Münchens Kulturszene leuchtet in diesem Sommer in besonders vielen Farbtönen. Denn die bayerische Landeshauptstadt feiert bis in den Oktober hinein das Flower Power Festival – unter anderem mit Ausstellungen, Street-Art und Konzerten.
Duftet es da nach Erblühen oder Vergänglichkeit? Wie durch einen zarten Märchenwald wandeln die Museumsbesucher zwischen den von der Decke herabbaumelnden Blumengirlanden. 200.000 getrocknete Blüten hat die Künstlerin Rebecca Louise Law aus London für diese fragile Kunstinstallation verarbeitet.
Laws florale Installation „Calyx“ ist der beglückende Schlusspunkt der Ausstellung „Flowers Forever“ in der Kunsthalle München. Die Schau zeigt sich als ereignisreiche Reise durch die Kulturgeschichte der Blume von der Antike bis zur digitalen Gegenwart. Auf intelligente Weise erzählt sie von der Rolle der Blume in Kunst, Religion und Wissenschaft, in Politik, Mode und Architektur.
Das ist Kunst, die Spaß macht. Entzückt laufen Besucher an dem virtuellen, vertikalen Blumengarten entlang, der sich durch die eigenen Bewegungen verändern lässt. Die KI-gesteuerte Rauminstallation „Extra-Natural“ des Künstlers Miguel Chevalier spricht geschickt mehrere Sinne an.
Von Claude Monet bis Cy Twombly
Die blumige Ausstellung bildet das Kernstück des Flower Power Festivals München 2023. „Bei den rund tausend Veranstaltungen dreht sich direkt oder indirekt alles um die Blüte“, sagt die Festivalleiterin Anna Kleeblatt, „um das Blühen in Wissenschaft, Nachhaltigkeit, Pflanzenvielfalt, Gartenkunst, Biodiversität und Ästhetik.“
Als ästhetischer Genuss erweist sich ebenso die aktuelle Ausstellung „La vie en rose“ im Museum Brandhorst. Das Haus mit seiner bunten Keramikfassade im Kunstareal München im Stadtteil Maxvorstadt besitzt den größten Bestand an Werken von Cy Twombly außerhalb der USA.
Dabei stehen die sechs monumentalen Bilder seines Rosen-Zyklus von 2008 im Zentrum. „Die Blumensymbolik kombiniert der Maler mit Gedichten“, erläutert Achim Hochdörfer, der Direktor der Brandhorst-Sammlung. „Twombly ging es um Themen wie Freiheit und Einsamkeit, Erotik und Erinnerung, Tod und Trauer.“
Ein Bouquet an Blumenbildern weiterer Künstler wie Claude Monet, Jan Brueghel oder Gerhard Richter zeigen, auf welch unterschiedliche Weise sich Maler seit Jahrhunderten mit dem Sujet Blume beschäftigen, oftmals aufgeladen mit Schönheit, Gefühl und Mehrdeutigkeit.
In kräftigem Gelb leuchtet die Kürbisblüte vor blauem Hintergrund auf einem Ölgemälde von Gabriele Münter, die zum „Blauen Reiter“ gehörte. Die weltweit größte Werksammlung dieser legendären Künstlergruppe des Expressionismus befindet sich in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, ebenfalls im Kunstareal München, nur ein paar Schritte weiter. Die farbintensiven Bilder zeigen nicht nur die berühmten blauen Pferde, sondern auch Bäume und Blumen.
Wie aus alten Stadtteilen in einer Metamorphose neue Kunstprojekte entstehen, das lässt sich im Münchener Schlachthofviertel aufspüren. Wo einst dem Vieh die letzte Stunde schlug, wird im neu gebauten Volkstheater unter der Regie von Christian Stückl auf einer modernen Bühne gespielt.
Gleich nebenan, auf dem Gelände des „Bahnwärter Thiel“ tobt die Off-Kultur. Ausrangierte Zugwaggons, Container, Bauanhänger – alles bunt bemalt, dazu Skulpturen aus recyceltem Fahrradschrott bilden das alternative Kulturzentrum. Im gemeinschaftlichen Bahngarten recken sich Blumen zur Sonne.
