Der Vorstand des Zweitligisten hat Martin Kind als Geschäftsführer des Clubs abberufen. Die Entmachtung läuft jedoch nicht so reibungslos wie geplant. Im Verein herrscht erneut schlechte Stimmung.
Der mächtige Clubboss, der seit 1997 den Verein anführt, sollte mit sofortiger Wirkung entmachtet werden. So war die Theorie der Verantwortlichen. Ob das so reibungslos funktionieren würde, wurde bezweifelt – und kann jetzt mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Die Gründe dafür liegen auch in der Struktur des Vereins. Vor 23 Jahren wurden der Lizenzfußball bei Hannover 96 ausgegliedert und der „Hannover 96 GmbH & Co. KGaA" gegründet. Kind übernahm das in mehrere Gesellschaften aufgeteilte Profifußball-Geschäft. Die Management GmbH bestellt in diesem Konstrukt den Fußball-Geschäftsführer, der bis vor zwei Wochen Martin Kind hieß. Wegen der 50+1-Regel besitzt der Mutterverein allerdings die Mehrheitsrechte. Dort haben seit 2019 – mit Kind-Nachfolger Sebastian Kramer als Vorsitzender – Vertreter der Fan-Szene das Sagen. Ihr Ziel: Der Club sollte wieder demokratischer aufgestellt werden. Kind hatte einen Prozess der mehrheitlichen Veräußerung des Profifußballs eingeleitet, vor drei Jahren sollte mit dem „Hannover-Vertrag" ein Kompromiss gefunden werden: Der Verein lässt Personal und Politik der Fußballsparte unangetastet. Im Gegenzug wird der marode Breitensport finanziell unterstützt. Kinds Macht hatte aber vor drei Jahren bei dem gescheiterten Versuch, Robert Schäfer als seinen potenziellen Nachfolger in der Geschäftsführung zu installieren, erste Risse bekommen. Jetzt scheinen diese zu Gräben und somit unüberwindbar zu werden. Was war passiert?
Eine Lösung zeichnet sich nicht ab
„Das sind doch Nebenkriegsschauplätze, die angeblich so wichtigen Gründe nennen sie ja nicht", sagte der 78-Jährige, über dessen Rolle die Mitglieder und Anhänger des Vereins seit Langem streiten, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ). Zuvor war die Spitze des Vereins Hannover 96 am Sonntag in einem Brief an die Mitglieder Kind empfindlich angegangen. Der langjährige Club-Präsident, der einige prominente Gesichter der Stadt hinter sich versammelt, soll laut der Darstellung gegen Verträge verstoßen, bereits vereinbarte Zahlungen zurückgehalten und Rechnungen ohne vertragliche Grundlage gestellt haben. Aufgeführt werden Summen im sechsstelligen Bereich. Kind habe durch sein Handeln die Satzung der Deutschen Fußball Liga (DFL) und den sogenannten Hannover-96-Vertrag verletzt, hieß es: „Um die Lizenz nicht zu gefährden, war das Handeln des Vorstandes somit zur Sicherung des Profifußballs zwingend notwendig." Die „wichtigen Gründe", die zu Kinds Abberufung geführt hatten, wurden in dem Brief der Vereinsführung mit Verweis auf das laufende gerichtliche Eilverfahren allerdings nicht explizit benannt. Der Geschäftsmann hat jedoch eine Antwort parat. Martin Kind darf dank einer Entscheidung des Landgerichts Hannover vorerst weiter als Geschäftsführer bis zum Termin einer mündlichen Verhandlung arbeiten. Eine Verfügung regelt, dass Kind bis zur Verhandlung am 16. August gewöhnliche und dringende Geschäfte der Management GmbH fortführen darf, wie das Landgericht auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Kind hält die Abberufung nicht für rechtmäßig und ficht sie juristisch an. Seitdem wird das Verhältnis zwischen dem Mutterverein einerseits und Kinds Profifußball-Bereich andererseits immer angespannter. Nach dem Vorwurf des Vertragsverstoßes gegen Kind hat der Profifußball-Bereich die Anschuldigungen des Stammvereins bestritten. „Die weitere juristische Aufarbeitung der aufgestellten und zugleich Herrn Martin Kind diskreditierenden Behauptungen wird auf juristischer Ebene, und zwar mit allen damit verbundenen Konsequenzen, erfolgen, um weitere Schäden und Gefahren von Hannover 96 abzuwenden", teilte die KGaA mit.
Problematisch wird dieser Sachverhalt vor allem aufgrund der 50+1-Regel. „Die Management GmbH ist zwischengeschaltet, gerade um die 50+1 zu halten, damit man sagen kann: Das gehört mir, mir Mutterverein, mir e. V. – und dadurch habe ich eine Verfügungsgewalt über die Lizenzspielerabteilung", sagte der Anwalt für Sportrecht, Kolja Hein, dem NDR.
