehn Jahren", Tang Minh Tuan Pham, setzen als Inhaber seit Oktober 2021 an der Dircksenstraße in Mitte auf alles, was grün ist und sich unter der braunen Schale der Sorte Hass verbirgt. „Es gibt mehr als 1.000 Avocado-Sorten, aber die Hass hat am meisten Geschmack und ist cremig." Der Händler „Nature’s Pride", über den das Lokal die Früchte bezieht, achte auf Nachhaltigkeit in den für den Anbau nötigen warmen Regionen, erklärt Nguyen. Gezogen werden die viel Wasser zehrenden Pflanzen ausschließlich in fair arbeitenden landwirtschaftlichen Betrieben in Chile, Peru, Mexiko und Israel. Sie wachsen in Regionen, in denen es Niederschlag gibt. Erst wenn der nicht ausreicht, wird Tropfbewässerung zugeschaltet.
Ob in Gerichten diverser Länderküchen erwartbar oder überraschend in Desserts und Drinks oder in unterschiedlichen Texturen verarbeitet, bringt die Avocado angenehm Überraschendes zustande. „Wir sehen die Avocado primär als Zutat, nicht als Dekor", sagt Viet-Hai Nguyen. „Es tut einem Restaurant gut, wenn man so ein zentrales Produkt richtig durchdekliniert." Sprich: Mehr als pochierte Eier damit macht, als Salate belegt oder Bowls aufpeppt. Keine Frage, die Klassiker des Brunch- und Lunchgeschäfts gibt es ebenfalls. Schließlich ist der „Avocado Club" ab morgens um 10 Uhr geöffnet. Viele Büromenschen aus den umliegenden Gebäuden schätzen etwa ein leichtes Mittagessen mit „Purple Salmon" mit Avocado-Meerrettich, eingelegten Gurken, Remoulade und Sauerteigbrot. Wer auf der Frühstücksschiene fährt, ist mit einer Spirulina Smoothie Bowl mit Avocado-Topping oder dem Klassiker „Poached Eggs" mit Wildkräutern, Zitronengras-Soße und Sauerteigbrot in Avocado-Begleitung gut bedient.
Sehr spannende Lachs-Ceviche
Doch es geht einiges mehr als auf den ersten Bissen vorstellbar erscheint. Das zeigt sich bei unseren Tellern von der Dinner-Karte, von der – nach einer einstündigen Pause – ab 17 Uhr serviert wird. Avocados dienen dann als Feuchtigkeitsspender in Serviettenknödeln oder Rote-Bete-Falafel, als Frischekick in einer Ceviche oder als cremiger Texturgeber in einem Avocado Wodka Sour. Sie tauchen ebenso in ihrem natürlichen lateinamerikanischen Umfeld auf – etwa als Guacamole in Barbecue Tacos. „Unser Chefkoch Asly Aguilar ist Peruaner und bringt seine kulturellen Einflüsse mit", sagt Viet-Hai Nguyen.
Während wir uns unterhalten, mixt Tang Minh Tuan Pham an der Bar unsere Drinks. Wir räumen währenddessen mit zwei Vorurteilen auf: „Viele denken, wir servieren nur Salate oder wir seien vegan", sagt Viet-Hai Nguyen. Lachs, Bœuf Bourguignon und Steak auf der Karte zeigen, dass dem nicht so ist. Fehlannahme Nummer zwei: Wer asiatisch gelesen wird, will eine ebensolche Küche anbieten. Das fänden Nguyen und Pham zu einschränkend: „Natürlich haben wir vietnamesische Wurzeln, aber das wollten wir nicht." Die asiatische Seite darf aber sehr wohl beispielsweise als Herbstrolle präsent sein: Avocadostücke lassen sich gemeinsam mit Mangold und Rahmwirsing in Reispapier hüllen; gedippt wird in einer Ponzu-Soße.
Unser Starter-Favorit sind die Barbecue Tacos. „Ein schön schlotziges Inneres mit dem Beef. Und ein bisschen süßlich", meint die Freundin. „Das ist ein gutes Fingerfood und regt zum Entrée alle Sinne an." Das liegt auch an den roten Chilis. Die wollen kein Spielzeug, aber auch nicht überscharf sein. Sehr gelungen, gern wieder. Eigentlich wollte ich keinen Fisch essen, bin aber neugierig auf die Lachs-Ceviche. Sie hat eine salatartige Konsistenz. Melone, Avocado, Lauch, Peperoni und Koriander geben sich ein stückiges Stelldichein. On top gibt’s knusprige Maniok-Spalten, die an sehr stärkehaltige Kartoffeln erinnern.
