24 Punkte aus den ersten elf Spielen, ein Prestigesieg gegen den Deutschen Meister und die Tabellenführung: Bei den Eisbären Berlin läuft es. Der Umbruch scheint gelungen – auch dank eines ganz besonderen Neuzugangs.
Patrice Cormier passt auf den ersten Blick so gar nicht zur neuen Transfer-Ausrichtung der Eisbären Berlin. Jung, schnell und wenn möglich deutsch sollten die Neuzugänge sein, die nach der katastrophalen Vorsaison den Umbruch beim Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga (DEL) bestimmen sollten. Cormier aber ist mit 33 Jahren die älteste Verpflichtung des Clubs, der Kanadier erhielt eine Ausländerlizenz und Schnelligkeit gehört nicht zu seinen Stärken. Doch der Center hat andere Qualitäten, die das junge und talentierte Team dem Anschein nach sehr gut gebrauchen kann: Erfahrung, Übersicht und Mentalität. „Er ist ein unglaublicher Anführer“, schwärmte Eisbären-Trainer Serge Aubin: „Patrice motiviert die Jungs, hart zu spielen und alles zu geben. Er versteht seine Rolle perfekt.“
Erfahrung, Übersicht und Mentalität
Allein seine Erfahrung verleiht Cormier eine gewisse Aura. 47 NHL-Spiele hat der Angreifer bestritten, er stand unter anderem für die Winnipeg Jets auf dem Eis. Zudem war er Kapitän der Manitoba Moose, des Farmteams der Jets in der AHL. Die letzten fünf Jahre hat er aber in der panrussischen KHL verbracht, wo er auf 230 Partien kam. Doch in dieser Saison wollte er unbedingt in Europa spielen – zum Glück für Berlin. „Als Serge angerufen hat, war die Entscheidung schnell getroffen“, berichtete Cormier: „Ein Vorteil hier ist auch, dass meine Familie bei mir sein kann. Ich möchte ihnen zeigen, wie ich auf dem Eis bin. Meine Tochter hat mich noch nie spielen sehen.“ Der Profi sei ein ausgesprochener Familienmensch und auch in der Kabine „so ein netter Kerl“, sagte Aubin. Der Coach verriet, dass er seinen Neuzugang deshalb auch liebevoll „Teddybär“ nennt. Doch davon sollten sich die Gegenspieler nicht täuschen lassen, auf dem Eis ist Cormier alles andere als kuschelig.
„Wenn das Spiel beginnt, bin ich jemand, der nur gewinnen will“, sagte er. Dabei zieht der Kanadier so gut wie nie zurück, er kämpft mit voller Leidenschaft und harten Bandagen um jeden Puck. „Wenn er entscheidet, zum Tor zu gehen oder in die Ecke, dann gibt es nicht viele Jungs, die ihn aufhalten können“, bestätigte Aubin. Diese Eigenschaften machen ihn beim Bully sehr wertvoll, aber auch vor dem Tor setzt der 1,88 Meter große Spieler immer wieder erfolgreich nach. Nachdem er krankheitsbedingt die ersten Saisonspiele verpasst hatte, setzte Cormier in seinen ersten fünf Partien für seinen neuen Club gleich ein paar Duftmarken: zwei Tore und vier Assists. Auch beim beeindruckenden 6:2-Sieg im Prestigeduell am vergangenen Sonntag gegen Red Bull München überzeugte er mit zwei Torvorlagen. Das frühe 1:0 durch Yannick Veilleux leitete der Mittelstürmer mit einem genialen Rückhandpass ein, die 14.200 Zuschauer in der Arena am Ostbahnhof staunten nicht schlecht.
Aber es war insgesamt eine reife Leistung des Teams, Angreifer Leo Pföderl zum Beispiel erzielte seinen 400. Punkt im 568. DEL-Spiel. Als Lohn für den offensiv wie defensiv sehr starken Auftritt bauten die Berliner ihre Tabellenführung aus. „Wir machen die kleinen Sachen richtig“, meinte Cormier, „aber wir feiern uns dafür jetzt nicht jeden Morgen.“ Auch Nationalstürmer Marcel Noebels hatte bei einem Tor und zwei Assists viel Grund zum Jubeln. Der 31-Jährige hat nach elf Spielen bereits 14 Scorerpunkte auf dem Konto und profitiert vom „wirklich guten Zusammenspiel“ des neuformierten Teams. Bei der vorangegangenen 3:4-Niederlage nach Penaltyschießen im Heimspiel gegen die Straubing Tigers hatte er in seinem 500. DEL-Spiel mit dem Ausgleich zehn Sekunden vor dem Ende immerhin dafür gesorgt, dass die Eisbären wenigstens einen Punkt mitnahmen. Gegen das Spitzenteam aus Niederbayern ließen die Berliner jene Konzentration vermissen, die sie in den Spielen zuvor ausgezeichnet hatte. Doch die Top-Leistung gegen München bewies, dass der DEL-Rekordchampion in dieser Saison wieder ein ernsthafter Titelkandidat ist.
