Ihre Stimme erinnert an Tina Turner, Amy Winehouse und Janis Joplin und klingt doch ganz eigen. Das Leben von Beth Hart, die mit Jeff Beck, Joe Bonamassa und Hans Zimmer zusammengearbeitet hat, ist von Höhen und Tiefen geprägt. In der Coronakrise nahm sie eine Hommage an Led Zeppelin auf.
Frau Hart, war es für Sie angenehm, bei einer Albumproduktion einmal keine eigenen Songs schreiben zu müssen?
Nein, nein, das Songschreiben ist bei Weitem das Schönste an meinem Job, erst dann kommt das Touren. Dieses Tribute-Album war die Idee meines Produzenten Rob Cavallo. Ursprünglich wollte er 16 orchestrale Led-Zeppelin-Stücke ohne Gesang für eine Broadway-Produktion umsetzen. Als Cavallo mit mir an meiner letzten Platte „War In My Mind" arbeitete, fragte er mich, ob ich Lust hätte, zwischendurch zu einer Streicherversion von „Whole Lotta Love" zu singen. Das Resultat gefiel ihm irgendwie. Später ging ich mit meiner Band auf Tour, die endete, als der Lockdown begann. Da erzählte mir mein Manager, dass Cavallo mit mir gerne ein Album mit Led-Zeppelin-Stücken aufnehmen wolle. Ich lehnte das Angebot ab.
Was missfiel Ihnen daran?
Normalerweise sage ich zu jedem Angebot erst einmal nein, weil ich Angst kriege. Und was Led Zeppelin betrifft: Ich hatte noch nie solch eine harte, aggressive Musik gemacht. Um das hinzukriegen, braucht es eine gehörige Portion Wut im Bauch. Als Mädchen hatte ich die, aber ich wurde bis zu meinem 35. Lebensjahr permanent mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Im Lockdown habe ich das Medikament zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder genommen. Alles, was ich so viele Jahre lang verdrängt hatte, kam dadurch wieder hoch, denn ich hatte wegen Corona ja keine Bühne mehr, um meine Gefühle rauszulassen. Mir fehlten der Schweiß und der Ansporn, wenn man neun Monate im Jahr auf der Bühne steht und diese Dämonen vor einem Publikum rauslassen kann. Um das zu kompensieren, habe ich gegärtnert, einen ganzen Wald gepflanzt, 76 Songs geschrieben und wie wahnsinnig gemalt. Ich habe gebacken, gekocht und geputzt. Aber nichts davon konnte diese Spannung lindern, weil ich nicht mehr auf die Bühne rannte. Und wenn alles stehen bleibt, beginne ich, mich selbst zu betrachten.
Was sahen Sie da?
Ich konnte sehen, dass ich weit davon entfernt war, alles im Griff zu haben. Ich war nicht mehr betrunken, übergab mich nicht mehr, hungerte nicht mehr und schnitt mich nicht mehr, aber ich tat immer noch andere zerstörerische Dinge, die typisch für eine Sucht waren. Ich hatte viel Wut auf mich selbst.
Waren Sie zu der Zeit viel allein zu Hause?
Ich machte den Fehler, meine Mutter für sechs Monate zu mir zu holen, um sie vor Corona zu schützen. Das war quälend. Dazu kamen all die verblödeten Wichser, die leugnen, dass es so etwas wie Covid-19 überhaupt gibt – das alles machte mich so richtig wütend. Da gehen Menschen auf die Straße, um sich für die Rechte von Frauen, Homosexuellen, Transgender-Leuten, Schwarzen oder Einwanderern einzusetzen, aber irgendwelche Arschlöcher von Politikern leugnen das einfach.
Und diese Wut haben Sie dann in Musik umgesetzt?
