Der junge Deutsch-Amerikaner Amon-Ra St. Brown sorgt in der NFL für Furore und stellt sogar seinen älteren Bruder Equanimeous in den Schatten. Der Wide Receiver will aber noch höher hinaus, sein enormer Ehrgeiz ist im für ihn enttäuschend verlaufenen Draft begründet.
Diese Flugshow war vielleicht sogar noch spektakulärer als der Rekord. Amon-Ra St. Brown fängt einen Pass von seinem Quarterback und läuft der Defense der Minnesota Vikings auf und davon, etwa 30 Yards macht er dabei gut. Er sprintet auf den letzten Gegenspieler zu, der kurz vor der Touchdown-Linie wartet und ihn über seine massige Schulter springen lässt. St. Brown fliegt etwa acht Meter durch die Luft, landet auf dem Rücken, rollt sich ab – und jubelt. Mit dieser spektakulären Aktion begeisterte der Wide Receiver die Football-Fans in den USA, auch wenn er die 24:28-Niederlage der Detroit Lions bei den Vikings nicht verhindern konnte und auch einen deutschen Rekord knapp verpasste.
Sechs Touchdowns in sechs Spielen
In sechs aufeinanderfolgenden Spielen in der National Football League (NFL) war dem Deutsch-Amerikaner jeweils ein Touchdown gelungen, gegen Minnesota Ende September riss die Serie. Sechs Spiele in Serie mit jeweils mindestens sechs Punkten in der Endzone hatten zuvor nur die NFL-Spieler Leon Hart (1951) und Herman Moore (1994) geschafft. In diesen sechs Spielen fing St. Brown jeweils mindestens acht Pässe – das war sogar ein Liga-Bestwert. Das erreichten vor ihm nicht einmal NFL-Ikonen wie Randy Moss oder Rob Gronkowski. „Die Rekorde sind, was sie sind", sagte St. Brown nach seinem sensationellen Saisonstart betont gelassen: „Ich gehe nicht mit dem Gedanken in ein Spiel: ‚Yo, lass mich diesen Rekord aufstellen!‘ Das passiert einfach so."
Auch persönliche Auszeichnungen wie die zum „NFC Offensive Player of the Week" lassen den Athleten nicht abheben. „Ich denke, das ist jetzt normal. Ich bin überhaupt nicht mehr überrascht. Wenn ich den Preis sehe, bin ich nicht mehr aufgeregt", sagte St. Brown: „Diese Auszeichnung war cool, ich sehe, dass die Leute sie gerne posten und mir gratulieren, aber ich kümmere mich nicht darum. Mein Ziel ist größer als das." Ihm reicht es nicht, nur beim Start zu glänzen. Er will in dieser Spielzeit hoch hinaus. „Ich habe für meine zweite Saison ein paar größere Ziele", sagte St. Brown. Er wolle auf insgesamt 1.000 Yards Raumgewinn kommen, zehn oder mehr Touchdowns erzielen und ins All-Star-Spiel der NFL gewählt werden. Und das ultimative Ziel Super Bowl? „Das kommt danach", sagte er mit einem Lächeln. Er sei generell ein sehr ehrgeiziger Mensch: „Ich will mehr. Ich will mehr als nur das, egal ob Play-offs, Super Bowl, Pro Bowl, All-Pro, was immer es ist. Ich will mehr."
Es wäre aber schon eine Überraschung, sollten die Lions überhaupt die Play-offs erreichen. In der Vorsaison kam das chronisch erfolglose Team nur auf drei Saisonsiege – aber einer durfte sich schon damals als Gewinner fühlen: Amon-Ra St. Brown. Ihm gelangen gleich in seiner Premierensaison sechs Touchdowns, damit avancierte er zu einem der besten Rookies, den Detroit je hatte. Besonders sein allererster Touchdown vier Sekunden vor Schluss gegen Minnesota, der den befreienden ersten Saisonsieg brachte, wird ihm immer in Erinnerung bleiben: „Mein erster Touchdown hätte nicht besser sein können. Vor dem Spiel hatten wir noch nicht gewonnen, danach war in Detroit ein großer Hype."