Auch dieser Teller ist eine Empfehlung zum Wiederkommen. Dazu nippe ich vom Avocado Wodka Sour, der mit Limette zubereitet und mit Bio-Eiweiß geklärt wurde, wie die Karte verrät. Er kommt buttriger als sein bekannterer Verwandter mit Whisky oder Pisco daher, ist aber ebenso erfrischend. Die Cremigkeit der Avocado gibt ein schönes Mundgefühl ohne smoothieartige Schwere zu erzeugen. Die Freundin erfreut sich an einem Thai Basil Smash, dem das anislastige, intensive Thai-Basilikum guttut: „Der ist mit seinen asiatischen Noten besser als ein normaler Gin Basil Smash.
Im Schatten der S-Bahnbögen zwischen Hackescher Markt und Alexanderplatz blüht mit dem „Avocado Club" insbesondere abends ein noch etwas verborgenes Pflänzchen. Die Dinner-Karte ist konsensfähig, gerade auch, wenn konservativere Esser überzeugt werden sollen. Mein Überraschungssieger war ein Boeuf Bourguignon auf Serviettenknödel. Die Avocado steckt in der Knödel-Scheibe und erzeugt eine wölkchenweiche, fluffige Textur. „Das Bœuf ist fast schon italienisch, nicht so eintopfartig wie in Frankreich", meint die Freundin. Dafür ist die zwölf Stunden lang mit Möhren geschmorte zarte Rinderbrust umso stückiger. Bei den Tagliatelle mit Avocado, Pesto und Tempura-Ei wiederum wird es ultimativ italienisch wohlfühlig. „Ein gelungenes Upcycling eines Basic-Essens" meint die Freundin. „Und eine coole Idee, die Tempura-Hülle mit Rote Bete einzufärben." Der Parmesan wird aufgeschäumt und gibt sich fein: „Von diesem Add On hätte ich gern noch mehr gehabt."
Avocado selbst im Nachtisch
Den „Avocado Club" gibt’s schon länger als ein dreiviertel Jahr. 2019 eröffneten Nguyen und Pham ihn in einer abgelegenen Seitenstraße im Friedrichshain. Er zog bald schon Gäste aus Charlottenburg oder Prenzlauer Berg an. „Wir hatten ein Alleinstellungsmerkmal", sagt Viet-Hai Nguyen. „Während Corona haben wir dann überlegt, wohin wir uns verändern wollten." Zwischen Kollwitzplatz und Mitte fiel schließlich die Entscheidung. „Wir sind zu ausgefallen für den Kiez im Prenzlauer Berg und haben uns mehr am Hackeschen Markt gesehen." Im Oktober 2021 gab’s das Reopening; seither ist der „Avocado Club" aus allen Richtungen und auch für spontan hereinschauende Gäste gut erreichbar. Bezahlbar sind die Gerichte allemal: Vegetarische Hauptgerichte wie die Avo Falafel oder Tagliatelle starten bei 14 Euro und steigern sich auf bis zu 22 Euro. Dann sind aber auch kostenintensivere Produkte wie Pulpo oder Fleisch mit im Spiel.
Die angenehmen Avo-Überraschungen ziehen sich bis zum Nachtisch durch. Avocado-Parfait zu Schokoküchlein oder Creme brûlée mit Grünfrucht und Beeren – was soll die Avocado da noch Großes, Neuartiges leisten? Doch sie schafft das. Das Parfait schmilzt cremig im Mund, während frische schwarze und rote Johannisbeeren säuerliche Akzente setzen. Das hausgemachte Schokoküchlein dazu ist weniger wuchtig als ich befürchte. Aus seinem schmalen Rahmen ergießt sich eine gar nicht mal kleine Menge warmer Schokocreme. Passt prima und killt uns nicht nach dem ausgewachsenen Essen.
Die grüne Creme brûlée dagegen hat eine käsekuchenartige, sogar eher leichte Konsistenz. Dabei stecken in der Avo-Version ebenfalls Eier und Sahne, sie ist keineswegs so vegan wie wir vermuten. „So eine pflanzliche Streckung tut der Creme echt gut", urteilt die kulinarische Begleiterin. Die verdichteten Kalorien sind unter ein paar weiteren frischen Beeren perfekt getarnt. Darauf einen Espresso Martini als Digestif! Mögen noch viele weitere Gäste in den „Avocado Club" finden, insbesondere abends, wenn Zeit zum ausgiebigen Genießen ist. Das Restaurant bietet eine überraschende, moderne Küche, die ziemlich alles aus der Avocado herausholt. Was noch fehlt, wird mit Kreativität ausgetüftelt oder selbst erfunden. Alle vier Wochen wechseln einige Gerichte. Damit auch in den nächsten Jahren möglichst viel Fantasievolles, Überraschendes und Wohlschmeckendes vom grünen Glücklichmacher auf die Teller kommt.