Zuerst einmal bat ich Rob Cavallo, mir sämtliche Led Zeppelin-Platten zu schicken, denn ich hatte nichts von ihnen. Ich kannte nur „Whole Lotta Love", „Stairway To Heaven" und „Babe I’m Gonna Leave You", weshalb ich alles über sie lernen wollte. Das war eine echte Herausforderung. Und dann schickte Rob ein mobiles Aufnahmestudio zu mir, während er und sein Toningenieur sich via Zoom dazuschalteten.
Was war für Sie die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Sich dabei wie eine Frau zu fühlen. In meiner Generation wurden Frauen in der harten Rockmusik kaum beachtet, im Punk war das schon anders. Das war sehr schwierig für mich. Ich wusste, dass ich die Stücke gut genug lernen musste, um der Art und Weise, wie Led Zeppelin sie gemacht haben, gerecht zu werden. Ich musste sie mir aber auch zu eigen machen, und das war ein sehr schmaler Grat.
„Das war eine echte Herausforderung"
Wie sehr haben Sie sich dabei an Robert Plants Art zu singen orientiert?
Da musste ich sehr vorsichtig sein. Ich habe mir angeschaut, was Robert gemacht hat – und es bewusst wieder vergessen. Dann habe ich die Songs so gesungen, wie ich sie auch gesungen hätte, wenn sie von mir stammten. Wir nahmen 16 Stücke auf, und nur neun schafften es auf die Platte, weil ich es nicht immer hinbekommen habe. Es ist gut, bei solch einem Prozess Schiss zu haben, denn sonst wäre es dir egal. Ich habe persönlich erlebt, wie nervös Jeff Beck vor einem Auftritt ist. Das ist auch ein Grund, weshalb er so gut ist.
Wie ist Ihr Produzent dabei vorgegangen?
Schließlich hat Rob die Orchesterarrangements zurückgemischt und unglaublich gute Musiker wie den Gitarristen Tim Pierce und den Bassisten Chris Chaney dazugeholt. Der Drummer Matt Laug hat „Stairway To Heaven" eingespielt, und für den Rest war Dorian Crozier zuständig. Ich habe mich geweigert, ihn bei seinem Namen zu nennen, weil sein Spiel so abgefahren war. Er ist der Star dieser Platte, ein Killer! Ich sagte zu ihm: „Du musst deinen Namen buchstäblich ändern in Bad Motherfucker. Wenn dich dann die Cops anhalten, müssen sie zu dir sagen: ‚Mr. Motherfucker, steigen Sie aus dem Auto aus!‘" (lacht schallend). Er war so cool dabei. Das war vielleicht ein beängstigend gutes Hörerlebnis.
„Ich habe keine Chance gegen Led Zeppelin"
Gibt es ein Lied von Led Zeppelin, vor dem Sie besonders viel Angst hatten, das dann aber besser geworden ist, als Sie es sich vorgestellt haben?
„The Crunch", lieber Gott! Das war das Schwerste auf der Welt. Ich sagte zu Rob: „Ich habe nicht das Talent für diese vielen Wechsel!" Es gibt in dem Song keine Wiederholungen. Von Billie Holiday kenne ich das doppelte Backphrasing, aber Robert Plant: doppeltes Front- und Backphrasing! Er geht rein und raus. Wow! Wie haben Led Zeppelin es bloß geschafft, dieses Stück zu bewältigen? Bis mir irgendwann klar wurde, dass dies eine Hommage an James Brown ist. Ich habe es überprüft, es stimmt. Als ich das herausgefunden hatte, dachte ich beim Singen nicht mehr zuerst an Plant, sondern an Brown. Aber es war trotzdem verdammt schwierig. Von „The Crunch" hatten wir am Ende fast zehn Takes aufgenommen. Rob Cavallo ist ein außerordentlich geduldiger und mitfühlender Produzent.
Der experimentell-psychedelische mittlere Instrumentalteil von „Whole Lotta Love" ist einzigartig in der Rockmusik. Im Original ist darin ein sirenenartig gespieltes Theremin-Solo untergebracht, und das Outro fällt durch die Anwendung eines umgekehrten Nachhalls auf. Wie haben Sie diesen Part gespielt?