Den gibt es aktuell im ganzen Land auch um ihn persönlich. Angesichts seiner starken Leistungen dürften sich viele Clubbesitzer ärgern, dass sie St. Brown beim NFL-Draft 2021 verschmäht haben. Erst in Runde vier wurde der hochtalentierte Passempfänger an 112. Stelle von Detroit gezogen, was für ihn eine Enttäuschung war. Aber aus diesem Rückschlag scheint er viel Motivation zu ziehen. Und klar ist auch, dass der gute Saisonstart ihm Selbstvertrauen verschafft. „Ich würde sagen, dass ich stolz auf meine Konstanz bin, definitiv", sagte St. Brown: „Das ist etwas, das ich sehr ernst nehme." Über die für sein junges Alter beeindruckende Konstanz schwärmte auch Lions-Trainer Dan Campbell in höchsten Tönen: „Stabiler geht es nicht. Du kannst dich jeden Tag darauf verlassen, dass er abliefert." Und damit meinte der Headcoach nicht nur die Situationen, in denen St. Brown selbst glänzt. Der Wide Receiver spiele mannschaftsdienlich, blocke zum Beispiel auch Gegenspieler, um freie Räume für seine Teamkollegen zu schaffen, erklärte Campbell: „Er ist ein Pitbull, der als Receiver spielt."
Der Vater sorgte für Disziplin
Diese Körperlichkeit in St. Browns Spiel kommt nicht von ungefähr. Schon im Alter von fünf Jahren machte er unter der Anleitung seines amerikanischen Vaters John, der früher einer der besten Bodybuilder der Welt war, im heimischen Anaheim in Kalifornien Krafttraining. „Es ist ein bisschen krank, aber es war normal für mich", sagte St. Brown im ZDF-Sportstudio: „Als kleines Kind war ich immer stärker und schneller als alle anderen." Außerdem habe es ihm sehr früh Disziplin beigebracht. „Mein Vater war beim Sport immer sehr streng mit uns." Damit meinte er sich und seine zwei älteren Brüder Equanimeous und Osiris. „Es war viel Konkurrenz in unserem Haushalt", sagte Amon-Ra. Gesunde Konkurrenz, wie er betonte: „Das hat viel Spaß gemacht. Wir sind Brüder, das machen Brüder."
Während Osiris (24) derzeit an der Stanford University College-Football spielt, hat auch Equanimeous (25) bereits den Sprung in die NFL geschafft. Vor der Saison war der Wide Receiver von den Green Bay Packers zu den Chicago Bears gewechselt, wo er einen guten Start hinlegte. Gleich zum Auftakt gelang ihm beim 19:10-Sieg gegen die San Francisco 49ers ein Touchdown zur wichtigen 13:10-Führung. Das Kuriose: Am selben Abend gelang auch seinem drei Jahre jüngeren Bruder Amon-Ra ein Touchdown. Ihre gemeinsame deutsche Mutter, die zu Hause in Leverkusen die Spiele verfolgte, schrieb ihren Jungs aufgeregt Nachrichten zum ersten deutschen Brüder-Touchdown-Doppelpack in der NFL-Geschichte.
Analysiert werden die Spiele der St. Brown-Brüder aber von Vater John, dem einstigen „Mister Universe". „Er schaut alle Spiele von uns dreien an, ob vor dem Fernseher oder im Stadion", verriet Amon-Ra. Danach folge in der Regel ein Anruf und eine Einschätzung über die abgerufene Leistung. „Er hat uns von klein auf begleitet. Seine Meinung ist uns sehr wichtig." Der Vater war es auch, der seinen Söhnen unbedingt sehr spezielle Namen geben wollte, weil sie Stärke ausdrücken sollen. Der Name „Amon-Ra" zum Beispiel geht auf einen ägyptischen Sonnengott zurück. Zudem war dem Familien-Oberhaupt der Nachname „Brown" für seine Sprösslinge zu banal, also ließ er nach der Geburt das „Saint" in die offiziellen Urkunden hinzufügen. „Fast jeder Afroamerikaner hat diesen Nachnamen, deshalb wollte unser Vater aus unserem etwas Besonderes machen", erklärte Amon-Ra: „So kam das St. zum Brown."