Mit anderen Worten: Sollte Clubchef Kind, der vor dem Landgericht in Hannover auf „Anspruch auf Fortführung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer" ebenjener Management GmbH klagt, am 16. August Recht bekommen und gegen den Willen des e. V. im Amt bleiben, wäre diese Verfügungsgewalt und damit die 50+1-Regel ausgehebelt. Allerdings ist auch unklar, wie es bei einem gegenteiligen Urteil weitergehen soll: Wie viel Lust hätte ein Investor, Geld in einen Verein zu pumpen, in dem er nicht mehr das Sagen hat?
Auch aus diesem Grund hatte Mitgesellschafter Dirk Roßmann das Vorgehen der Führung des Muttervereins bereits kritisiert: „Die Position, die einen zahlen – in meinem Fall einen zweistelligen Millionenbetrag – und die anderen bestimmen, wo es langgeht, hat noch nie funktioniert", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Kinds Klage dürfte auf jeden Fall dafür sorgen, dass die komplizierte 96-Struktur mit mehreren Gesellschaften und damit auch die Lizenz für den Fußball-Zweitligisten zumindest einer genaueren Prüfung unterzogen wird. Zu klären wäre, ob Weisungsrecht bedeutet, dass der e. V. den Geschäftsführer ohne mehrheitliche Zustimmung des Aufsichtsrats abberufen kann. Und auch, ob durch eine etwaige Blockade des Kontrollgremiums 50+1 verletzt wäre.
Auch auf dem Platz läuft es nicht
Im Falle der Abberufung Kinds sprach der Verein von „wichtigen Gründen", unter anderem soll die Kapitalseite um Kind vertraglich vereinbartes Geld nicht an den e. V. überwiesen haben. Zudem wurde die Intransparenz bei wirtschaftlichen Entscheidungen bemängelt. Hier gibt es viel Spielraum für Interpretation: „Was ist Intransparenz? Muss ich jeden Tag was erläutern, was besprochen wurde, oder mache ich das jede Woche? Jeden Monat? Müssen nur die Basic Infos weitergeleitet werden, da müsste man sich mal genau den Vertrag angucken, was da vereinbart wurde", sagte Jurist Hein. Nach Informationen der „Neuen Presse" werden in Hannover offenbar erste Hintergrund-Gespräche über eine mögliche Kompromisslösung in der Zukunft geführt. Eine Idee ist demnach, die ausgegliederte Profifußball-Gesellschaft künftig von zwei Geschäftsführern leiten zu lassen, von denen einer in diesem Fall der aktuelle Sportdirektor Marcus Mann sein soll. Auf einen gemeinsamen Geschäftsführer und Kind-Nachfolger haben sich Vereins- und Kapitalseite bislang nie einigen können. Der von Kind und Mitgesellschafter Roßmann eingesetzte Robert Schäfer wurde von der e. V.-Führung abgelehnt. Umgekehrt lehnt Kind Andreas Rettig ab, den Favoriten der Gegenseite. Aber zunächst sind am 16. August die Richter am Landgericht in Hannover am Zug.
Während es also in Hannover neben dem Platz ordentlich kracht, läuft es auf dem Platz auch nicht runder, und der neue Trainer und Heilsbringer Stefan Leitl hat einige Probleme, die Mannschaft nach der verkorksten letzten Saison wieder in die Spur zu bekommen. Immerhin: Am vergangenen Wochenende gab es mit dem glücklichen 1:0 gegen Regensburg den ersten Saisonsieg. Es erinnert alles an die vergangene Saison. Vor einem Jahr, unter Ex-Trainer Jan Zimmermann, stolperte Hannover 96 in die Saison: Drei Spiele, ein Punkt, Platz 15. Zimmermann hatte zu dem Zeitpunkt nur eine „halbe Truppe" zur Verfügung. Im Gegensatz dazu ist Nach-Nachfolger Stefan Leitl in einer Komfort-Situation. Die ziemlich komplette neue Mannschaft mit elf Neuen hatte der Trainer fast die gesamte Vorbereitung zusammen. „Es ist mehr als ärgerlich", gibt auch Mann zu. „Wir wollen nichts schönreden, haben uns den Start ganz klar anders vorgestellt. Der Sieg wird uns aber guttun. Wir sind von unserem Weg überzeugt, werden ihn weitergehen – und ein paar Dinge anpassen." Eins ist in Hannover klar: Langweilig wird es in den nächsten Wochen nicht. Weder auf noch neben dem Platz.