Das müssen Sie die Band fragen, ich war nicht dabei. Als ich die Gesangsspuren aufgenommen habe, gab es lediglich die Orchesterarrangements. Die Bandarrangements habe ich erst beim Abmischen zu hören bekommen.
„Stairway to Heaven" zu covern ist für viele Led-Zeppelin-Fans ein Sakrileg. War Ihnen das bewusst, als Sie es taten?
Ich war eigentlich bei jedem einzelnen Song nervös. Und Rob Cavallo auch, wie er mir am Ende gestand. Wir betraten ja gefährliches Terrain. Wie schaffen wir den Spagat zwischen der Art und Weise, wie die Songs geschrieben wurden, und dem vorsichtigen Einbringen eigener Gefühle? Wir wussten, dass es viele Leute geben wird, die auf uns spucken werden. Aber das ist Teil des Geschäfts. Man darf es nicht persönlich nehmen. Wenn du es versaust, wird niemand sterben.
Ging es Rob Cavallo bei der Auswahl auch darum, Songs von Led Zeppelin zu finden, die eine gewisse Sonderbarkeit haben?
Der erste Song, den wir aufnahmen, war „Babe, I’m gonna leave you". Für mich handelt er von meinem Vater. Ich bin zusammengebrochen, ja, das bin ich. (fängt an zu weinen und spricht dann mit zittriger Stimme weiter) Ich danke Rob so sehr, dass er mich bat, dieses Lied zu singen. Es war so heilsam und hat mich so demütig gemacht. Led Zeppelin, Jesus Christus, ich hatte keine Ahnung von ihrem Talent! Jimmy Pages Akkorde, sein Vokabular, seine Produktionen und Arrangements sind auf dem Niveau eines Beethoven-Rock-Monolithen. Ich gebe mir so viel Mühe beim Schreiben, aber ich habe keine Chance gegen Led Zeppelin. Dies ist die beste Sache, an der ich je teilgenommen habe.
Manche halten Led Zeppelins Texte durchaus für sexistisch. Es geht oft darum, dass die Frau untreu ist und nur das Geld des Mannes möchte. Darf der Rock’n‘Roll sexistisch sein?
Für mich sind sie kein bisschen sexistisch. Ich glaube nicht daran, der Kunst Regeln aufzuerlegen. Auf keinen Fall! Kunst soll die Gesellschaft zu ihrer Zeit widerspiegeln. Sie reflektiert die Geschichte und macht Projektionen für die Zukunft. Normalerweise schreibt man, was man weiß und fühlt. Als ich also Robert Plants Gesamterzählung zuhörte, fand ich, dass er das einfach schreiben musste. Er hatte aber noch andere Themen.
Welche denn?
Jemand in seinem Stammbaum muss sich sehr gut in Geschichte ausgekannt haben, denn Robert schrieb viel über die Wikinger und Krieg. Was mich wirklich berührte, war, als ich mir „Stairway To Heaven" genauer anhörte. Robert muss das über eine Frau geschrieben haben, vielleicht seine Mutter oder Schwester. Er konnte sich in sie hineinversetzen und hatte Mitgefühl für das, was sie versuchte, um in den Himmel zu kommen, egal auf welche Weise. Dieses empathische Lied lässt mich an meine eigene Schwester Sharon denken und daran, was sie durchmachte, bevor sie an Aids starb. Plant ist für mich ein ebenso großer Dichter wie Jim Morrison.
„Ich verändere mich ständig"
Musste jeder einzelne Song für Sie persönlich eine Bedeutung haben?
