Der politische Betrieb in Bund und Ländern nimmt einiges an unerledigten Aufgaben mit in das neue Jahr. Dass 2023 wichtige Landtagswahlen auf dem Kalender stehen, erleichtert die Suche nach Lösungen nicht unbedingt.
In der ehemaligen DDR gab es im Volksmund über Jahrzehnte den wunderbaren Witz: Was sind die vier natürlichen Feinde des Sozialismus? Frühling, Sommer, Herbst und Winter! Genau diesen Stand scheinen wir mit Beginn des neuen Jahres 2023 wiedererlangt zu haben. Ist Petrus diesen Winter gnädig, reicht das Gas und damit auch der Strom in den kommenden Monaten. Bis November hat das bekanntlich hingehauen.
Der Dezember hat den Hoffnungen von Bundesnetzagentur und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und letztlich wohl allen Verbrauchern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Monat war, im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren, viel zu kalt. Die logische Folge von Kälte, Regen und dann noch tagelangem bundesweiten Dauerfrost: Waren die Gasspeicher – noch Anfang Dezember begleitet von täglichen Erfolgsmitteilungen der Bundesnetzagentur – „zu annährend 100 Prozent gefüllt“, ist der Füllstand nun schon auf unter 90 Prozent gesunken.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzt für den Winter auf Versorgung mit Flüssiggas (LNG). LNG-Terminals sind in einem für Deutschland ungewohnten Tempo entstanden, der erste Flüssiggastanker soll bereits im Januar an der Nordseeküste anlegen. Über die immensen Kosten für das vermeintliche LNG-Wunder spricht in der Bundesregierung derzeit lieber niemand mehr allzu laut.
Gasspeicherstand bleibt kritisch
Die beschlossenen Energiepreisbremsen für Gas und Strom sowie Unterstützungen bei Heizöl, Pellets und Flüssiggas mildern erst einmal die enorm gestiegenen Kosten für Verbraucher und Wirtschaft etwas ab.
Werden die Wintermonate Anfang 2023 richtig frostig, dann dürfte die Diskussion um Atomstrom neuen Auftrieb bekommen. Die drei verbliebenen AKWs sollen eigentlich nach dem Streckbetrieb Ende März beziehungsweise Anfang April endgültig die Produktion einstellen. Ob sich das Land das leisten kann und will, könnte erneut auf die politische Agenda kommen. Der Ampel-Koalitionspartner FDP hatte ohnehin eine längere Verlängerung für sinnvoll gehalten, die oppositionelle Union ebenfalls. Die Grünen sind strikt dagegen, haben die jetzige Verlängerung nur mühsam geschluckt. Die SPD weiß es noch nicht so genau, der Bundeskanzler steht nach seinem Machtwort eigentlich in der Pflicht.
Eine neuerliche Debatte darum würde wiederum in Wahlkampfzeiten fallen, wie schon vor den Landtagswahlen 2022.
Den ersten Wahlkampf erlebt derzeit Berlin. Ein ungewollter Winterwahlkampf als Folge massiver Pannen beim ersten Durchgang. Bei den Wiederholungswahlen in Berlin kämpft die rot-grün-rote Landesregierung ums politische Überleben. Ein Winterwahlkampf ist für die Partei-Kandidaten ohnehin kein Spaß. Für das seit 2016 regierende Bündnis aus SPD, Grüne und Linken ist es zusätzlich eine Herausforderung der besonderen Art, schließlich wird ihm die Schuld für die Wiederholungswahlen (nicht ganz zu Unrecht) in die Schuhe geschoben.
Die Wahl am 12. Februar in Berlin taugt allerdings kaum als genereller Test für die politische und gesellschaftliche Stimmung im ganzen Land. Dazu sind die Dauerprobleme in Politik und Verwaltung der größten Metropolregion Deutschlands zu speziell.
Trotzdem wird die Senatswahl eine Symbolkraft haben als Auftakt für ein Jahr mit Landtagswahlen, deren bundespolitische Bedeutung auf der Hand liegt. Das gilt weniger für Bremen (Bürgerschaftswahl am 14. Mai), auf jeden Fall aber für Bayern (8. Oktober) und Hessen (ebenfalls im Herbst).
