Bürger und Unternehmen sollen bei rasant steigenden Energiepreisen entlastet werden. Wie das umgesetzt und bezahlt werden soll, ist heftig umstritten. Der Blick auf den nächsten Wahltermin macht Einigungen nicht einfacher.
Der derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Hendrik Wüst, ist ein besonnener CDU-Politiker, der nicht gern auf Konfrontationskurs geht. Der Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, immer geschniegelt und gebügelt, will den Ausgleich. Schließlich regiert er das einwohnerrichste Bundesland zusammen mit den Grünen. Die sind wiederum Ampelpartner der Bunderegierung in Berlin. Und um das Verhältnis von Bund und Länder steht es derzeit nicht sonderlich gut.
Wüst musste als Eilmeldung aus den Nachrichten-Agenturen erfahren, dass seine für den letzten Mittwoch im September geplante Sonder-MKP von Bundeskanzler Scholz abgesagt wurde. Für den NRW-Landeschef war Schluss mit der sonst bei ihm üblichen Contenance. Ein Vorsitzender der mächtigen Ministerpräsidentenkonferenz lässt sich ungern vom Kanzler in die Parade fahren. Erst recht nicht, wenn es ums Geld der Länder geht, um sehr viel Geld für das dritte Entlastungspaket als Antwort auf die aus dem Ruder laufenden Energiepreise. Die Länder sollen nach den Plänen des Bundes mindestens 20 Milliarden beisteuern.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident setzt die erste Sonder-MPK trotzdem an. Ohne Kanzler und damit ohne greifbares Ergebnis, dafür aber mit einem gigantischen Forderungskatalog der Länder als Ergebnis. Was allen Länderchefs, unabhängig von der politischen Farbe aufstößt, ist die Begründung des Kanzlers, warum er nicht teilnehmen wollte. Scholz verwies darauf, dass er in Corona-Quarantäne ist und das Thema zu ernst sei, um es virtuell mit den Länderchefs auszuhandeln. Das verlange seine persönliche Gegenwart, so Bundeskanzler Scholz. Während der Pandemie, also in nicht gerade minder ernsteren Zeiten, haben Video-Konferenzen prima funktioniert. Jetzt plötzlich nicht mehr? Billige Ausrede, sagen folglich nicht nur Unions-Ministerpräsidenten, sondern auch die Genossen Landeschefs der SPD. Selbst für sie wird immer deutlicher, wie schwer sich die von ihnen geführte Bundesregierung in Berlin derzeit tut.
SPD und CDU uneins bei Schuldenbremse
In der Ampel geht es munter drunter und drüber. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bleibt zunächst vehement bei seiner geforderten Gaspreisumlage. Dies auch, nachdem der schwer angeschlagene Gasversorger Uniper, Auslöser für die Gasumlage, verstaatlicht werden musste. Als Gegenentwurf zu dem Modell eines Zuschlags von 2,4 Cent pro Kubikmeter Gas für alle Verbraucher kam die Gaspreisbremse ins Spiel. Es war zunächst eine Idee von Linken, Sozialpolitikern und Verbraucherschützern, schließlich fand auch Bundeskanzler Scholz Gefallen daran. Im Raum stand dann die Idee, über eine Gasumlage die immensen Kosten einer Gaspreisbremse zu finanzieren. Die Kunden zahlen erst mal mehr für das Gas und seine Nebenprodukte und kriegen dann irgendwas zurück. Wobei das Mehr bei Einführung einer Gasumlage durch die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent abgefedert werden sollte. Selbst den Beteiligten fiel dann doch noch auf, dass das Konstrukt „Umlage finanziert Bremse" eher etwas aus dem finanzpolitischen Tollhaus haben könnte, welches nicht praktikabel ist und vor allem den Verbrauchern auch nicht mehr zu vermitteln ist.