Die blamable Vorsaison mit dem Verpassen der Playoffs hat beim Hauptstadtclub ganz offensichtlich Kräfte freigesetzt. „Dafür haben wir eine dicke Lektion bekommen“, sagte Stürmer Zachary Boychuk, der schon acht Tore zum Höhenflug beigesteuert hat: „Viele müssen jetzt etwas beweisen, jeder ist irgendwie auf einer Mission.“ Die Wiedergutmachungs-Tour wird an diesem Wochenende mit Spielen am Freitag (20. Oktober, 19.30 Uhr) bei den Löwen Frankfurt und zwei Tage später zu Hause gegen die Fischtown Pinguins fortgesetzt. Auch dann wird Cormier, der für das Scheitern in der vergangenen Spielzeit gar nicht verantwortlich war, wieder einer der Schlüsselspieler sein.
„Ich versuche zu tun, was ich kann, und will ein kleines Teil dieses Puzzles sein“, sagte er: „Wir haben viele junge Spieler, da kann ich Vertrauen geben, ich habe genug davon.“ Cormier gilt sowohl auf dem Eis als auch in der Kabine als Fixpunkt, vor allem Trainer Aubin hält große Stücke auf ihn. Aus Gesprächen mit Wegbegleitern habe er nichts Negatives über den Kanadier erfahren, „alle, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass er ein sehr besonderer Typ ist“. Vor allem, weil er diese zwei ambivalenten Seiten hat: einfühlsam und gnadenlos leistungsorientiert. „Mir ist es wichtig, dass sich jeder wohlfühlt. Auf dem Eis ändert sich das Mindset schon“, sagte er und erklärte: „Ich bin dann deutlich fokussierter und kämpfe für mein Team. Sobald das Spiel vorbei ist, bringe ich wieder alle zum Lachen.“ Als Mensch sei er generell jemand, „der das Leben leichter nimmt“. Denn: „Es geht zu schnell vorbei für alles andere.“
Umstellung auf größere Eisfläche
Sein neues Team bezeichnete der erfahrene Center als „wirklich gute Mannschaft“, vor allem eine Sache ist ihm in den ersten Trainingseinheiten und Spielen sofort aufgefallen: „Wir sind sehr schnell.“ Viele Mitspieler wie Ty Ronning oder Frederik Tiffels hätten „einen guten Mix aus Schnelligkeit und Größe“, zudem seien die Sturmreihen „ausgewogen“ besetzt. Doch all das wäre nichts wert ohne Mentalität, betonte Cormier. Trotz des guten Saisonstarts und der Tabellenführung in der Liga sei niemand im Team wirklich zufrieden. Diese Einstellung, immer weiter an sich zu arbeiten, würde die Eisbären „von Tag zu Tag stärker“ machen. Das gilt insbesondere für ihn selbst.
Die Umstellung auf die größere Eisfläche sei anfangs eine Herausforderung gewesen, der Spielstil in Europa sei dadurch „ein wenig anders“. Spieler hätten hier mehr Zeit mit dem Puck, das Spiel sei nicht ganz so körperbetont wie auf kleineren Eisflächen. Selbst ein Routinier wie er muss sich erst daran gewöhnen. Auch deshalb sei es „hart“ gewesen, in den ersten Spielen wegen einer Erkrankung nur zugucken zu können und nicht aktiver Teil des Teams gewesen zu sein. „Auch bei den Auswärtsspielen ist man dann zu Hause und kann die Mannschaft nicht unterstützen. Da war es super, dass ich in Iserlohn endlich mit auf dem Eis sein konnte. Das Spiel hat mir auch Spaß gemacht“, erzählte er. Aber nicht nur sportlich fühlt sich Cormier bereits wie zu Hause. Dass sich seine Frau Tanya und die Kinder in Berlin wohlfühlen, erleichtert auch ihm die Eingewöhnung. Zudem kennt er seine kanadischen Landsleute Zachary Boychuk und Julian Melchiori gut, mit ihnen hat er in der Heimat schon zusammengespielt. „Mit Zach bin ich mit der U20 sogar Junioren-Weltmeister geworden“, verriet der Mittelstürmer.