Lebhafte Street-Art-Bilder zieren die Mauer um den ehemaligen Viehhof, die von der Stadt offiziell dafür freigegeben wurde. „Street-Art startete früh in München“, erklärt die Gästeführerin Astrid Neubert, die sich auf „Viertelliebe“-Touren spezialisiert hat. „Es war in den 1980ern, dass erstmals ein ganzer S-Bahnzug, ein sogenannter Wholetrain, besprayt wurde.“ Loomit, der Graffiti-Sprayer von damals, ist inzwischen Mitte 50 und lässt sich längst für Spray-Aufträge bezahlen.
Im Kunstlabor 2 kommt man den Werken des bekannten Street-Art-Künstlers ganz nahe. Ein Hauch von Lost Places weht durch diesen ungewöhnlichen Austragungsort des Flower Power Festivals. Das riesige Gebäude des früheren Gesundheitsamtes beherbergt vorübergehend das Museum of Urban and Contemporary Art (MUCA).
Street-Art im Ex-Gesundheitsamt
„Wir haben Künstler eingeladen, die ehemaligen Arztzimmer zu gestalten“, sagt Boris Schmidt vom MUCA und leitet durch eine überraschende Welt von 360-Grad-Installationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Grotesk und surreal wirken die Pflanzen im Raum des „Floral Universe“ vom italienischen Maler Luca Ledda. Fast geschliffen dagegen die von hinten beleuchteten Motive aus den Roaring Twenties von Max Zorn, die der Tape-Art-Künstler aus Paketklebeband herstellt. Die Berliner Street-Art-Künstlerin Bona_Berlin kehrt in ihrem Werk „Die Kunst glotzt zurück“ Sehgewohnheiten um. Große Augen beobachten die Betrachtenden – auf unerwartet vielfältige Weisen. Die begehbaren Kunstwerke verteilen sich auf mehreren Etagen. Wer sich auf sie einlässt, wird in Welten entführt, die wie von Träumen inspiriert scheinen, mitunter mit Alptraum-Touch.
Eine blumige Freude macht sich jeder, der durch den Botanischen Garten München-Nymphenburg streift. Auf dem Lyrikpfad in der Farnschlucht ist die Dichtkunst sprichwörtlich auf die Blume gekommen. Poetische Wortbilder von Münchener Autoren baumeln versteckt zwischen Bambus und Büschen. Wirklich nah kommt man den Blumen im angegliederten Biotopia Lab vom Naturkundemuseum Bayern – analog und digital. Entdecker-Naturen legen sich auf den Schmetterlingsflugsimulator. Ausgestattet mit einer Spezialbrille fliegt man, angetrieben vom eigenen Flügelschlag, durch den Stengelurwald einer Blumenwiese. Überwältigend fluten die urwaldartigen Blüten vorbei. Für ewig möchte man ein Schmetterling bleiben.
„Unser Biotopia Lab führt auf spielerische Art in die Welt der Biowissenschaften“, erläutert Mitarbeiterin Simone Gaab. „Gerade lernen Kinder im Lab, Papier mit Blüten eigenhändig herzustellen.“ Ihre mit Blütenblättern versetzten, handgeschöpften Papierstücke sehen wie zarte Kunstwerke aus.
Am Ende eines Tages voller Kunst in München sehnt man sich nach der echt venezianischen Gondel, die durch die Blumenpracht des Gartens von Schloss Nymphenburg gleitet. „Viele unserer kunstbegeisterten Kurfürsten und Könige holten einst italienischen Kunstsinn nach Bayern“, erzählt Gondoliere Maximilian Koch. Als hätten die früheren Landesherrscher der Stadt kunstvolle Blumen ins Haar gesteckt, entwickelte sich München zur Stadt der Künste. Diesen Sommer erliegt die Stadt an der Isar einem kunstverliebten Blütenrausch.