Bei der zweiten Sonder-Ministerkonferenz innerhalb von einer Woche, diesmal im Kanzleramt mit präsentem Kanzler, wurde die Strom-, Gas- und Wärmepreisbremse dann „finalisiert", wie es im Politsprech im Berliner Regierungsviertel dieser Tage heißt. Bei der Finanzierung sind sich die SPD- und unionsgeführten Länder noch nicht ganz einig, aber zumindest die Richtung stimmt diesmal. Der Haken daran: Die SPD-Ministerpräsidenten wollen die Schuldenbremse auch im kommenden Jahr, zum vierten Mal in Folge, aussetzen, die Unionsländer sind dagegen. Darum nun ein möglicher Mittelweg: „Sondervermögen Energie". Die Ur-Idee dazu stammt von SPD-Co-Chefin Saskia Esken. Nach dem Vorbild des Sondervermögens Bundeswehr, um die Truppe wieder auf einen funktionierenden Stand zu bekommen, könnten so die Bürger und Unternehmen wieder befähigt werden, ihre Strom- und Gasrechnungen zu bezahlen. Mit dem „Sondervermögen Energie" könnte man Bundesfinanzminister Christian Lindner obendrein einen parteipolitischen Gefallen tun. Die Schuldenbremse würde im kommenden Jahr zumindest im Bund eingehalten, denn die neuen Energieschulden wären ja dann in einer Art Schattenhaushalt, vielleicht besser: Nebenhaushalt, untergebracht wie einem Schuldentauchbecken. Dieser finanzielle Schatten taucht dann weder in diesem noch im kommenden Jahr im Kernhaushalt des Bundes auf. Ist Sondervermögen also ein Schuldenbremsen-Umgehungsprogramm?
Für die Länder hätte das den Vorteil, dass auch die Kosten für das dritte Entlastungspaket, um das es ja eigentlich bei den Sonder-MPKs ging, ebenfalls in einem „Sondervermögen" untergebracht werden könnten. Es geht um immerhin mindestens 20 Milliarden Euro. Dazu formulierten die Ministerpräsidenten dann gleich noch weitergehende Forderungen an den Bund, zum Beispiel die finanzielle Unterstützung der Kommunen bei der Flüchtlingshilfe. Ukrainische Kriegsflüchtlinge werden umgehend anerkannt und bekommen dann Grundsicherung, die von den Kommunen bezahlt werden muss. Auch die Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten ab Januar kommenden Jahres, von derzeit gut 600.000 auf zwei Millionen Berechtigte, soll nun der Bund komplett übernehmen. Eigentlich ist das Aufgabe der Länder.
Eine erste Überschlagrechnung der Länderforderungen geht von einem finanziellen Gesamtpaket von 130 bis 150 Milliarden aus. Aus dem dritten „wuchtigen Entlastungspaket" der Bundesregierung, wie es Finanzminister Christian Lindner nannte, ist damit eine wuchtige Finanzierungsaufgabe vor allem für den Bund geworden – wenn es nach dem Willen der Länder geht.
Länder fordern vom Bund Kostenübernahme
Eine Aufgabe, die logischerweise auch bei der zweiten Sondersitzung der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler am 4. Oktober nicht in geordnete Bahnen gebracht werden konnte. Dabei sind es nicht nur die Forderungen der Länder, die widersprüchlichen Vorstellungen von der Gasumlage zulasten der Verbraucher und der Energiepreisbremse.
Es ist auch eine Frage des politischen Willens. Und der wird regelmäßig vom Blick auf Wahltermine geprägt. Das wichtige Flächen- und Auto-Land Niedersachsen wird am zweiten Oktoberwochenende an die Urnen gerufen. Egal, welche Entscheidung zu Entlastungspaket und Energiepreisbremse fällt, sie wird und kann nicht wirklich alle Benachteiligten der hohen Energiepreise und die daraus resultierenden Auswirkungen berücksichtigen. Darum sind alle regierenden Parteien im Bund bemüht, die Entscheidungen zur Entlastung der Bürger und der Wirtschaft über den Wahltermin in Niedersachsen am 9. Oktober zu schleppen. Die FDP wird weiterhin auf der Schuldenbremse beharren, auch ein Sondervermögen wird vorerst abschlägig beraten. Alles andere wäre aus Sicht der Liberalen fatal. Die Grünen werden am Atomausstieg zum ersten Januar festhalten, auch wenn ihr Wirtschaftsminister Habeck längst zumindest ein Weiterlaufen von Isar II und Neckarwestheim in Süddeutschland in Aussicht gestellt hat. Die SPD steht derweil zwischen allen Stühlen, soziale Gerechtigkeit bei den Energiekosten, Hilfen für Handwerk und Mittelstand – und das dann noch alles mit soliden Staatsfinanzen im Einklang, dazu der Kampf gegen die galoppierende Inflation. Da kann halt jede Entscheidung die eigene Klientel in einer heißen Wahlkampfphase vor den Kopf stoßen.