Dank Handykamera kann man Bekannte an seinen Reisen teilnehmen lassen
Wenn man sich total fertig fühlt und Corona ausschließen kann, ist man urlaubsreif und sollte unbedingt verreisen. Wohin ist eigentlich egal.Hauptsache, man hat ein Handy mit guter Kamera dabei!
Am besten macht man schon gleich nach der Ankunft ein Selfie mit dem Ortsschild, damit jeder weiß, wo man ist. Danach sollte man unbedingt sein Urlaubsdomizil ablichten. Verfügt das Haus nur über zwei Sterne, erweist sich eine Nahaufnahme des Sterneschilds des noblen Nachbarhotels als sehr hilfreich, um in der Whatsapp-Gruppe Eindruck zu schinden. In den folgenden Tagen sollte Zeit genug bleiben, um Fotos von allen vorzeigbaren Ecken seines Hotels in den sozialen Medien zu posten.
Ein besonderes Augenmerk gilt natürlich dem Essen: Jedes einzelne Mahl sollte detailliert ins Bild und ins Netz gebracht werden, um den Speichelfluss der Daheimgebliebenen – von Zurückgeblieben sollte man besser nicht reden – zu aktivieren. Sitzt jemand am Nachbartisch vor einem dekorativeren Gericht, wird er sicher nichts dagegen haben, wenn wir lieber sein Filetsteak ablichten als unsere Currywurst. Es wäre ja unverantwortlich, wenn die Lieben daheim vor lauter Sorge um unser leibliches Wohl nächtens kein Auge mehr zu bekämen.
Das Posten von Urlaubsfotos hat auch überhaupt nichts mit Angeberei und Nase-Lang-Machen zu tun: Vielmehr dürsten Nicht-Urlaubsreisende förmlich nach stilvoll fotografierten Menüs, um mit ihrem mühseligen Alltag besser klarzukommen. Sollte unser Essen während der aufwendigen Fotoarbeiten kalt werden, spielt das keine Rolle, weil man das auf den Fotos ja nicht sieht und Ärzte ohnehin vorm Verzehr überhitzter Speisen warnen.
Routinierte Urlauber können sowieso die Handykamera auch während der Nahrungsaufnahme problemlos bedienen. Man sollte auf keinen Fall auf die Idee kommen, sein Mobilphone kurz mal abzulegen, etwa um das Hühnchenfleisch besser vom Knochen lösen zu können: Gerade in diesem Moment nämlich könnte auf einem der Nachbarteller etwas Spektakuläres passieren, das in der Dokumentation unseres Urlaubs eine unverzeihliche Lücke hinterließe.
Unklug ist es auch, an drei aufeinander folgenden Tagen jeweils eine Pizza ins Netz zu stellen. Selbst der letzte Stubenhocker daheim weiß längst, dass Pizzen zu den preiswertesten Gerichten gehören. Unbedingt im Bild festhalten sollte man dagegen den täglichen Eisbecher, damit jeder merkt, dass man es im Urlaub richtig krachen lässt und nicht nur verreist, weil man zu Hause die Energiekosten nicht mehr bezahlen kann.
Was fürs Essen gilt, trifft auf alle anderen Urlaubs-tätigkeiten ebenso zu: Jedes Ausflugsziel und jeder attraktive Grashalm sollten ebenso fotografiert werden wie alle anderen unvergesslichen Eindrücke, die man den Freunden zu Hause nicht vorenthalten darf. Manuelas knapper Bikini am keineswegs knappen Körper gehört ebenso ins Bild wie Manfreds raumfüllender Bierbauch oder ein putziges Tierfoto.
Vom Frühstücksei über den nachmittäglichen Aperol-Spritz bis zum Absacker um Mitternacht: All das findet in der Whatsapp-Gruppe gierige Abnehmer, die durch unser Fotobombardement rund um die Uhr in Atem gehalten werden und so von unserem Urlaub irgendwie mehr mitbekommen als wir selbst. Dass wir dafür jeden Tag vier Stunden Fotoarbeiten erledigen und ebenso lange die sozialen Medien versorgen, ist das Mindeste, was wir für die Daheimgebliebenen tun können. Urlaub nur für sich selbst wäre schließlich irgendwie unsozial.
Zu Hause kann man dann 14 Tage lang seine 1.600 Handy-Schnappschüsse um alle unbrauchbaren Aufnahmen reduzieren. Die verbleibenden zwölf Fotos sollte man ordentlich archivieren, um sie gegen Jahresende problemlos als Datenmüll entsorgen zu können.
Wenn man nach Abschluss der Bilder-Nachlese total fertig ist und keine Fotos mehr sehen kann, trudeln bereits massenhaft die Urlaubs-Schnappschüsse lieber Bekannter ein, die sich merkwürdigerweise kaum von unseren unterscheiden. Dann sind wir total begeistert und freuen uns bereits wieder auf die Revanche!