Dass die Bayern-Wahl längst auch bundespolitisches Thema ist, dafür sorgen die Bayern schon selbst. Aber auch der Blick auf Hessen hat längst bundespolitische Dimension. Das liegt an Nancy Faeser (SPD). Sie ist seit einem Jahr erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums. Gleichzeitig ist sie aber auch seit 2019 Landesvorsitzende der Hessen-SPD und wäre damit eigentlich gesetzt als Spitzenkandidatin und Herausfordererin von CDU-Ministerpräsident Boris Rhein, der derzeit mit den Grünen regiert. Als Innenministerin hat sie sich Bekanntheit und Profil erarbeitet, für die Hessen-SPD wäre es eine Hoffnung, die seit 1999 regierende CDU endlich erfolgreich zu attackieren. Aber Faeser hat offenkundig auch Freude an ihrer Aufgabe in Berlin. Am liebsten, so heißt es gegenüber FORUM aus ihrem direkten Umfeld, würde sie beides verbinden: Spitzenkandidatur in Hessen und Innenministerin in Berlin mit Option, das im Fall eines für die SPD ungünstigen Ergebnisses in Hessen auch zu bleiben. Solche Doppeloptionen werden von Wählern in der Regel nicht sonderlich goutiert. Ein prominentes Beispiel grandiosen Scheiterns ist Norbert Röttgen (CDU), der am Ende beides (Wahl und Ministerposten) verlor.
2023 könnten einige Minister getauscht werden
In Berlin stellen darüber angesichts der Ausgangslage derzeit viele ihre eigenen Spekulationen an. Entscheidet sich Faeser für die Spitzenkandidatur in Hessen, wäre schließlich eine Kabinettsumbildung bei den SPD-Ressorts in Berlin wahrscheinlich. Bundeskanzler Scholz könnte seine zum Teil nicht besonders durchschlagende Personalauswahl vom 6. Dezember 2021 revidieren. Umbesetzungen in den Ressorts Inneres, Verteidigung, Gesundheit und möglicherweise auch im Arbeitsministerium sollen bereits Diskussionsthema sein. Und wie es sich für das Berliner Parkett gehört, werden viele Namen ins Gespräch gebracht. Zum Beispiel Andrea Nahles, obwohl die erst im vergangenen Sommer Chefin der Bundesagentur für Arbeit wurde. Oder SPD-Chef Lars Klingbeil als möglicher Verteidigungsminister. In solchen Phasen wird in Medienkreisen gelegentlich etwas einfach probeweise in den Raum gestellt, anderes aber auch gezielt lanciert.
Sicher ist eigentlich nur, dass sich zum gleichen Zeitpunkt, während mögliche Personalentscheidungen fallen, die meisten Bundesbürger mit ganz anderen Ärgernissen herumplagen müssen, wenn ihnen nämlich zum Jahresbeginn Heiz- beziehungsweise Betriebskostenabrechnungen auf den Tisch kommen. Verbraucherzentralen und Mietervereine bereiten sich schon jetzt auf einen wahren Ansturm vor. Und manche Anwaltskanzlei dürfte sich ebenfalls auf einiges gefasst machen. Das kompliziert ausgetüftelte System von Hilfs- und Unterstützungsleistungen dürfte einigen juristischen Klärungsbedarf nach sich ziehen.
Reichlich Klärungsbedarf zu Jahresbeginn bringt auch noch das sogenannte Deutschlandticket. Es soll und wird kommen – so das politische Versprechen. Entweder zum 1. April, was bereits jetzt als eher illusorisch anzusehen ist. Auch der 1. Mai wäre ein hübscher Frühlingstermin, doch ob das klappt, will Ende Dezember keiner, weder in Berlin noch in den Staatskanzleien der Länder, versprechen. Gut denkbar ist auch der 1. Juni, quasi als Jahrestag des 9-Euro-Tickets. Zwar ist der finanzielle Rahmen auf Bund-Länder-Ebene endgültig geklärt, aber womöglich hat man die Hürden der Umsetzung in einem höchst komplexen Klein-Klein zwischen Ländern, Kommunen und Verkehrsverbünden ziemlich unterschätzt. Revolutionen in Deutschland, vor allem im Bereich Mobilität, dauern halt länger. Das einzige, was sicher scheint, ist der Preis für das 49-Euro-Ticket.
Was bleibt zum Start ins neue Jahr, ist die Erkenntnis aus den letzten Jahren: Herausforderungen und Pläne sind bekannt – aber es kann auch alles ganz schnell ganz anders kommen.