Ja, sonst hätte ich ihn nicht singen können. „Babe I’m Gonna Leave You" handelt von meinem Vater, der die Familie verließ, als ich sieben Jahre alt war. In „Black Dog" geht es darum, ein aggressives, dominantes Weib zu sein. Ich liebe das, weil es gegen meine Angst hilft. Das Gleiche gilt für „Whole Lotta Love" – knallhart. „The Crunch" ist sexy und durchtrieben, und da kann ich mich reinsteigern. „Stairway To Heaven" erinnerte mich an meine Schwester. Es war sehr schmerzhaft zu singen, aber ich habe es geschafft. Wenn wir es live spielen, dann nur akustisch wie ein Gebet.
Für Sie hatten die Hardrocker von Led Zeppelin auch eine weiche Seite?
Was ich wirklich interessant fand und was mich am meisten umgehauen hat, war, dass ich hören konnte, dass Plant zweifellos viele Soul- und Blueskünstler studiert hat. Und Page ist mit klassischer Musik à la Beethoven aufgewachsen, was man an seinen Arrangements und wilden Akkorden hört. Und er fügte Metal, Blues und Soul hinzu. Als Kind habe ich ausschließlich Blues, Soul, Reggae, Punk, Singer-Songwriter, Klassik und ein bisschen Iron Maiden, Black Sabbath oder Rush gehört. Aber jetzt weiß ich, dass Led Zeppelin Meister waren. Für mich ist klassische Musik eine perfekte Darstellung von Geisteskrankheit und einer Achterbahnfahrt des Lebens. Led Zeppelin hat viel davon, mit noch härteren Ecken und Kanten im Klang. Das war ein Segen für mich. Aber dann habe ich mich kürzlich mit Covid-19 infiziert.
Wie geht es Ihnen seitdem?
Die Infektion hat meine Stimmung noch viel schlimmer gemacht. Sie hat nicht meinen Körper, sondern meinen Geist angegriffen. Das Virus ist schlau, es greift gezielt deine Schwachstellen an, was mich sehr gruselt. Mein Traumaspezialist sagt, dass bei allen seinen Patienten mit Covid das Gehirn attackiert wurde. Die ersten zweieinhalb Wochen konnte ich nicht aufstehen, nicht spielen oder Musik hören und mich auch nicht von meinem Mann umarmen lassen. Ich fühlte mich in die Zeit zwischen sieben und 17 zurückversetzt, die meine traumatischsten Jahre waren. Ich begann mich zu verstecken und konnte nicht mehr in meinem eigenen Bett schlafen. Die Infektion hat immer noch emotionale Auswirkungen auf mich.
Viele Musiker wollen Musik machen, die noch nie dagewesen ist. Was wollen Sie?
Ich verändere mich ständig, ich kann nicht anders. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit vielen verschiedenen Genres aufgewachsen bin. Normalerweise sind meine Platten ziemlich eklektisch. Ich vermische zum Beispiel Hip-Hop mit Soul und ein bisschen Rock’n’Roll.
Sie sind auch auf Hans Zimmers Soundtrack zu dem Netflix-Film „The Unforgivable" von „Systemsprenger"-Regisseurin Nora Fingscheidt zu hören. Wie war es, mit dem deutschen Oscar-Preisträger zu arbeiten?
Auf dem Soundtrack gibt es keine Texte. Hans sagte, ich solle mir zuerst den Film auf dem Bildschirm anschauen und dann rausgehen, damit ich nicht höre, was er mit seinem Kreativpartner David auf dem Piano und dem Keyboard gerade komponiert. Und dann holten sie mich wieder rein und wiederholten eine bestimmte Filmszene 15 Minuten lang immer wieder. Meine Aufgabe war es, Sandra Bullocks Geheimnisse zu vertonen, die sie nicht preisgeben kann. Es wird also viel geschrien, geweint, gesummt, geärgert und geknurrt. Eine völlig andere künstlerische Erfahrung, als ich sie je zuvor gemacht hatte. Direkt danach traf ich mich in Nashville mit meinem Buddy James House zu einer Schreibsession. Er schlug vor, etwas Bluesiges gemischt mit Kuriositäten aufzunehmen, wie der Soundtrack mit Zimmer.