In der Receiver-Dynastie sah sich Equanimeous lange vorne („Ich bin der Beste"), doch sein kleiner Bruder scheint ihm gerade den Rang abzulaufen. „Das kann er jetzt nicht mehr sagen", meinte Amon-Ra lächelnd. Das Verhältnis sei trotz aller Rivalität „sehr gut", der Jungstar ist seinem älteren Bruder sogar „sehr dankbar", dass er ihm in gewisser Weise den Weg in den Leistungssport geebnet hat: „Als ich kleiner war, hat er immer alles als Erster gemacht: High School, College, NFL. Wenn er ein paar Fehler gemacht hat, konnte ich immer davon lernen." Und St. Brown lernt schnell. Nichts hasst er mehr als Fehler, er will sie mit aller Macht verhindern. „Ich bin gerne perfekt in allem, was ich mache. Wenn ich einen Fehler mache, dann bin ich hart zu mir." Neben seiner enormen Geschwindigkeit, der beeindruckenden Beweglichkeit und der Fangqualitäten ist die Mentalität wohl seine größte Stärke. „Ich mache keinen Fehler zweimal", behauptete er.
Football-Euphorie in Deutschland
In seiner Mannschaft wird Amon-Ra hoch geschätzt. „Ich habe Glück, mit ihm zusammenzuspielen", sagte Lions-Quarterback Jared Goff, der auf dem Feld am liebsten St. Brown anspielt. „Er ist sehr beweglich, er ist sehr schnell, er kann irgendwie alles was du willst und ist immer an der richtigen Stelle", schwärmte Goff: „Er versteht die Deckung und ist schlau, er blockt hart und ist uneigennützig. Das ist alles, was du bei einem Receiver haben willst." Angesprochen auf die Entwicklungsmöglichkeiten seines jungen Mitspielers antwortete Goff mit der typischen US-Binsenweisheit „The Sky ist the Limit" – der Himmel ist die Grenze. Für Detroit ist es ein Geschenk, dass die Topclubs vor einem Jahr das wahre Potenzial des Spielers, der schon in der High School und am USC College in Kalifornien zu den besten Passempfängern des Landes zählte, offensichtlich nicht richtig einzuschätzen wussten. Auch in Deutschland, wo American Football vor allem bei Kindern und Jugendlichen immer beliebter wird, ist der Aufstieg von Amon-Ra St. Brown nicht verborgen geblieben. Als er im vergangenen Sommer erstmals seit sieben Jahren wieder nach Deutschland kam, war er überrascht über die Football-Euphorie in seiner zweiten Heimat. „Ich habe in Köln eine Autogrammstunde gegeben, und die Besucher waren richtige Footballfans. Die Stimmung war verrückt. Das war vor sieben Jahren nicht so." In Deutschland sei das Spiel mit dem eiförmigen Leder „wie eine neue Sportart, und die Fans lieben sie. Ich fühle es". Auf seinen sozialen Netzwerkseiten habe er viele Follower aus Deutschland, die ihm auch fleißig Nachrichten schreiben, „das ist sehr cool zu sehen". Er könne zum Beispiel durch noch mehr Interviews im deutschsprachigen Raum mithelfen, die Sportart dort noch populärer zu machen. „Wir möchten natürlich ein Vorbild sein für Kinder und sie auch dazu bringen, Football als Sportart auszuprobieren."
Am besten funktioniert das aber durch Leistungen auf dem Platz. Und da liefert Amon-Ra St. Brown derzeit fast perfekt ab.